meinte Mr. Salter.
»Ja – die Adresse des ermordeten Sweeny –, und Wilmot hat sie am selben Tag erhalten, an dem der Mord begangen wurde!«
Er drehte den kleinen Fetzen um. Er war von einer Sonntagszeitung abgerissen, oben war noch zu lesen … onntag, den 23. Juni…
Offenbar hatte diese Zeitung Sweeny gehört, dachte Andy. Wahrscheinlich hatten sich die beiden getroffen, miteinander gesprochen, Wilmot hatte sich währenddessen überlegt, daß ihm der Sekretär Albert Selims vielleicht noch irgendwie nützlich sein könnte, und hatte sich deshalb seine Adresse notiert. Diese Begegnung hatte aber schwerlich in Spring Covert stattgefunden, wo das Etui gefunden worden war. Sie mußten sich dort nach Einbruch der Dunkelheit noch einmal getroffen haben, oder Wilmot hatte nachts diesen Platz heimlich aufgesucht. Die erste Möglichkeit erschien Andy wahrscheinlicher.
Wilmot hatte also doch etwas mit der Sache zu tun.
»Worüber denken Sie nach?« fragte Boyd Salter.
»Es ist merkwürdig, ich weiß nicht, was ich aus diesem Fund machen soll. Ich werde Wilmot aufsuchen und ihm das Etui zurückgeben, wenn Sie gestatten.«
Als er nach Beverley Green zurückging, fiel es ihm plötzlich auf, daß fast alle wichtigen Ereignisse während seines Aufenthaltes doppelt eingetreten waren. Er hatte die Drohung Wilmots vor Merrivans Haus und die Wutausbrüche Nelsons vor dessen Tür gehört. Sowohl in Merrivans als auch in Nelsons Haus hatte er verbrannte Papiere entdeckt. Und nun war wieder etwas gefunden worden –
»Wir haben einen kostbaren Brillantring gefunden – vielmehr Mr. Nelson hat ihn auf dem Rasen entdeckt«, begrüßte ihn der Polizeiinspektor. »Ich habe nicht gehört, daß irgendwo ein Ring vermißt würde. Niemand im ganzen Dorf bekennt sich als Eigentümer des Schmuckstücks.«
Stella war doch wirklich zu achtlos! Sie streute verdächtigende Gegenstände wie der ›Fuchs‹ bei der Schnitzeljagd.
»Der Eigentümer wird sich schon noch melden«, meinte Andy gleichgültig.
Am Abend traf er Wilmot, der gerade nach Hause kam.
»Ich glaube, das gehört Ihnen«, sagte Andy und hielt ihm das Etui hin.
Wilmot wurde rot.
»Ich glaube kaum. Ich habe nichts verloren –«
»Aber Ihr Monogramm ist doch darauf, und zwei Leute haben es bereits als Ihr Eigentum erkannt.«
Das war zwar nicht die Wahrheit, aber Andy hatte Erfolg mit dieser Methode.
»Tatsächlich! Ich danke Ihnen, Doktor Macleod. Ich hatte es noch nicht vermißt.«
Andy lächelte.
»Dann haben Sie oben bei Spring Covert wohl nach etwas anderem gesucht?«
Wilmot wurde jetzt blaß.
»Wann haben Sie sich Sweenys Adresse notiert?«
Wilmot sah Andy haßerfüllt an. Entweder war Wilmot schuldig oder eifersüchtig. Wahrscheinlich war Eifersucht die Ursache – er wußte oder vermutete doch, wie Andy zu Stella Nelson stand.
»Ich traf ihn am Sonntagmorgen, er bat mich, ihn für eine neue Stellung zu empfehlen. Ich hatte ihn kennengelernt, als er in den Diensten meines Onkels stand. Ich traf ihn auf dem Golfplatz, und so schrieb ich seine Adresse auf ein Stück Zeitungspapier.«
»Sie haben aber weder mir noch Inspektor Dane gesagt, daß Sie ihm begegnet waren.«
»Das hatte ich ganz vergessen – nein, das stimmt nicht, aber ich wollte nicht in diesen Fall verwickelt werden.«
»Sie haben ihn dann nachts noch einmal gesehen – warum wählten Sie Spring Covert als Treffpunkt?«
Wilmot schwieg, und Andy mußte seine Frage wiederholen.
»Er war von Beverley Green fortgegangen und wollte mich noch einmal sprechen. Er dachte, daß es mir peinlich sei, wenn man uns zusammen sähe.«
»Wann dachte er denn das? Am Morgen, als die zweite Verabredung vereinbart wurde?«
»Ja«, entgegnete Wilmot zögernd. »Wollen Sie nicht hereinkommen, Macleod.«
»Sind Sie allein?«
»Ja, ich bin allein im Haus. Die Dienstboten haben heute alle Ausgang. Sie kommen auch sonst nur in mein Zimmer, wenn ich sie rufe.«
Artur Wilmots Haus war das kleinste von allen, aber es war mit hervorragendem Geschmack eingerichtet. Wenn es Andy trotzdem nicht vollständig befriedigte, so lag das wohl daran, daß ihm der Charakter der Einrichtung zuwenig männlich erschien.
Auf dem Tisch des Zimmers, in das sie traten, lag ein halbfertiger Damenhut. Wilmot unterdrückte einen Ausruf. Es war eine mit prachtvoller, farbiger Seide überzogene Hutform.
Ihre Ankunft mußte irgend jemand gestört haben. Andy tat, als ob er nichts gesehen hätte, aber Wilmot war zu aufgeregt, um die Sache übergehen zu können, und versuchte, Andy eine Erklärung zu geben.
»Vermutlich hat wieder eins der Dienstmädchen hier gearbeitet!« Mit diesen Worten packte er den Hut und schleuderte ihn in eine Ecke.
Der Zwischenfall, der eigentlich Wilmots Verwirrung hätte vergrößern müssen, schien die entgegengesetzte Wirkung zu haben. Seine Stimme war klar und fest, als er jetzt sprach.
»Ich habe Sweeny zweimal getroffen, und es war töricht von mir, es nicht sofort zuzugeben. Sweeny haßte meinen Onkel. Er kam zu mir, um mir etwas zu erzählen – er deutete wenigstens an, daß er etwas wüßte, durch das ich Mr. Merrivan in meine Hand bekäme. Die zweite Zusammenkunft in Spring Covert diente dazu, über die Bedingungen zu verhandeln, unter denen Sweeny mir seine Informationen geben wollte. Ich wünschte, ich wäre nicht hingegangen, ich bin auch nicht lange dort gewesen. Ich versprach Sweeny, ihm zu schreiben, und damit hatte die Sache ein Ende.«
»Worin bestand denn Sweenys Geheimnis?«
Wilmot zögerte.
»Offen gestanden, ich weiß es nicht. Ich hatte nur den Eindruck, daß Mr. Merrivan irgendwie in Selims Schuld war – Selim war der Name von Sweenys Chef. Aber das kann ich nicht recht glauben, es kommt mir fast lächerlich vor. Mein Onkel war ein reicher Mann.«
Andy schwieg und überlegte, ob Wilmot die Wahrheit gesagt haben könnte.
»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer Ihren Onkel getötet haben könnte?«
Wilmot runzelte die Stirn. »Haben Sie denn eine Vermutung?«
Andy wußte, wen Wilmot beschuldigen würde, wenn auch nur der geringste Verdacht auf ihn selbst fallen sollte.
»Ich habe mir viele Theorien zurechtgelegt«, erwiderte er kühl. »Aber es wäre übereilt, wenn ich mich jetzt schon endgültig für eine von ihnen entscheiden würde. Da fällt mir etwas ein, Mr. Wilmot. Als wir uns das letztemal sahen, sprachen Sie von einem nichtswürdigen Mädchen. Das interessiert mich. Sie beschwerten sich heftig über sie und sagten, daß Sie ihretwegen Streit mit Ihrem Onkel gehabt hätten. Das könnte ein wichtiger Anhaltspunkt sein. Wer war diese Dame?«
Das war ein meisterhafter Angriff, der wohlüberlegt im günstigsten Augenblick geführt wurde.
Auf eine so direkte Frage war Wilmot nicht vorbereitet. Es war ihm klar, daß Macleod genau wußte, wen er gemeint hatte. Er mußte jetzt mit der Sprache heraus oder –
»Die Antwort darauf muß ich schuldig bleiben.«
Aber Andy war schon zu weit gegangen und hatte zu viel gewagt, um seinem Gegner jetzt noch gestatten zu können, das Gefecht abzubrechen.
»Das kann ich nicht gelten lassen. Entweder kennen Sie eine solche Dame oder Sie kennen sie nicht. Entweder haben Sie sich mit Ihrem Onkel gestritten oder nicht. Ich spreche jetzt als der Polizeibeamte, der mit der Untersuchung dieses Falles beauftragt ist, und ich muß