Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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in diesen Worten. Seit der Veröffentlichung seines »Beethoven« hat Romain Rolland zwar noch keinen Erfolg, aber er hat mehr – er hat ein Publikum, eine Gefolgschaft, die nun treu seinem Werke folgt und die ersten Schritte des Johann Christof in den Ruhm begleitet. Dieser sein erster Erfolg ist gleichzeitig auch der erste Erfolg der »Cahiers de la Quinzaine«; die verborgene Zeitschrift wandert plötzlich von Hand zu Hand, zum ersten Male ist sie genötigt, eine zweite Auflage zu drucken, und Charles Peguy schildert ergreifend, wie das Erscheinen dieses Heftes, das die letzten Stunden Bernard Lazares tröstete (auch eines großen und namenlosen Unglücklichen), »eine sittliche Offenbarung« war. Zum erstenmal hat der Idealismus Romain Rollands Macht über die Menschen gewonnen.

      Ein erster Sieg über die Einsamkeit ist errungen: unsichtbare Brüder fühlt Rolland im Dunkel, sie harren auf sein Wort. Nur die Leidenden wollen um das Leiden wissen (und wie viele sind ihrer!); ihnen will er nun andere Gestalten zeigen, gleich groß in anderm Schmerz, gleich groß in anderer Überwindung. Aus der Ferne der Zeiten blicken ihn ernst die Gestalten der Gewaltigen an: ehrfürchtig naht er ihnen und tritt in ihr Leben.

      Michelangelo

       Inhaltsverzeichnis

      Beethoven ist für Rolland die reinste Gestalt des Leidbezwingers. Zur Fülle geboren, scheint er berufen, die Schönheit des Lebens zu verkünden: da zerbricht das Schicksal dem Körper das edelste Organ der Musik, wirft den Mitteilsamen in den Kerker der Taubheit. Aber der Geist erfindet sich neue Sprache, aus der Finsternis holt er sich das Licht, anderen dichtet er den Hymnus an die Freude, den sein zerschlagenes Ohr selbst nicht vernimmt. Doch nur eine von den vielen Formen des Leidens ist die körperliche, die hier das Heldentum des Willens bewältigt, »das Leid aber ist unendlich, es nimmt alle Formen an. Bald wird es durch die blinde Willkür des Geschickes bedingt: Unglück, Siechtum, Ungerechtigkeit des Schicksals, bald hat es seinen tiefsten Grund im eigenen Wesen. Dann ist es nicht weniger beklagenswert, nicht weniger verhängnisvoll, denn man wählt nicht seine Natur, man hat das Leben nicht so begehrt, nicht verlangt, zu sein, was man geworden ist.«

      Dies ist nun die Tragödie Michelangelos, den das Unglück nicht inmitten des Lebens überfällt, sondern dem es eingeboren ist, der den Wurm, den nagenden des Mißmuts, von der ersten Stunde an im Herzen trägt und dem er durch die achtzig Jahre seines Lebens mitwächst, bis das zerfressene Herz stille steht. Melancholie ist die schwarze Tönung all seines Gefühls: nie klingt rein – wie so oft aus Beethoven – der goldene Ruf der Freude aus seiner Brust. Aber seine Größe ist: dies Leiden auf sich zu nehmen wie ein Kreuz, ein anderer Christus mit der Last seines Schicksals zum täglichen Golgatha der Arbeit zu gehen, müde zu sein, ewig müde des Lebens, und doch nicht müde zu werden des Werks, selbst ein Sisyphus, der ewige Wälzer des Steins. Allen Zorn und alle Bitternis in den geduldigen Stein zum Kunstwerk zu hämmern. Für Rolland ist Michelangelo der Genius einer großen und entschwundenen Welt: der Christ, der unfreudige Dulder, indes Beethoven der Heide ist, der große Pan im Walde der Musik. In seinem Leiden ist auch Schuld, Schuld im Sinne der Schwäche, Schuld jener Verdammten Dantes im ersten Höllenkreise, die »eigenwilliger Traurigkeit sich hingeben«, er ist bemitleidenswert als Mensch, aber doch wie ein Gemütskranker, weil Widerspruch eines »heldenhaften Genies und eines Willens, der nicht heldenhaft war«. Beethoven ist Held als Künstler und noch mehr als Mensch, Michelangelo nur als Künstler. Als Mensch ist er der Besiegte, ungeliebt, weil nicht selbst der Liebe aufgetan, unbefriedigt, weil ohne Verlangen nach Freude: er ist der saturnische Mensch, unter dunklem Sternbild geboren, aber seinen eigenen Trübsinn nicht bekämpfend, sondern selbstgenießerisch nährend. Er spielt mit seinem Gram: »La mia allegrezza è la malinconia« – »Die Melancholie ist meine Freude« – und bekennt selbst, »daß tausend Freuden nicht eine Qual wert seien«. Wie durch einen finstern Stollen hämmert er sich mit dem Steinbeil von einem Ende seines Lebens bis zum andern einen unendlichen Gang zum Licht. Und dieser Weg ist seine Größe: er führt uns alle näher in die Ewigkeit.

      Rolland hat selbst gefühlt, daß dieses Leben Michelangelos ein großes Heldentum umschließt, aber keine unmittelbare Tröstung den Leidenden zu bringen vermag, weil hier ein Mangel nicht selbst mit dem Schicksal fertig wird, sondern noch einen Mittler jenseits des Lebens braucht – Gott, »die ewige Ausflucht all derer, denen es nicht gelingt, in unserer Welt zu leben, ein Glauben, der nichts anderes ist, als mangelnder Glaube an das Leben, an die Zukunft, an sich selbst, ein Mangel an Mut, ein Mangel an Freude. Wir wissen, auf wie viel Trümmern er aufgebaut ist, dieser schmerzende Sieg.« Er bewundert hier ein Werk und eine erhabene Melancholie, aber mit einem leisen Mitleid, nicht mit der rauschenden Inbrunst wie den Triumph Beethovens. Der Freigläubige, der auch in der Religion nur eine Form der Menschenhilfe und Erhebung sieht, wendet sich ab von dem menschenfeindlichen Lebensverzicht, der im Christentum des großen Florentiners liegt. Michelangelo gilt nur als Beispiel dafür, wieviel Schmerz eine irdische Existenz zu ertragen vermag: aber die dunkle Schale der Schicksalswage bleibt lastend auf seiner Seele liegen, es fehlt ihr das Gegengewicht der hellen Schale, die Freude, die allein das Leben wieder zur Einheit macht. Sein Vorbild zeigt Größe, aber warnende Größe. Wer solchen Schmerz in solchem Werk besiegt, ist zwar Sieger, aber doch nur ein halber Sieger: denn es genügt nicht, das Leben zu ertragen, man muß es – höchstes Heldentum – »erkennen und dennoch lieben«.

      Tolstoi

       Inhaltsverzeichnis

      Die Biographien Beethovens und Michelangelos waren aus einem Überschwang des Lebens gestaltet, Aufrufe zum Heroismus, Hymnen der Kraft. Die Biographie Tolstois, Jahre danach geschrieben, ist dunkler getönt, ein Requiem, eine Nänie, ein Totengesang. Selbst war Rolland schon dem Schicksal nahe gewesen, als das Automobil ihn hinschmetterte: der Genesende grüßt in der Todesbotschaft des geliebtesten Meisters großen Sinn und erhabene Mahnung.

      Das Bild Tolstois deutet Rolland in seinem Buche als eine dritte Form des heroischen Leidens. Beethoven fällt das Schicksal mitten im Leben an durch ein Gebrest, Michelangelo ist das Verhängnis angeboren: Tolstoi schafft es sich selbst aus freiem bewußtem Willen. Alles Äußerliche des Glücks verbürgt ihm Genuß: er ist gesund, reich, unabhängig, berühmt, er hat Haus und Hof, Weib und Kinder. Aber der Heroismus des Sorglosen ist, daß er sich selbst die Sorge schafft, den Zweifel um das rechte Leben. Der Peiniger Tolstois ist das Gewissen, sein Dämon der furchtbar unerbittliche Wille nach Wahrheit. Die Sorglosigkeit, das niedrige Ziel, das kleine Glück der unwahren Menschen, stößt er gewaltsam von sich, er bohrt sich wie ein Fakir die Dornen des Zweifels in die Brust, und mitten in der Qual segnet er den Zweifel: »Man muß Gott danken, unzufrieden mit sich zu sein. Der Zwiespalt des Lebens mit der Form, die es erreichen sollte, ist das wahrhafte Zeichen des wahren Lebens, die Vorbedingung alles Guten. Schlecht ist nur die Zufriedenheit mit sich selbst.«

      Gerade diese scheinbare Zerspaltenheit ist für Rolland der wahre Tolstoi, so wie der kämpfende Mensch für ihn immer der einzig wahrhaft lebendige ist. Während Michelangelo über dem irdischen noch ein göttliches Leben zu erblicken vermeint, sieht Tolstoi ein wahrhaftiges hinter dem zufälligen, und um dieses, das wahrhaftige, zu erreichen, zerstört er seinen Frieden. Der berühmteste Künstler Europas wirft die Kunst weg, wie ein Ritter sein Schwert, um barhaupt den Büßerweg zu gehen, er zerreißt das Band seiner Familie, unterwühlt seine Tage und Nächte mit fanatischer Frage. Bis zur letzten Stunde schafft er sich Unfrieden, um Frieden zu haben mit seinem Gewissen, ein Kämpfer für das Unsichtbare, das mehr ausdrückt als die Worte Glück, Freude und Gott zu sagen vermögen, ein Kämpfer für jene letzte Wahrheit, die er mit keinem teilen kann als mit sich selbst.

      Auch dieser heldenhafte Kampf spielt wie jener Beethovens und Michelangelos in entsetzlicher Einsamkeit, gleichsam im luftleeren Raum. Seine Frau, seine Kinder, seine Freunde, seine Feinde – niemand versteht ihn, alle halten ihn für einen Don Quichote, weil sie den Gegner nicht sehen, mit dem er ringt, und der ja er selbst ist. Keiner kann ihn trösten, keiner ihm helfen, und um mit sich zu sterben, muß er flüchten in eisiger Winternacht aus seinem reichen Haus und wie ein Bettler sterben an der