Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


Скачать книгу

in Schönheit und Klarheit leben muß, um sich zu erfüllen. Wie früher, sagt auch hier der Name symbolisch alles: der Kraft des Mannes, dem Johann Christof Krafft, begegnet im Abendrot Grazia, die ruhige Schönheit der Frau, und hilft dem Ungeduldigen zum Einklang, zur letzten Harmonie.

      Bisher hat Johann Christof nur zweierlei gehabt, Kampfgefährten und Kampfesfeinde auf seinem weiten Wege nach dem Frieden. In Grazia begegnet er zum erstenmal dem nicht gespannten, nicht aufgereizten, nicht erregten Menschen, der klaren Harmonie, die er unbewußt in seiner Musik seit Jahren sucht. Grazia ist kein brennender Mensch, an dem er sich entzündet, das Feuer ihrer innern Sinnlichkeit ist längst schon gedämpft durch eine leise Lebensmüdigkeit, eine süße Trägheit, aber auch in ihr schwingt jene »Musik der Seele«, die große Güte, die ihm Menschen erst brüderlich macht. Sie treibt ihn nicht weiter fort – er ist ja schon so weit gestürmt, weiß leuchtet das Haar an seinen Schläfen – sie zeigt ihm nur die Ruhe, »das Lächeln des lateinischen Himmels«, in dem seine wieder aufstrebende Unruhe sich endlich leise wie eine Wolke, die gegen Abend hinzieht, verliert. Die wilde Zärtlichkeit, die wie ein Krampf ihn durchschütterte, das Liebesbedürfnis, das elementar im »feurigen Dornbusch« aufloderte und seine ganze Existenz zu vernichten drohte, hier ist es geklärt in der »übersinnlichen Ehe« mit Grazia, der »unsterblichen Geliebten«; irgendein Glanz griechischer Welt zerteilt die Nebel seines deutschen Wesens. An Olivier wird Johann Christof klar, an Grazia milde: Olivier hat ihn mit der Welt versöhnt, Grazia mit sich selbst, Olivier war Virgil, der ihn geleitete durch die Fegefeuer des Irdischen, sie wird die Beatrice, aufdeutend in die Himmel der großen Harmonie: Nie ward der europäische Dreiklang in edleren Symbolen erfaßt, die deutsche dumpfe Wildheit, die französische Klarheit, die milde Schönheit italischen Geistes. In diesem Dreiklang löst sich seine Lebensmelodie. Johann Christof ist nun Bürger der ganzen Welt, heimisch in allen Gefühlen, Ländern und Sprachen, und er kann eingehen in die letzte Einheit alles Lebens: in den Tod.

      Es ist eine der stillsten Gestalten des Buches: Grazia, »la linda«; kaum fühlt man sie durch die erregten Welten schreiten, aber ihr Lächeln, ihr sanftes Mona Lisa-Lächeln strömt wie ein transparentes Licht in den beseelten Raum. Ohne sie fehlte dem Werke wie dem Menschen jene große Magie des »Ewig Weiblichen«, die Einkehr zum letzten Geheimnis. Und wie sie schwindet, bleibt noch ein Glanz von ihr zurück, dies Buch des Überschwanges und des Kampfes mit leiser lyrischer Wehmut süß erfüllend und auflösend in eine neue Schönheit: in den Frieden.

      Johann Christof und die Menschen

       Inhaltsverzeichnis

      Trotz aller innigen Beziehungen aber ist Johann Christofs, ist des Künstlers Weg unter den Menschen im letzten Einsamkeit. Er geht nur auf sich selbst zu, immer auf sich selbst, immer tiefer in das Labyrinth seines Wesens hinein; das Blut von Ahnen und Urahnen treibt ihn fort aus einer Unendlichkeit verworrenen Ursprungs der anderen Unendlichkeit der Schöpfung entgegen. Die Menschen auf seinem Wege sind im letzten Sinne bloß Schatten und Winke, Meilensteine des Erlebens, Stufen des Anstieges, Stufen des Abstiegs, Episoden, Erfahrungen. Aber was ist Erkenntnis denn anders als eine Summe von Erfahrungen, ein Leben denn anders als eine Summe von Begegnungen? Die Menschen sind nicht Johann Christofs Schicksal, aber sie sind Material, das er in Schöpfung verwandelt. Sie sind Element des Unendlichen, dem er sich verschwistert fühlt, und da er das Ganze des Lebens will, muß er auch sein bitteres Teil mitnehmen, die Menschheit.

      So helfen ihm alle: seine Freunde viel und seine Feinde noch mehr, denn sie mehren seine Vitalität, sie reizen seine Kraft. Sie fördern das Werk (und was ist der wahre Künstler anders als das werdende Werk?), gerade wenn sie ihn hemmen wollen, und in der großen Symphonie seiner Leidenschaft sind sie die hellen und dunklen Stimmen, die unlösbar verwoben sind in den rauschenden Rhythmus. Manches einzelne Thema läßt er lässig fallen, manches nimmt er auf. Da ist inmitten der Kindheit Gottfried, der gütige Alte, der irgendwo herkommt aus dem Geiste Tolstois. Flüchtig taucht er auf, immer nur für eine Nacht, das Bündel auf den Schultern, ewiger Ahasver, aber gütig froh, nie sich auflehnend, nie klagend, der Mensch, der gebückt, aber in edler Beharrlichkeit seinen Weg zu Gott geht. Er rührt Christofs Leben nur an: aber die flüchtige Berührung genügt schon, um den Schöpferischen in Schwingung zu setzen. Oder da ist Hassler, der Komponist. Nur ein Blitzbild zeigt Johann Christof sein Antlitz im Beginne seines Werkes, aber in dieser Sekunde erkennt er die ganze Gefahr ihm gleich zu werden durch Lässigkeit des Herzens, und er strafft sich auf. Winke, Rufe, Zeichen, Stimmgabeln des Gefühls sind ihm die Menschen. Jeder treibt ihn, der eine mit Liebe, der andere mit Haß, der alte Schulz hilft ihm durch sein Verständnis in einer Sekunde der Verzweiflung, der Hochmut der Frau von Kerich, die Torheit der Kleinstädter, jagt ihn in andere Verzweiflung, in die Flucht, die seine Rettung wird. Gift und Arznei sind einander furchtbar ähnlich. Aber nichts bleibt für den schöpferischen Menschen sinnlos, weil er allem den Sinn für sich aufprägt, im Werke strömend lebendig macht, was sein Leben rücksteuernd hemmen will. Das Leiden ist ihm nötig für das Wissen. Immer holt er aus der Trauer, aus der tiefsten Erschütterung seine tiefste Kraft: und mit Absicht stellt Rolland die schönsten der imaginären Werke Johann Christofs in die Zeit seiner tiefsten seelischen Erschütterung, in die Tage nach dem Tode Oliviers, und jene anderen nach dem Hingang der »unsterblichen Geliebten«. Widerstand und Qual, die Feinde des Menschen, sind die Freunde des Künstlers: so ist ihm jeder, der ihm begegnet, Förderung, Nahrung, Erkenntnis. Gerade für seine tiefste schöpferische Einsamkeit braucht er die Menschen.

      Freilich, er weiß es lange nicht, und er beurteilt die Menschen anfangs falsch, weil er sie durch sein Temperament sieht, nicht durch Erkenntnis. Erst fühlt Johann Christof alle Menschen mit seinem überströmenden Enthusiasmus: er meint, daß sie alle aufrichtig seien und gutmütig wie er, der sein Wort achtlos auf der Lippe trägt. Und sofort nach den ersten Enttäuschungen sieht er sie wieder falsch durch Erbitterung und verschanzt sich in Mißtrauen. Aber zwischen Überschätzung und Mißachtung bildet sich allmählich das richtige Maß. Von Olivier zur Gerechtigkeit erhoben, von Grazia zur Milde gelenkt, weise werdend am gelebten Leben, versteht er nicht bloß sich selbst mehr, sondern auch seine Feinde. Ganz am Ende des Werkes steht eine kleine Szene, eine unbedeutsame wie es scheint: Johann Christof begegnet seinem ältesten Feinde Lévy-Coeur und reicht ihm spontan die Hand. In dieser Versöhnung ist mehr als das Mitleid eines Augenblicks: hier ist der Sinn der langen Wanderung, die große Erkenntnis, die – in leichter Veränderung seines alten Spruches vom wahren Heldentum – sein letztes Bekenntnis wird: »Die Menschen kennen und sie dennoch lieben«.

      Johann Christof und die Nationen

       Inhaltsverzeichnis

      Mit Leidenschaft und Vorgefühl sieht der junge Ungestüme die Menschen und versteht darum ihre Wesenheit nicht: mit Leidenschaft und Vorgefühl sieht er auch erst die Menschenfamilien, die Völker. Es bleibt ja notwendiges Verhängnis, daß wir zuerst – und viele ihr Leben lang – das eigene Land nur von innen kennen, das fremde nur von außen: erst wenn wir das eigene auch von außen kennen, das fremde von innen, in der Brust seiner eingeborenen Kinder, dann erst können wir europäisch sehen, können die verschiedenen Länder begreifen als ein notwendiges Nebeneinander, als eine Ergänzung. Johann Christof ist nun der Kämpfer um das Ganze des Lebens: deshalb ist sein Weg auch der des Nationalmenschen zum Weltbürger, zur »europäischen Seele«.

      Johann Christofs Anbeginn ist freilich wie immer Vorurteil. Erst überschätzt er Frankreich: er hat seine eingelernte Vorstellung von den künstlerisch frohen, freien Franzosen und faßt sein Deutschland als Beschränktheit. Der erste Blick in Paris wieder enttäuscht ihn: er findet nur Lüge, Lärm und Betrug. Erst allmählich entdeckt er, daß die Seele einer Nation nicht außen liegt wie ein Pflasterstein am Wege, sondern daß man sie aufgraben muß in ihren Menschen unter einer tiefen Schicht von Schein und Lüge. Bald gewöhnt er sich ab, zu sagen »die« Franzosen, »die« Italiener, »die« Juden, »die« Deutschen und ihre Eigenschaft wie Etiketten auf ein vorgestanztes Urteil zu kleben. Jedes Volk hat sein eigenes Maß, mit dem es gemessen sein will,