E. T. A. Hoffmann

Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann


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beide mischten sich unter die Gesellschaft.«

      Aber, ich sage es noch einmal, der Teufel hole die Sphinx und den Professor der Philosophie!

      Ich. Warum das?

      Berganza. Beide waren schuld daran, daß ich nicht mehr den mimischen Darstellungen meiner Dame beiwohnen durfte und bei einem Haar mit Schimpf und Schande aus dem Hause gejagt worden wäre.

      Ich. Du nimmst wohl die Sphinx allegorisch, um mir irgendeinen neuen Charakter deines Zirkels aufzuführen?

      Berganza. Nichts weniger als das! – Ich meine die echte Sphinx mit dem ägyptischen Kopfputz und den stieren eirunden Augen.

      Ich. So erzähle.

      Berganza. Sei es nun aus Rache wegen des verfehlten philosophischen Kursus, wie der unentschiedene Charakter behauptete, oder bloß aus Ekel und Abscheu gegen das angeeignete leere Kunststreben meiner Dame, kurz, der Professor war ihr Ichneumon, der sie stets verfolgte und, ehe sie sich's versah, in ihrem Innersten wühlte. Auf eine ganz eigne geschickte Weise wußte er sie in ihre eignen Floskeln und Phrasen, in ihre philosophisch-ästhetischen Kunsturteile zu verflechten und zu verstricken, daß sie tief in den mit Unkraut bedeckten Irrgarten des prosaischen Unsinns hineingeriet und vergebens den Ausweg suchte. Er trieb seine Bosheit so weit, daß er ihr unter dem Namen tiefer philosophischer Sätze nichtssagende oder auf eine gemeine Albernheit hinauslaufende Phrasen vorsagte, die sie bei ihrem starken Wortgedächtnis behielt und nun mit vielem Gepränge überall anbrachte; je toller und unverständlicher diese Sätze waren, desto mehr gefielen sie ihr, denn desto höher stieg bei den Schwachköpfen die Bewunderung, ja die Vergötterung der herrlichen geistreichen Frau. – Doch zur Sache! – Der Professor hatte mich ungemein liebgewonnen; wenn er nur konnte, streichelte er mich und steckte mir gute Bissen zu. Ich vergalt diese Zuneigung mit der herzlichsten Freundschaft und folgte ihm daher um so williger, als er mich eines Abends, da die Gesellschaft eben im Begriff war, in den schwarzausgeschlagenen Saal zu gehen, weil Madame ihre mimischen Darstellungen produzieren wollte, in ein Nebenzimmer lockte. Er hatte, wie gewöhnlich, wieder ein gutes Stück Kuchen für mich in Bereitschaft; während ich es verzehrte, fing er an, mich leise am Kopfe und hinter den Ohren zu krauen, und endlich zog er ein Tuch hervor, welches er um meine Stirn schlang und mit vieler Mühe an den Ohren herum drapierte, wobei er, mich anschauend, öfters lachte und ausrief: »Kluger Hund – kluger Hund – sei heute nur recht klug und verdirb mir nicht den Spaß!« Des Putzes noch vom Theater her gewohnt, ließ ich alles mit mir machen und folgte ihm willig und leise in den Saal, wo Madame ihre mimischen Darstellungen schon begonnen hatte. Der Professor wußte mich den Blicken der Zuschauer so geschickt zu entziehen, daß niemand mich bemerkte. Endlich, nachdem Marien und Karyatiden gewechselt hatten, trat Madame mit einem ganz seltsamen Kopfputz, der dem meinigen auf ein Haar glich, hervor, kniete hin und streckte die Arme auf ein Taburett vor sich her, indem sie ihre sonst geistreichen Augen zu einem stieren, unangenehm gespenstischen Blicke zwang. Nun lockte mich der Professor hervor, und ohne eigentlich den wahren Spaß zu ahnen, schritt ich gravitätisch in die Mitte des Zimmers und legte mich der Dame dicht gegenüber, die Vorderpfoten ausgestreckt, in meiner gewöhnlichen Stellung auf den Boden. Hochverwundert über ihre Figur, die vorzüglich des Teils halber, auf dem man zu sitzen pflegt, und den die Natur in zu üppiger Fülle ausgebildet hatte, sich ganz besonders ausnahm, starrte ich sie unverwandt an mit dem ernsten, tiefsinnigen Blick, der mir eigen. – Der tiefen Totenstille folgte ein unmäßiges allgemeines Gelächter. Jetzt erst erblickte mich die in der innern Kunstanschauung versunkene Dame; sie sprang mit wilder Gebärde wütend auf und rief mit Macbeths Worten: »Wer hat mir das getan?« Aber niemand hörte sie, denn alles, von dem gewiß überkomischen Anblick wie elektrisiert, rief und schrie noch durcheinander: »Zwei Sphinxe – zwei Sphinxe im Konflikt!« – »Schafft mir den Hund aus den Augen, fort mit dem Hunde, aus dem Hause!« tobte die Dame, und schon fielen die Bedienten über mich her, da sprang meine Beschützerin, die holde Cäcilia dazwischen, befreite mich von meinem ägyptischen Kopfputz und führte mich auf ihr Zimmer. – Durfte ich nun zwar auch im Hause bleiben, so blieb doch der mimische Saal für mich auf immer verschlossen.

      Ich. Und du verlorst im Grunde nicht viel dabei, denn die höchste Spitze dieser Kunstgaukeleien hattest du, Dank sei es dem lustigen Professor, erlebt; das übrige wäre matt geblieben, da man natürlicherweise jede Einwirkung von deiner Seite hintertrieben hätte.

      Berganza. Den andern Tag war überall von der Doppelsphinx die Rede, und es zirkulierte ein Sonett, dessen ich mich noch recht gut erinnere, und welches wahrscheinlich auch von dem Professor verfaßt worden war.

      Die beiden Sphinxe

      Sonett

      Was liegt im falt'gen Rocke auf der Erde,

       Verglast die Augen, vorgestreckt die Hände?

       Wohl klüger als Ödip wär', der's verstände,

       Des bösen Rätsels Deutung bringt Gefährde.-

      Doch sieh'! mit ernster, seltsamer Gebärde

       Schaut dort der schwarze Sphinx, und Feuerbrände

       Schießt auf die Puppe er am andern Ende,

       Damit im Tand der Tand vernichtet werde!-

      Sie stehen auf! – Der Hund ist's und die Dame,

       Vereint im mimischen Talent zur Wette;

       Die Poesie erhob sie aus dem Schlamme!

      Gibt's Höhres noch, das fester sie verkette?

       Sie leben in der Kunst! Hund er, sie Dame; Pagliasso er und sie – Arlekinette. –

      Ich. Bravo, Berganza! – Das Sonett ist für ein gelegentliches Spottgedicht nicht übel, und du hast es mit Würde und dem angemessenen Ton hergesagt. – Überhaupt liegt für mich schon in der Sonettform ein ganz besonderer, ich möchte sagen, musikalischer Reiz.

      Berganza. Den das Sonett auch wohl gewiß für jedes nicht ganz rohe Ohr hat und ewig behaupten wird.

      Ich. Und doch scheint mir die Form, das Metrum des Gedichts, immer etwas Untergeordnetes, worauf man in der neuesten Zeit nur zu viel Wert gelegt hat. –

      Berganza. Dank sei es dem Bemühen eurer neueren, mitunter höchst vortrefflichen Dichter, daß sie metrische Kunst, welche die alten großen Meister des Südens mit Liebe und Sorgfalt übten, wieder in ihr wohlerworbenes Recht einsetzten. Die Form, das Metrum des Gedichts, ist die zufällige Farbe, die der Maler den Gewändern seiner Personen gibt, – es ist die Tonart, in der der Komponist sein Stück schreibt. Werden beide nicht Farbe und Tonart mit reifer Überlegung, mit aller nur ersinnlichen Sorgfalt wählen, wie es der Ernst, die Würde, die Anmut, die Zärtlichkeit, die Leichtigkeit, die innere Behaglichkeit der vorzustellenden Person oder des Stücks erfordern? – Und wird nicht Ein großer Teil der beabsichtigten Wirkung von der richtig getroffenen Wahl abhängen? – Ein keckgefärbtes Gewand erhebt oft die mittelmäßige Person, sowie die ungewöhnliche Tonart den gewöhnlichen Gedanken, und so kommt es denn oft, daß selbst Verse, denen ein tief eingreifender Sinn mangelt, und die nur auf der Oberfläche schwimmen, durch die Anmut der Form, durch die zierliche Verschlingung der Reime den Geist wie in angenehmer Dämmerung mit lieblichem Spiel umfangen und so, ganz abgesehen davon, was der Verstand vergebens darin suchen dürfte, einen geheimnisvollen Zauber ausüben, dem kein reizbares Gemüt zu widerstehen vermag.

      Ich. Aber der Mißbrauch, der nun von den Formkrämern gemacht wird –

      Berganza. Dieser sogenannte Mißbrauch möchte wohl in seiner Wirkung sich ganz auflösen, und ich glaube, daß in dem jetzt emporgekommenen strengen Beachten der Metrik sich auch der tiefere Ernst zeigt, der sich mit der eingetretenen verhängnisvollen Zeit über alle Zweige der Kunst und der Literatur verbreitet hat. Damals, als jeder sogenannte Dichter zu jedem seiner Liedlein sich selbst ein stolprichtes, holprichtes Metrum schuf, als die einzige südliche Form, welche man noch zu kennen schien, die Ottave rime, auf die tollste Weise verpfuscht und verhudelt wurde, damals wollten die Maler nicht mehr zeichnen lernen und die Komponisten