Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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schaffen, sind mit sich allein, jeder ein Heiland am Kreuz, jeder leidend für einen andern Glauben und doch für die ganze Menschheit.

      Die unvollendeten Biographien

       Inhaltsverzeichnis

      Schon auf dem Außenblatt der ersten, der Beethovenbiographie, war eine ganze Reihe heroischer Heldenstandbilder angekündigt: eine Lebensgeschichte des großen Revolutionärs Mazzini, für die Rolland durch Jahre mit Hilfe der gemeinsamen Freundin Malvida von Meysenbug die Dokumente bereits gesammelt hatte, eine Darstellung des Heldengenerals Hoche, des kühnen Utopisten Thomas Paine. Der ursprüngliche Plan umfaßte einen noch viel weiteren Sternenkreis geistiger Größe, manche Gestalt war schon in der Seele geformt, vor allem wollte Rolland in reiferen Jahren einmal die ihm so teure ruhevolle Welt Goethes im Bilde seines Wesens zeichnen, wollte Shakespeare danken für das Erlebnis seiner Jugend und der gütigen, allzu wenig menschlich bekannten Malvida von Meysenbug für eine entscheidende Freundschaft.

      Alle diese »vies des hommes illustres« sind ungestaltet geblieben (nur mehr wissenschaftliche Werke, wie jenes über »Händel«, »Millet« und die kleinen Studien Hugo Wolf, Berlioz, fördern die nächsten Jahre). Auch der dritte hochgespannte Schaffenskreis zerbricht, wieder endet große Bemühung als Fragment: nur ist es diesmal nicht Ungunst der Zeit, Gleichgültigkeit der Menschen, die Rolland von dem begonnenen Wege zurückweichen läßt, sondern eine tiefmenschliche moralische Erkenntnis. Der Historiker hat erkannt, daß seine tiefste Kraft, die Wahrheit, nicht vereinbar sei mit dem Willen, Enthusiasmus zu schaffen: in dem einzigen Falle Beethoven war es möglich gewesen, wahr zu bleiben und doch Tröstung zu geben, weil hier aus erhobener Musik selbst die Seele zur Freude emporgeläutert wird. Bei Michelangelo war schon eine gewisse Gewaltsamkeit vonnöten, um diesen, einer eingeborenen Traurigkeit verfallenen, unter Steinen selbst zum Marmor versteinernden Menschen als einen Sieger über die Welt zu deuten, auch Tolstoi verkündet mehr das wahre als das reiche, das rauschende, das lebenswerte Leben. Als er aber Mazzinis Geschick nachbildet, wird Rolland gewahr, da er die greisenhafte Verbitterung des vergessenen Patrioten mitfühlend durchforscht, daß er entweder fälschen müsse, um aus diesem Fanatiker ein Vorbild zu formen, oder den Menschen den Glauben an einen Helden nehmen. Es gibt, so erkennt er, Wahrheiten, die man aus Liebe zur Menschheit verbergen muß, und plötzlich erlebt er selbst den Konflikt, der das tragische Dilemma Tolstois war, »den furchtbaren Zwiespalt seiner unerbittlichen Augen, die das ganze Grauen der Wirklichkeit durchschauten, und seines leidenschaftlichen Herzens, das ihn immer verschleiern und die Liebe sich bewahren wollte. Wir alle haben diesen tragischen Kampf erlebt. Wie oft waren wir in der Alternative, etwas nicht sehen zu wollen oder zu verwerfen – wie oft fühlt sich ein Künstler von Angst befallen, wenn er diese oder jene Wahrheit hinschreiben soll. Denn dieselbe gesunde und männliche Wahrheit, die einem so natürlich ist wie die Luft, die man atmet, ist – man bemerkt es mit Entsetzen – für manche Brust, die durch Gewöhnung oder bloß Güte zu schwach ist, einfach unerträglich. Was soll man nun tun? Diese tödliche Wahrheit verschweigen, oder sie schonungslos aussprechen? Unablässig steht man diesem Dilemma gegenüber, die Wahrheit oder die Liebe.«

      Das ist nun Rollands niederdrückende Erkenntnis inmitten seines Werks: man kann nicht Geschichte der großen Menschen schreiben zugleich als Historiker im Sinne der Wahrheit und als Menschenfreund im Sinne der Erhebung und Vollendung. Denn ist selbst das, was wir Geschichte nennen, Wahrheit? Ist sie nicht auch in jedem Lande eine Legende, eine nationale Konvention, ist jede Gestalt nicht schon durch Absichten zweckhaft geläutert, geändert oder gemindert im Sinne einer Moral? Zum erstenmal wird sich Rolland des ungeheuren Relativismus, der Unübertragbarkeit aller Begriffe bewußt. »Es ist so schwer, eine Persönlichkeit darzustellen. Jeder Mensch ist ein Rätsel, nicht nur für die andern, sondern auch für sich selbst, und es liegt eine große Anmaßung darin, jemanden kennen zu wollen, der sich nicht einmal selbst kennt, dennoch aber kann man sich nicht verwehren zu urteilen, es ist eine Notwendigkeit des Lebens. Keiner von denen, die wir zu kennen vorgeben, keiner unserer Freunde, keiner jener, die wir lieben, ist so, wie wir ihn sehen – oft ist er in nichts dem Bilde gleich, das wir von ihm haben. Wir wandern inmitten der Phantome unseres Herzens. Und doch: man muß urteilen, man muß schaffen.«

      Gerechtigkeit gegen sich selbst, Gerechtigkeit gegen die teuren Namen, Ehrfurcht vor der Wahrheit, Mitleid mit den Menschen, hemmt mitten im Wege seinen Schritt. Rolland läßt die »heroischen Biographien«: lieber will er schweigen, als jenem »feigen Idealismus« zur Beute werden, der verschönt, um nicht zu verneinen. Er hält inne am Wege, den er für ungangbar erkannt, aber er vergißt nicht das Ziel, »die Größe auf Erden zu verteidigen«. Die Menschheit braucht hohe Bildnisse, einen Mythos vom Helden, um an sich selbst zu glauben. Und da die Geschichte nur durch Verschönerung den Trost solcher Bilder schenkt, sucht Rolland die Helden nun in einer neuen, einer höheren Wahrheit: in der Kunst. Selbst erschafft er nun Gestalten aus dem Blut unserer Gegenwart, in hundert Formen zeigt er das tägliche Heldentum unserer Welt und inmitten dieser Kämpfe den großen Sieger des Lebensglaubens: seinen – unsern Johann Christof.

       »Es ist zum Erstaunen, wie sich der epische und philosophische Gehalt in demselben drängt. Was innerhalb der Form liegt, macht ein so schönes Ganze, und nach außen berührt sie das Unendliche, die Kunst und das Leben. In der Tat kann man von diesem Roman sagen, er ist nirgends beschränkt als durch die rein ästhetische Form und wo die Form darin aufhört, da hängt er mit dem Unendlichen zusammen. Ich möchte ihn einer schönen Insel vergleichen, die zwischen zwei Meeren liegt.«

      Schiller an Goethe über »Wilhelm Meister«, 19. Oktober 1796

      Sanctus Christophorus

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem letzten Blatte seines großen Werkes erzählt Romain Rolland die Legende vom heiligen Christophorus. Man weiß: der Fährmann am Ufer ward nachts geweckt von einem Kinde, daß er es über den Fluß trage. Lächelnd nimmt der gute Riese die leichte Last. Aber da er den Strom durchschreitet, wird sie seinen Schultern schwer und schwerer, schon meint er hinsinken zu müssen unter dem immer mächtigeren Gewicht, aber noch einmal rafft er seine ganze Kraft. Und am Ufer im Morgenlicht zu Boden keuchend, erkennt Christophorus, der Träger des Christ, daß er den Sinn der Welt auf seinen Schultern getragen.

      Diese schwere lange Nacht der Mühe, Rolland hat sie selbst gekannt. Da er die Last dieses Schicksals, die Last dieses Werks auf seine Schultern nahm, meinte er, ein Leben zu erzählen, aber im Schreiten ward das anfänglich Leichte schwer: das ganze Schicksal seiner Generation, den Sinn unserer ganzen Welt, die Botschaft der Liebe, das Urgeheimnis der Schöpfung trug er dahin. Wir, die wir ihn schreiten sahen, einsam durch die Nacht des Unbekanntseins, ohne Helfer, ohne Zuruf, ohne freundlich winkendes Licht, wir meinten, er müsse erliegen. Und die Ungläubigen verfolgten ihn vom eigenen Ufer mit Hohn und Gelächter. Aber er schritt dahin, die zehn Jahre, indes der Strom des Lebens immer leidenschaftlicher um ihn schwoll, und kämpfte sich dem unbekannten Ufer der Vollendung entgegen. Mit gebeugtem Rücken, aber strahlenden Blicks hat er es erreicht. O lange, schwere Nacht der Mühe, die er einsam ging! O liebe Last, die er den Spätern brachte, von unserem Ufer aus an das noch unbetretene der neuen Welt! Nun ist sie geborgen. Als der gute Fährmann aufblickte, schien die Nacht vorbei, das Dunkel entschwunden. Feurige Röte stand am Himmel des Ostens, und schon meinte er freudig, es wäre der Morgen des neuen Tages, dem er dies Sinnbild des vergangenen entgegengetragen.

      Aber es war nur die Blutwolke des Krieges, die Flamme des brennenden Europa, die da tagte und die den Geist der vergangenen Welt verzehrte. Nichts blieb vom heiligen Erbe unseres Wesens als dies Vermächtnis, das hier gläubige Kraft vom Ufer des Einstigen stark herübergerettet hat in unsere neuverwirrte Welt. Der Brand ist gesunken, wieder ist es Nacht geworden. Aber Dank dir, Fährmann, Dank dir, frommer Wanderer, für deinen Weg durch die Dunkelheit, Dank für deine Mühe: Sie hat einer Welt Botschaft der Hoffnung gebracht, für uns alle bist du dahingeschritten durch die schwarze Nacht; denn die Flamme des Hasses wird doch einmal löschen, das Dunkel