Siebe Josephine

Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten: Sechszehn heitere Erzählungen


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der erwartete Schulrat sein.

      Schmunzelnd fragte er daher nach dem Namen seines Gastes. „Müller,“ sagte der junge Herr freundlich.

      „Ei, das dachte ich mir doch gleich,“ rief der Wirt und machte eine ungeheuer tiefe Verbeugung. „Willkommen, hochgeehrter Herr Schulrat!“

      „Was?“ fragte der Fremde verdutzt, „wer bin ich?“

      „Der Herr Schulrat Müller, zu dienen,“ sagte der Wirt und verbeugte sich zum zweiten Male.

      „Na nu?“ rief der junge Mann erstaunt.

      „Zu dienen, Herr Schulrat,“ sagte der Wirt, sich zum dritten Male verbeugend, und dann lief er flugs ins Haus. „Mine, Mine,“ schrie er seiner Magd zu, „flink, lauf in die Schule und sage dem Herrn Lehrer, der Schulrat wäre da; spute dich, Mädel!“

      Hui, wie lief da die Mine! Sie war erst seit drei Jahren aus der Schule heraus und wußte noch ganz genau, was das heißt, wenn ein Schulrat kommt. Die jüngeren Kinder schrieben gerade: „Der Hase läuft in das Feld“, und die älteren rechneten, als Mine mit dem Rufe: „Der Herr Schulrat ist da!“ in das Klassenzimmer stürmte.

      Potzhundert, gab das eine Aufregung!

      Dem Herrn Lehrer fiel vor Schreck der Rohrstock aus der Hand, und drei Mädel fingen an zu heulen, während dem dicken Friede, dem ewig Hungrigen, das Frühstücksbrot, das er just in aller Heimlichkeit verzehren wollte, in die unrechte Kehle kam. Er wurde krebsrot, hustete und würgte, einige Kinder kicherten, die andern stöhnten, und der Herr Lehrer lief, gefolgt von Mine, nach dem Wirtshaus, um dort den Schulrat zu begrüßen.

      Der Fremde saß und trank behaglich seine Milch, als der Lehrer und der Schulze, den der Wirt selbst geholt hatte, kamen und ihn mit so schwungvollen Worten begrüßten, daß er zuerst ganz erstaunt dreinsah. Aber plötzlich fing er an zu lachen, er lachte so laut und lustig, daß der Wirt den Lehrer und der Lehrer den Schulzen ansah; so einen lustigen Schulrat hatten sie noch nie gesehen, – freilich auch noch keinen so jungen. Dem Herrn Lehrer kam die Sache etwas sonderbar vor, aber der Wirt hatte ja gesagt, der fremde Herr wäre der Schulrat, also mußte es wohl richtig sein.

      „Also, mein lieber Herr Lehrer, da wollen wir einmal in die Schule gehen,“ rief der lachende Schulrat und stand auf und ging mit dem Lehrer und dem Schulzen auf das rote Schulhaus zu.

      Das muß man sagen, mucksmäuschenstill saßen die Kinder, als der Schulrat eintrat. Der ging auf das Katheder, sah die Buben und Mädel eine Weile vergnügt an und sagte dann: „Liebe Kinder, ich bin überzeugt, daß ihr fleißig seid und eure Pflicht tut!“ Hier wurden einige sehr rot und verlegen, aber der Herr Schulrat schien das gar nicht zu bemerken, sondern fuhr fort: „Ich will euch darum nicht mit einer Prüfung quälen, nein, ihr sollt heute einmal frei haben, weil gar so schönes Wetter ist. Gefällt euch das?“

      „Ja!“ brüllten da alle und lachten, daß sich bei manchen der Mund von einem Ohr bis zum andern zog. „Na, dann nehmt eure Bücher und lauft! Ich habe im Walde gesehen, daß die Erdbeeren reif sind, also geht in die Erdbeeren!“

      Das ließen sich die Kinder nicht noch einmal sagen, holter, polter wurden die Bücher gepackt, und dann rannten die Kinder alle hinaus wie Hasen, wenn sie den Jäger erblicken.

      „Leben Sie recht wohl, Herr Lehrer,“ sagte der Schulrat, „ich komme bald wieder. Ich denke, Ihnen wird ein ruhiger Tag auch mal gut sein,“ und wutsch war der Herr Schulrat draußen.

       „Na,“ meinte der Lehrer, „so ein Schulrat ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen!“

      „Mir auch nicht,“ sagte der Schulze.

      „Mir auch nicht,“ sagte einige Minuten später der Wirt, als der Schulrat lachend von ihm Abschied nahm und fröhlich singend das Dorf verließ.

      Die Buben und Mädel aber sagten gar nichts. Die rannten nur, was sie konnten, um ihre Schulmappen nach Hause zu bringen und sich ein Körbchen oder ein Töpfchen zu holen, und fünf Minuten später zogen die Oberheudorfer Kinder in den Kuhberger Wald in die Erdbeeren. Kein Schulkind blieb daheim. „Der Herr Schulrat hat's befohlen,“ sagten sie, wenn Vater oder Mutter meinten, sie sollten doch lieber bei der Heuernte helfen.

      War das ein vergnügter Tag!

      Als wären sämtliche Erdbeeren noch in aller Geschwindigkeit gereift, so viele gab es. Es sah an manchen Stellen aus, als hätte Schnipfelbauers Kathrine ihren feuerroten Sonntagsrock auf den Waldboden gelegt, so dicht standen die Beeren beisammen. Aber freilich, es hätte doch noch zehnmal mehr Erdbeeren geben können, die Oberheudorfer Kinder hätten sie doch gepflückt und gegessen. In einen richtigen Oberheudorfer Kindermagen geht nämlich unglaublich viel hinein, gar nicht zu sagen wie viel.

       Wie alle schönen Tage, so ging auch dieser schulfreie Tag zu Ende. Aber er endigte nicht, wie das manchmal vorkommt, mit Zank und Tränen, Verdruß, Leibschmerzen und zerrissenen Kleidern, sondern er blieb schön, bis die Kinder in ihre Federbetten krochen. Anton Friedlich träumte in dieser Nacht, der Schulrat säße an seinem Bette und sagte, er, Anton, brauche von jetzt ab nur in die Schule zu gehen, wenn er Lust dazu hätte. Und Heine Peterle sagte, als er am andern Morgen die Augen aufschlug: „Wenn doch heute wieder der Schulrat käme!“

      Aber er kam nicht, und es war Schule wie alle Tage.

      Und drei Tage später hatten die Kinder wieder einen sehr wichtigen Grund, um sich „schulfrei“ zu wünschen.

      Es war ein ereignisvoller Tag für Oberheudorf. Eine neue Feuerspritze wurde erwartet und sollte gleich probiert werden. Bisher hatten die Oberheudorfer eine Spritze besessen, die allemal erst spritzte, wenn das Feuer bereits vorbei war, und das war manchmal recht unangenehm. Einmal hatte da zum Beispiel das Dach vom Schulzenhaus gebrannt; die Spritze wurde angefahren, ehe sie aber in Ordnung war, hatte der Schulze eigenhändig drei Eimer Wasser auf das Dach gegossen, und aus war das Feuer. Und als dann alle so recht beim Begucken und Bereden waren, ging auf einmal die Spritze los, und quatsch! war die ganze Schulzenfamilie und einige Nachbarn dazu von unten bis oben naß. Man hatte darum in der Stadt eine neue Spritze bestellt, und der Schulze hatte angeordnet, daß die Spritze gerade kommen sollte, wenn Schule war. „Das neugierige Kindervolk ist nur im Wege,“ hatte er gemeint. Man muß sagen, nett war das nicht vom Schulzen, und die Kinder jammerten auch gehörig über diese Härte. Die Schule hatte noch nicht lange angefangen, als das Rollen eines Wagens erklang. „Ob das die Spritze ist?“ flüsterte der blaue Friede seinem Nachbarn zu, und Annchen Amsee puffte Mariele: „Du, die Spritze!“

      Aber es war nicht die Spritze, sondern ein Wägelchen, in dem ein älterer Herr mit einer goldenen Brille auf der Nase saß. Das Wägelchen hielt vor dem Schulhause, und Heine Peterle schrie: „Herr Lehrer, 's kommt wer!“

      „Dummer Junge, wer denn?“ rief der Lehrer ärgerlich.

      „Ein dicker Herr, da ist er schon!“ rief Heine Peterle und zeigte mit einem rabenschwarzen Tintenfinger auf die Tür, die der Fremde gerade öffnete.

      Weil just der Herr Lehrer die Türe und nicht sie ansah, wollte Krämers Trude, die so flink und keck wie ein Eichkätzchen war, den günstigen Augenblick benutzen und dem dicken Friede einen Papierball an den Kopf werfen, weil ihr der auf dem Schulwege die Schürze abgebunden hatte. Doch der Ball verfehlte sein Ziel und flog dem fremden Herrn an die Nase. „Oha,“ sagte der verblüfft, „das ist ja ein netter Empfang!“

      „Pschrr,“ platzte Annchen Amsee heraus und „hahaha, hihihi, pschrr,“ kicherte und prustete das auf einmal an allen Ecken und Enden.

      „Still!“ rief der Lehrer ärgerlich; aber wenn die Oberheudorfer Buben und Mädel einmal ins Lachen kamen, hörten sie so bald nicht wieder auf. Sicher, sie hatten den besten Willen, still zu sein, aber sie konnten es einfach nicht.

      Der fremde Herr schüttelte erstaunt den Kopf, und der Lehrer nahm seinen Rohrstock, schlug auf das Pult und sagte streng: „Gleich seid ihr still!“

      Da trat wirklich etwas Ruhe ein, und der Lehrer verneigte sich nun