Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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alle, die ihm nahe kamen.« Einen großen Einfluß hat dann Wagners Biographie: die Flucht aus der Revolte nach Paris – wie Nietzsche sagt »aus der Tiefe seiner Instinkte« –, die jämmerlichen Arbeiten bei kleinen Verlegern, die Miseren des äußeren Lebens, all das ist oft fast wörtlich Wagners Novelle »Ein deutscher Musiker in Paris« in Johann Christofs Leben übernommen.

      Entscheidend aber wird die eben erschienene Hugo Wolf-Biographie Ernst Decseys auf die Umgestaltung der Hauptfigur, auf die fast gewaltsame Loslösung vom Beethoven-Bilde. Hier sind nicht nur einzelne Motive übernommen – der Haß gegen Brahms, der Besuch bei Hassler (Wagner), die Musikkritik im »Marsyas« (Wiener Salonblatt), die tragische Farce der verunglückten Penthesileaouverture und jener unvergeßliche Besuch bei dem fernen Verehrer (Professor Schulz-Emil-Kaufmann) –, sondern hier ist von innen heraus der Charakter, die musikalische Schaffensform Hugo Wolfs in die Seele Johann Christofs eingesenkt. Die dämonische, die vulkanische Art der Produktion, die oft in elementaren Ausbrüchen mit Melodien die Welt überströmt, vier Lieder an einem Tage in die Ewigkeit werfend, dann plötzlich auf Monate versiegt, der brüske Übergang von der Seligkeit des Schaffens in die finstere brütende Untätigkeit – diese tragische Form des Genies dankt Johann Christof dem Bilde Hugo Wolfs. Bleibt sein körperliches Leben in die wuchtigeren Formen Händels, Beethovens, Glucks gebannt, so nähert sich sein geistiger Typus mehr dem nervösen, krampfigen, sprunghaften des großen Lieddichters (nur daß Johann Christof noch dazu die selige Heiterkeit, die kindliche Freude eines Schubert in manchen hellen Stunden gegeben ist). Und hier ist sein Zwieklang: Johann Christof ist der alte Musiker, der klassische Typus und der moderne in einem, dem selbst manche Züge Gustav Mahlers und César Francks nicht fremd sind. Er ist nicht ein Musiker, Gestalt einer Generation, sondern die Sublimierung der ganzen Musik.

      Aber auch von Nicht-Musikern sind Elemente in Johann Christofs Gestalt verwoben: aus Goethes »Dichtung und Wahrheit« die Begegnung mit der französischen Schauspieltruppe, aus Tolstois Todesstunde jene Flucht in den Wald (wo auch zuerst im Bilde eines Umnachteten schattenhaft Nietzsches Antlitz für eine Sekunde hervorglänzt). Grazia ist thematisch die Unsterblich-Geliebte; Antoinette, in Anklang an eine nahe Gestalt, die rührende Schwester Renans, Henriette; in der Schauspielerin Marguerite Oudon erinnern Züge an das Schicksal der Duse, andere an die schauspielerische Art der Suzanne Desprès. In Emanuel wiederum vermengen sich Elemente aus dem Wesen Charles Louis Philippes und Charles Peguys mit Erfundenem, in leisen Andeutungen sieht man die Figuren Debussys, Verhaerens, Moréas’ im Hintergrund der Handlung sich erheben. Und in den Charaktertypen des Abgeordneten Roussin, des Kritikers Lévy-Coeurs, des Zeitungsunternehmers Gomache, des Musikalienhändlers Hecht haben sich beim Erscheinen der »Foire sur la place« manche getroffen gefühlt, die gar nicht gemeint waren, so kraftvoll typisch sind die Porträts einer niederen Wirklichkeit entnommen, die in ihrer unablässigen Wiederholung des Mittelmaßes ebenso ewig ist, wie die seltenen, die reinen Gestalten.

      Ein edles Bild aber, das Oliviers, scheint nicht der Welt entnommen, sondern ganz ersonnen, und eben dieses fühlen wir als das Lebendigste, wir, die wir es erkennen, weil es in vielen Zügen ein Selbstporträt ist, nicht so sehr des Schicksals als der menschlichen Wesenheit Romain Rollands. Wie die alten Maler hat er unmerklich sich selbst in leichter Verhüllung mitten in die historische Szenerie gestellt: es ist sein eigenes Antlitz, das zarte, schmächtige, feine, leicht vorgebeugte, seine Energie, diese ganz nach innen gewandte, in reinstem Idealismus sich verzehrende, sein Enthusiasmus diese klare Gerechtigkeit, die für sich, aber nie für die Sache resigniert. Freilich im Roman läßt dieser Sanfte, der Schüler Tolstois und Renans, dem geliebten Freunde die Tat und schwindet hin, ein Symbol einer vergangenen Welt. Johann Christof war nur ein Traum, die Sehnsucht des Sanften nach der Kraft: und diesen Traum seiner Jugend hat Olivier-Rolland selbst gestaltet, indes er sein eigenes Bild hinlöschte von der Tafel des Lebens.

      Heroische Symphonie

       Inhaltsverzeichnis

      Fülle der Gestalten und Geschehnisse, drängende Vielfalt der Gegensätze, sie eint nur ein Element: die Musik. Und Musik ist in Johann Christof nicht nur Inhalt, sondern auch Form. Nirgendwo kann man diesen Roman – nur die Einfachheit wählt immer dieses Wort – an eine epische Tradition anschließen, weder an jene Balzacs, Zolas und Flauberts, die Gesellschaft chemisch in die Elemente auflösen will, noch an jene Goethes, Gottfried Kellers und Stendhals, die eine Kristallisation der Seele versucht. Rolland ist kein Erzähler und auch nicht das, was man einen Dichter nennt: er ist Musiker und verwebt alles in Harmonie. Im letzten ist Johann Christof eine Symphonie, aus dem gleichen Geist der Musik geboren, aus dem Nietzsche die antike Tragödie entstehen läßt: ihre Gesetze sind nicht die des Erzählens, des Vortrages, sondern die des gebändigten Gefühls. Er ist Musiker und nicht Epiker.

      Rolland hat auch gar nicht das als Erzähler, was man einen Stil nennt. Er schreibt nicht ein klassisches Französisch, er hat keine stabile Architektonik des Satzes, keinen bestimmten Rhythmus, kein Kolorit des Wortes, keine persönliche Diktion. Er ist unpersönlich, weil er nicht den Stoff formt, sondern von ihm geformt wird. Er hat nur eine geniale Anpassungsfähigkeit an den Rhythmus des Geschehnisses, die Stimmung der Situation: er ist Resonanz, Widerschwingen des Gefühls. In der ersten Zeile ist schon immer der Anschlag wie in einem Gedicht: dann trägt der Rhythmus die Szene weiter und daher auch die kurzen knappen Episoden, die oft selbst wie Lieder sind, jedes von anderer Melodie getragen, und die rasch wieder verlöschen, anderer Stimmung, anderem Gefühl das Wort gebend. Es gibt kleine Präludien im Johann Christof, die reine Liedkunst sind, zarte Arabesken und Capriccios, Toninseln inmitten des rauschenden Meeres; dann wieder Stimmungen, finster wie Balladen, Nocturnos voll dämonischer Wucht und Traurigkeit. Wo Rolland aus musikalischer Inspiration schafft, zählt er unter die größten Künstler der Sprache. Daneben gibt es freilich wieder Stellen, wo der Historiker, der Zeitkritiker spricht: da löscht plötzlich jener Glanz aus, sie wirken wie kalte Rezitative in einem musikalischen Drama, die notwendig sind, um die Handlung zu binden, und die das ergriffene Gefühl doch gerne auslösen möchte, so sehr sie dem Geiste Anregung bieten. Der uralte Zwist zwischen dem Musiker und dem Historiker ist in diesem Werke noch zu spüren.

      Aber doch nur aus dem Geist der Musik kann man die Architektonik des Johann Christof begreifen. So plastisch auch alle Figuren herausgearbeitet sind, so wirken sie doch nur thematisch in das flutende Element des tönenden Lebens verwoben: das Wesentliche ist immer der Rhythmus, der von ihnen ausgeht und der am stärksten aus Johann Christof, dem Meister der Musik, strömt. Und man versteht den Bau, die innere architektonische Idee des Werkes nicht, wenn man die bloß äußerliche Einteilung des französischen Originals in zehn Bände betrachtet, die eine rein buchhändlerische ist. Die wesentlichen Cäsuren sind jene zwischen den kleinen Abschnitten, von denen jeder in einer andern sprachlichen Tonart geschrieben ist. Und nur ein Musiker, ein erlesener Musiker, dem die Symphonien der Meister vertraut sind, könnte im einzelnen nachweisen, wie hier ein episches Heldengedicht ganz als symphonisches Werk, als Eroica gebaut ist, wie hier die Form des umfassendsten Tongebildes transponiert ist in die Welt des Worts.

      Man erinnere sich nur an den wundervollen choralischen Einsatz: das Rauschen des Rheins. Eine Urkraft spürt man, Strom des Lebens, das von Ewigkeit zu Ewigkeit rauscht. Dann löst sich leise eine kleine Melodie los: das Kind Johann Christof ist geboren, geboren aus der großen Musik des Alls, um in sie weiterzurauschen, die unendliche, wo jede Welle sich wandernd verliert. Dramatisch treten die ersten Gestalten heran, leise verklingt der mystische Choral: es beginnt das irdische Drama einer Kindheit. Allmählich füllt sich der Raum mit Menschen, mit Melodien, Gegenstimmen antworten der zaghaften seinen, bis dann wie Dur und Moll die kraftvolle Männerstimme Johann Christofs, die zartere Oliviers den Mittelsatz beherrschen. Alle Formen des Lebens und der Musik entfalten sich dazwischen in Harmonien und Dissonanzen: jene tragischen Ausbrüche Beethovenscher Melancholie, die geistvollen Fugen über die Themen der Kunst, dörperische Tanzszenen (wie die im »Brennenden Dornbusch«), Hymnen an das Unendliche und Lieder an die Natur, rein wie jene Schuberts. Wunderbar ist alles ineinander gebunden, wunderbar löst sich wieder der stürmende Schwall. Leise verklingt der dramatische Tumult, die letzten Dissonanzen lösen sich in die große Harmonie. Und im letzten Bilde kehrt (begleitet von unsichtbaren Chören)