Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 7 – Arztroman


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Ehe ihrer Eltern war früh in die Brüche gegangen, und Becky hatte sehr darunter gelitten, von ihrer Mutter als Partnerersatz missbraucht worden zu sein. Diese Liebe hatte sie erdrückt und dafür gesorgt, dass sie in Zukunft eine weiten Bogen darum machte. Die einzige ernsthafte Beziehung zu einem jungen Mann war in die Brüche gegangen, als sie ungewollt schwanger geworden war. Rebecca war das Kind losgeworden, und Bernd hatte nie etwas davon erfahren. Die Entscheidung, nach Äthiopien zu gehen, war mehr eine Flucht denn ein Lebenstraum gewesen. Das hatte sich im Laufe der Zeit geändert, und Becky war diesen Weg weitergegangen.

      »Und jetzt zwingt mich mein Körper zurückzukehren«, murmelte sie vor sich hin. »Ich bin gespannt, was er noch so alles mit mir vorhat.« Dass es nichts Gutes war, war der Sozialpädagogin jetzt schon klar.

      Doch das ganze Ausmaß ihres Unglücks lag noch im Dunkeln, und sie war froh, als endlich ihr Flug aufgerufen wurde und es wieder etwas zu tun gab.

      *

      In letzter Zeit war die Stimmung in der Familie Forberg öfter angespannt gewesen. Lilli wollte mit Samthandschuhen angefasst werden, war aber, wie fast jeder normale Teenager, großartig im Austeilen. So waren Neles Bedenken bezüglich eines gemeinsamen Urlaubs durchaus berechtigt. Entgegen aller Erwartungen verlief der Flug aber ruhig, und ihre Tochter schien bester Dinge zu sein, als sie den Fuß auf New Yorker Boden setzte.

      »Die Reise scheint ihre Laune erheblich gehoben zu haben«, teilte Nele ihrem Mann mit, als sie nebeneinander her zum Ausgang strebten.

      Lars war an den Flughafen gekommen, um Frau und Tochter in Empfang zu nehmen. Er beobachtete Lilli, die vor ihnen her tänzelte. Wie bei einer Wackelpuppe ging ihr Kopf hin und her. Sie wusste gar nicht, wo sie zuerst hinsehen und wie sie die Eindrücke aufnehmen sollte, die auf sie einströmten.

      Lars lächelte zufrieden.

      »Genau das war meine Absicht.« Er schob den Kofferkuli mit den drei Koffern – Nele hatte ihrer Tochter doch den Gefallen getan und war mit ihr einkaufen gegangen – und ließ seiner Frau an der Drehtür den Vortritt.

      Nele wartete draußen auf ihn.

      »Deshalb auch die hundert Euro für Klamotten, was?« Diesen Tadel garnierte sie mit einem Lächeln, das aber keinen Widerhall auf Lars‘ Gesicht fand.

      Nele drehte sich um und wollte auf Lilli zugehen, die an einer Säule stand, als sie einen stechenden Schmerz an der Wade fühlte.

      »Aua!« Sie schrie auf und drehte sich um.

      »Oh, Verzeihung, das wollte ich nicht«, entschuldigte sich Lars. »Warum musst du aber auch so langsam gehen?«

      Ehe Nele antworten konnte, lachte Lilli auf.

      »Das ist ja mal wieder typisch Mum«, sagte sie zu ihrem Vater. »Kaum bist du in der Nähe, wird sie wieder tollpatschig.« Sie lächelte übertrieben süß. »Ach, muss Liebe schön sein.«

      »Das kannst du laut sagen«, bestätigte Lars und winkte ein Taxi herbei. »Nicht wahr, mein Schatz?« Er legte den Arm um Neles Schultern und zog sie an sich, um sie zu küssen. »So hart eine Fernbeziehung manchmal ist, so viele gute Seiten hat sie auch. Zumindest nutzt sich die Liebe nicht im Alltag ab.«

      Nele schluckte und nickte und war froh, als das Taxi vorfuhr, das sie in ihr Hotel am Times Square bringen würde. Diesmal hatte ihr Göttergatte wirklich keine Kosten und Mühen gescheut.

      Sie stiegen ins Taxi, und Lars nannte dem Fahrer das Ziel.

      »Wow, diese Häuser sind wirklich hoch!«, staunte Lilli, die neben ihrer Mutter im Fond des Wagens Platz genommen hatte. Sie verrenkte sich fast den Hals, um aus dem Seitenfenster in den Himmel hinauf zu sehen.

      Ihr Vater drehte sich zu ihr um und lachte.

      »Deshalb heißen sie ja auch Wolkenkratzer.«

      Nele erschrak. Sensibel, wie ihre Tochter in letzter Zeit war, konnte so eine Bemerkung genügen, um sie zum Explodieren zu bringen. Doch außer dass Lilli pflichtschuldig lachte, geschah nichts. Die Aussicht auf die Jungfernkreuzfahrt schien das Chaos der vergangenen Monate vergessen zu machen.

      »Haben wir heute noch was vor?«, erkundigte sich das Mädchen. »Ich will unbedingt bei Sonnenuntergang auf das Empire State Building. Aber vorher muss ich den Central Park sehen. Meine Freundin Su hat erzählt, dass dort die coolsten Typen abhängen und zeigen, was sie so drauf haben.«

      »Ich dachte, du freust dich drauf, endlich mal wieder mit deinem coolen Dad zusammen zu sein«, konterte Lars nach wie vor bedenkenlos.

      Durch den Rückspiegel zwinkerte er ihr gut gelaunt zu.

      Nele bewunderte den munteren Plauderton, in dem die beiden sich unterhielten. Seit die Wahrheit ans Licht gekommen war, war sie ständig auf der Hut.

      »Dich kann ich ja jetzt geschlagene vierzehn Tage lang genießen.« Lilli schnitt eine Grimasse und kreischte auf, als die haushohe Leuchtreklame am Times Square in Sicht kam. »Das ist ja ultracool. Noch besser als in jedem Film.«

      Lars‘ Zufriedenheit steigerte sich ins Unermessliche.

      »Freut mich, wenn es dir gefällt. Dann schlage ich vor, dass ihr euch kurz frisch macht und wir dann zu unserer Entdecker-Tour aufbrechen.« Das Taxi hielt mitten auf der Straße an. Er bezahlte den Fahrpreis und stieg aus. Ein Page stand schon vor dem Hotel bereit, um die Koffer der Familie auf einen Rollwagen zu stellen und in die Lobby zu bringen. Die Formalitäten waren schnell erledigt, sodass das Ehepaar samt Tochter nur ein paar Minuten später im Aufzug nach oben fuhr.

      »Was ist mit dir? Warum schaust du denn schon wieder so miesepetrig?«, erkundigte sich Lars bei seiner Frau.

      Wie ertappt zuckte Nele zusammen.

      »Oh … ich … ich … ich dachte gerade darüber nach, ob Lillis medizinische Versorgung an Bord auch wirklich gesichert ist«, ließ sie sich schnell eine Ausrede einfallen.

      Ihre Wahl war nicht die beste, wie sie gleich erfahren sollte. Lilli verdrehte die Augen, und Lars stöhnte auf.

      »Ein bisschen Vertrauen würde mir auch mal ganz gut tun«, schützte der Schiffsarzt verletzten Stolz vor.

      »Ich vertraue dir doch«, versicherte Nele schnell.

      Sie schickte ihm einen schnellen Seitenblick und war froh, als der Aufzug im 33. Stockwerk anhielt.

      »Das stelle ich mir aber irgendwie anders vor«, bemerkte Lars, während Nele einen Schritt nach vorn machte. Dabei übersah sie die Reisetasche, die weiß Gott wer dorthin gestellt haben mochte.

      »Vorsicht, Mum!«, rief Lilli noch. Doch da war es schon zu spät. Die Ernährungsberaterin ruderte mit den Armen, ehe sie der Länge nach auf den Boden fiel. Zum Glück war der Teppich weich und dick. »Komisch, zu Hause tust du dir nie weh. Und hier fällst du ständig hin«, bemerkte Lilli und half ihr wieder auf die Beine.

      Lars hielt sich im Hintergrund.

      »Daheim stellt ja auch niemand einfach so Reisetaschen vor meine Füße«, entfuhr es Nele.

      Unwillig schüttelte ihr Ehemann den Kopf.

      »Dass du immer andere für deine eigene Schusseligkeit verantwortlich machen musst«, tadelte er und ging schnurstracks an ihr vorbei den Flur hinunter.

      Lilli folgte ihm leichtfüßig. Nur Nele blieb zurück und sah den beiden nach. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre wieder nach Hause geflogen. Dorthin, wo sie sich in Sicherheit fühlte, wo ihr nichts passierte. Doch ihr Zuhause war weit weg, und es gab keine Aussicht auf Rettung.

      *

      Felix Norden trat von einem Bein auf das andere. Das war auch das einzige Zeichen seiner Nervosität. Äußerlich völlig gelassen unterhielt er seine Eltern mit Gruselgeschichten.

      »Noch könnt ihr es euch überlegen, ob ihr an Bord gehen wollt … Nicht, dass es der Carribean Pearl genau so ergeht wie der Mary Celeste.«

      Fee, die