Siebe Josephine

Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten: Sechszehn heitere Erzählungen


Скачать книгу

freilich,“ schluchzte Heine Peterle, „so heißt ja der Schneider bei uns.“

      Freundlich zeigte ihm die Dame den Weg, und müde und hungrig schleppte Heine Peterle seinen Sack weiter und war froh, als er endlich vor dem Haus mit der Nummer 5 anlangte. War das Haus einmal groß! Schier unheimlich erschien es dem Buben, und zaghaft trat er ein. Innen war alles feierlich still. Heine Peterle kletterte eine Treppe empor und betrat einen langen Gang, auf den viele Türen mündeten. „Arg viele Stuben scheint der Herr Vetter zu haben,“ dachte Heine Peterle und klopfte kräftig an die erste Türe. „Herein!“ klang es von drinnen, und Heine Peterle trat ein. Ja, aber was war denn das?

      „Uf!“ schrie Heine Peterle vor Schreck. Das war ja eine Schule! Hilf Himmel, er war in eine Schule geraten! Lauter kleine Mädchen saßen da und starrten ihn an, und am Pult stand der Herr Lehrer und – hielt einen großen Stock in der Hand. „Nur raus, nur fort!“ dachte Heine Peterle, und wutsch war er draußen. Aber da, potz Apfelkern und Pflaumenmus! ihm gegenüber öffnete sich auch eine Tür, und heraus kamen viele, viele kleine Mädchen, rechts und links; hinter ihm, überall taten sich Türen auf. Er sah viele Lehrer kommen und eine Unzahl kleine und größere Mädchen, und eine namenlose Angst ergriff ihn. Keuchend, den Kartoffelsack nach sich ziehend, wollte er die Treppe hinunterlaufen, aber der schwere Sack kam ihm zwischen die Füße, und holter die polter purzelten und kollerten Holzpantoffel, Pelzmütze, Heine Peterle und die Kartoffeln die Treppe hinunter. Das rumpelte und pumpelte nur so, und oben schrien, quietschten, lachten und kicherten all die großen und kleinen Mädchen, wie junge Böcklein sprangen einige von ihnen die Treppe herab dem Buben nach. Es war ein Höllenlärm, und als Heine Peterle verwirrt aufsah, da sah er mehrere Lehrer neben sich stehen, der mit dem Stock war auch dabei.

      Heine Peterle besann sich nicht lange. Er ließ Holzpantoffel und Kartoffeln im Stich, nahm nur seine Mütze und raste in wilder Hast aus dem Hause hinaus, die Straße entlang. Hinter sich hörte er rufen, aber er sah nicht rechts, nicht links, er lief und lief immer weiter und weiter, stieß alle Menschen an, denen er begegnete, und es regnete Verwünschungen auf ihn herab. Man suchte ihn zu fangen. Bald lief eine Anzahl Menschen hinter ihm her, und einige Buben schrien: „Es brennt, es brennt!“ Aber je mehr sie schrien, desto mehr rannte Heine Peterle, und zuletzt lief er einem Schutzmann in die Arme. Der hielt ihn fest, und nun sollte Heine Peterle Rede und Antwort stehen.

      „Was hat er getan?“ „Was hat er getan?“ „Warum rennt er so?“ „Warum hat er keine Schuhe an?“ so riefen und fragten die Menschen um ihn herum, aber Heine Peterle sagte immer nur: „Heim! Heim!“ weiter nichts.

      „Heine Peterle, was machst du denn da?“ rief in dieser Not plötzlich eine Stimme, und Friede Hopserling hielt mit seinem Wagen an, er hatte von seinem erhöhten Sitz aus den Buben an seiner Pelzmütze erkannt.

      „Ich will heim,“ schrie Heine Peterle, „heim!“ aber der Schutzmann ließ ihn nicht so schnell los, erst sollte er sagen, was er getan, und schluchzend erzählte er seine Erlebnisse. Da fingen alle an zu lachen, Friede Hopserling schüttelte sich ordentlich vor Lachen, selbst der Schutzmann lachte mit und hob den Buben selbst auf den Wagen.

      Muckstill saß Heine Peterle, solange der Wagen noch durch die Stadt fuhr. Erst als das freie Feld kam, wagte er sich umzusehen, und da erblickte er in der Wagenecke auch seinen zerdrückten Kirschkuchen. Heisa, der schmeckte ihm wie noch nie! Daß er breitgesessen war, schadete gar nichts.

      Der Wagen rollte auf der Landstraße dahin, Friede Hopserling war schweigsam wie immer, und wieder schlief Heine Peterle ein, und wieder weckte ihn sein Reisegefährte mit einem Rippenstoß: „Wir sind da!“ und Heine Peterle riß die Augen auf. Der Wagen fuhr die Dorfstraße entlang, da schrien einige Buben: „Da kommt Heine Peterle, Heine Peterle ist wieder da!“ Der Ruf pflanzte sich fort, die Mutter und Muhme Rese kamen aus dem Hause gelaufen, die Nachbarn kamen herbei, alle wollten sie wissen, warum Heine Peterle schon zurück sei.

      Der Vater stand in der Haustür und lachte, und Friede Hopserling erzählte alles. „Dösbartel,“ rief der Vater, „Christianstraße heißt's, wie der Schäfer, und Nummer 10 ist es, dummer Junge, du hast doch zwei Hände!“

      Da lachten ihn alle aus, aber Heine Peterle machte sich nichts daraus, er war nur froh, daß er wieder daheim war. An diesem Abend aß er sieben Brotschnitten, eine halbe Schlackwurst und einen Handkäse, und sicher hätte er noch mehr gegessen, wenn er nicht beim siebenten Butterbrot eingeschlafen wäre, so fest, daß er gar nicht merkte, wie ihn die Mutter ins Bett trug.

Straßenszene

       Inhaltsverzeichnis

      Wie Buben und Mädel wohl manchmal denken, so dachten auch die Oberheudorfer Kinder mitunter: „Wenn heute doch keine Schule wäre!“ – Sie dachten das bei den verschiedensten Gelegenheiten, zum Beispiel wenn im Winter schöne Eisbahn war oder im Frühling die ersten Veilchen blühten, wenn im Sommer die Kirschen reiften oder in Niederheudorf Vogelschießen war. Hundert Gründe gab es für den Wunsch, und die faulsten Buben und Mädel fanden wohl noch den hundertundeinsten Grund.

      Einige ganz besondere Faulpelze, wie Bäckermeisters Mariele, Anton Friedlich und Schulzens Jakob, die wünschten sogar, es möchte gar keine Schule geben. „Wenn doch der Kaiser mal die Schule verbieten möchte!“ seufzte Anton, wenn er seine Rechenaufgabe nicht gemacht hatte.

      „Oder der Sturm das Dach abdeckte!“ rief Mariele.

       Letzthin hatte nämlich der Wind drei Ziegel vom Backofendach heruntergeworfen, seitdem ärgerte sich die Kleine, daß bei der Gelegenheit nicht das Schuldach ein bißchen kaput gegangen war.

      Aber nichts dergleichen geschah. Breit und stattlich stand das Schulhaus da, von roten Ziegeln erbaut und von einem hübschen Garten umgeben. Schien die Sonne darauf, dann sah das Schulhaus so lustig aus, als lachte es alle faulen Buben und Mädel aus. Der Herr Lehrer war auch immer freudig bei seiner Arbeit, die nicht gerade leicht war, und für schulfreie Tage außerhalb der Ferien war er nicht sehr eingenommen.

      Im Juni war es. Die Sonne brannte so heiß, daß es einem schon leicht zu warm werden konnte, und die Oberheudorfer Kinder meinten, es könnte schon gut mal hitzefrei sein, – zumal im Walde die Erdbeeren reif waren. Aber an so etwas dachte der Herr Lehrer jetzt weniger als je, denn in diesen Junitagen wurde der neue Herr Schulrat zur Inspektion erwartet. Da gab es dreimal so viel Hausarbeit als sonst, und wehe dem, der schlecht gelernt hatte. In dieser Zeit verstand der Herr Lehrer keinen Spaß, denn er wollte Ehre einlegen mit seiner Klasse. Und doch guckte die Sonne so vergnügt in die Schulstube hinein, und der Gedanke an die Erdbeeren im Kuhberger Walde saß wie ein kleiner Kobold in den Kinderköpfen.

      „Ach, der Herr Schulrat!“ seufzte Heine Peterle, als er eines Morgens seinen Ranzen nahm, um in die Schule zu gehen.

      „Wie heißt er denn?“ fragte Muhme Rese.

      „Müller,“ brummte Heine Peterle und stapfte davon; er konnte es nämlich nach seinen Erlebnissen in der Stadt nicht leiden, wenn man ihn nach einem Namen fragte.

      „Ach, der Herr Schulrat!“ seufzte Anton Friedlich, und Bäckermeisters Mariele heulte ein wenig, weil ihr alles mögliche tausendmal mehr Freude machte als der Schulrat.

      „Bim bam, bim bam,“ dröhnte die Schulglocke, und flink liefen alle Faulpelze in das rote Schulhaus, es half ja doch nichts.

      In der gleichen Stunde betrat ein hübscher, junger Mann das Dorfwirtshaus und verlangte ein Glas Milch und eine Schnitte Brot. Der Wirt brachte ihm selbst das Verlangte, und der Fremde, der vor dem Hause Platz genommen hatte, begann ein Gespräch. Ob das die Schule wäre, fragte er und deutete auf das Schulgebäude, das rot und lustig hinter grünen Bäumen hervorsah.