Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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Helden des Leidens

       Inhaltsverzeichnis

      Wie seine Revolutionsdramen, eröffnet Rolland auch den neuen Schaffenskreis mit einem Manifest, einem neuen Aufruf zur Größe. Sein »Beethoven« trägt das Vorwort wie eine Fahne voraus. »Die Luft ist drückend um uns. Das alte Europa erstickt in einer schwülen und unreinen Atmosphäre. Ein Materialismus ohne Größe drückt auf die Gedanken… die Welt siecht hin in ihrem klugen und feilen Egoismus. Die Welt erstickt, öffnen wir die Fenster! Lassen wir die freie Luft ein. Atmen wir die Seele der Helden.«

      Wen nennt Rolland nun einen Helden? Nicht mehr jene, die Massen führen und aufrühren, Kriege siegreich beenden, Revolutionen entzünden, nicht mehr die Männer der Tat und des todzeugenden Gedankens. Er hat die Nichtigkeit aller Gemeinsamkeit erkannt, hat unbewußt in seinen Dramen die Tragödie der Idee dargestellt, die nicht verteilt werden kann unter die Menschen wie Brot, sondern die sich in Hirn und Blut jedes Einzelnen sofort zu anderer Form, oft zu ihrem Widerspiel verwandelt. Wahre Größe ist für ihn nur Einsamkeit, der Kampf des Einzelnen mit dem Unsichtbaren. »Nicht jene nenne ich Helden, die durch Ideen oder durch Macht triumphiert haben. Helden nenne ich nur jene, die groß waren durch ihr Herz. Wie einer von den Größten (Tolstoi) gesagt hat: ich erkenne kein anderes Zeichen der Überlegenheit als die Güte. Wo der Charakter nicht groß ist, gibt es keinen großen Menschen, weder einen großen Künstler, noch einen großen Mann der Tat, es gibt nur Götzen für die Menge, hinstürzend mit der Zeit… Es handelt sich nicht darum, groß zu scheinen, sondern es zu sein.«

      Held also ist, der nicht um das Einzelne des Lebens kämpft, um einen Erfolg, sondern um das Ganze, um das Leben selbst. Wer dem Kampf ausweicht aus Furcht vor der Einsamkeit, ist ein Unterliegender; wer dem Leiden ausweicht und sich mit künstlicher Verschönerung über die Tragik alles Irdischen hinwegtäuschen will, ein Lügner. Nur der Wahrhaftige kennt das wahre Heldentum. »Ich hasse«, ruft er ingrimmig aus, »den feigen Idealismus, der die Augen abwendet von den Traurigkeiten des Lebens und den Schwächen der Seele. Gerade einem Volke, das für die trügerischen Illusionen klingender Worte allzu empfänglich ist, muß man es laut sagen: die heroische Lüge ist eine Feigheit. Es gibt nur einen Heroismus auf Erden und der besteht darin, das Leben zu erkennen – und es dennoch zu lieben.«

      Das Leiden ist nicht das Ziel des großen Menschen. Aber es ist seine Probe, der notwendige Filter aller Reinheit, »das schnellste Tier, das zur Vollkommenheit trägt«, wie Meister Eckehart sagt. So wie die Kunst des Leidens Prüfstein ist – »erst im Leiden erkennt man die Kunst wie alles andere recht, erst da wird man jener gewahr, die Jahrhunderte überdauern und stärker als der Tod sind« – so wird dem Großen das Erleiden des Lebens zur Erkenntnis, die Erkenntnis wieder gestaltet sich zu liebesfähiger Kraft. Aber nicht das Leiden selbst schafft schon die Größe: erst die große, die bejahende Überwindung des Leidens. Wer unter der Not des Irdischen zusammenbricht, und noch mehr jener, der ihr ausweicht, bleibt der unfehlbar Besiegte, und in seinem edelsten Kunstwerk wird der Sprung bei diesem Sturze sichtbar werden: nur wer aus der Tiefe aufsteigt, bringt Botschaft in die Höhen des Geistes, nur durch die Purgatorien des Lebens geht der Weg in die Paradiese. Diesen Weg muß jeder allein finden, aber wer ihn aufrecht schreitet, ist ein Führer und hebt die andern in seine Welt. »Die großen Seelen sind wie die hohen Gipfel. Der Sturm peitscht sie, Wolken hüllen sie ein; aber man atmet dort stärker als sonstwo. Die Luft hat dort eine Reinheit, die das Herz von seinen Flecken reinigt; und wenn die Wolken weichen, beherrscht man das Menschengeschlecht.«

      Diesen hohen Blick nach oben will Rolland die Leidenden lehren, die noch im Dunkel ihrer Qual sind. Er will ihnen die Höhe zeigen, wo das Leiden elementar und das Ringen heroisch wird. »Sursum corda«, »Empor die Herzen«, hebt der Hymnus an und endet vor den erhabenen Bildern des gestaltenden Schmerzes als des Lebens Lobgesang.

      Beethoven

       Inhaltsverzeichnis

      Beethoven, der Meister der Meister, ist die erste Figur in dem Heroenfries des unsichtbaren Tempels. Von frühester Stunde, seitdem die geliebte Mutter ihn die Finger im Zauberwald der Tasten wandern lehrte, war Beethoven Romain Rollands Meister gewesen, Mahner und Tröster zugleich. Und nie ist er ihm, so sehr sich seine Neigung über manche Liebe der Kindheit erhob, fremd geworden: »in den Krisen des Zweifels und der Zernichtung, die ich als Jüngling durchmachte, hat eine Melodie von Beethoven – die ich noch gut weiß – in mir den Funken des ewigen Lebens wieder erweckt«. Allmählich erwacht in dem ehrfürchtigen Schüler die Neigung, den Göttlichen auch in seiner irdischen Existenz zu kennen; Rolland reist nach Wien, sieht dort in dem Schwarzspanierhause (dem seither demolierten) die Stube, wo im Gewitter der Gewaltige hingegangen, er reist nach Mainz zum Beethovenfestspiel (1901) und tritt in Bonn in die niedere Dachkammer, die den Erlöser der Sprache über den Sprachen gebar; erschüttert empfindet er da und dort, aus welcher Enge der äußeren Existenz sich hier das Ewige entrungen. In Briefen und Dokumenten tut sich die grausame Geschichte des Alltags auf, aus dem der große Ertaubte in die Musik der inneren, der unendlichen Sphäre geflüchtet: schauernd begreift er die Größe des »tragischen Dionysos« in unserer nüchternen, harten, eckigen Welt.

      Über jenen Beethoventag in Bonn schreibt Rolland einen Aufsatz für die »Revue de Paris«»Les fêtes de Beethoven«. Aber er spürt, wie seine eigene Begeisterung den Anlaß zersprengt, sie will frei fluten als Hymnus, nicht sich eindämmen lassen durch kritische Betrachtung. Nicht den Musikern noch einmal den Musiker erklären, sondern den heroischen Menschen der ganzen Menschheit – das scheint ihm notwendig. Beethoven den Helden zu zeigen, der an das Ende eines unendlichen Leidens den höchsten Hymnus der Menschheit stellt, das gottselige Jauchzen der neunten Symphonie.

      »Teurer Beethoven«, so hebt der Begeisterte an. »Genug… andere haben seine Künstlergröße schon gepriesen, aber er ist viel mehr als der erste aller Musiker. Er ist die heroischeste Kraft der modernen Kunst, der größte und beste Freund all jener, die leiden und kämpfen. Wenn wir traurig sind über das Leiden der Welt, ist er es, der zu uns kommt, gleichsam als setzte er sich an das Klavier einer trauernden Mutter und tröstete die Weinende wortlos im Liede der entsagenden Klage. Und wenn wir müde werden des ewigen nutzlosen Kampfes gegen das Mittelmaß in Laster und Tugend, welche unsagbare Wohltat ist es dann, sich in diesem Ozean des Willens und der Gläubigkeit wieder rein zu baden. Eine Übertragung von Lebensmut, ein Glück des Kampfes geht von ihm aus, die Trunkenheit eines Gewissens, das in sich selbst den Gott fühlt. Welcher Sieg ist diesem gleich, welche Schlacht Bonapartes, welche Sonne von Austerlitz können sich mit dem Ruhm dieser übermenschlichen Anstrengung, diesem leuchtendsten Triumph des Geistes auf Erden messen, den ein Unglücklicher, ein Armer, ein Kranker, ein Einsamer, der Mensch gewordene Schmerz, dem das Leben die Freude verweigert, selbst als Freude erschafft, um sie der Welt zu geben. Er hämmert sie aus seinem Unglück, wie er selbst sagte in seinem stolzen Wort, das sein Leben zusammenschließt und die Devise jeder heroischen Seele ist: Durch Leiden Freude.«

      So spricht Rolland zu den Unbekannten. Und am Ende läßt er den Meister selbst aus seinem Leben sprechen: er schlägt das Heiligenstädter Testament auf, wo der Schamvolle einer späteren Welt anvertraut, was er der gegenwärtigen zu verschweigen bemüht war, seinen tiefsten Schmerz. Er offenbart das Glaubensbekenntnis des erhabenen Glaubenslosen, er zeigt in Briefen die Güte, die sich hinter einer künstlichen Rauheit vergebens zu verbergen mühte. Nie war das Menschliche in Beethoven vordem der neuen Generation so nahe geworden, nie so sieghaft der Heroismus dieser einsamen Existenz Zahllosen zur Anfeuerung geworden, wie in dem kleinen Buch, das zum Größten der Menschheit, zum Enthusiasmus, gerade die Verlassensten aufrief.

      Und geheimnisvoll: die angerufenen Brüder des Leidens scheinen, da und dort in die Welt verstreut, die Botschaft vernommen zu haben. Es wird kein literarischer Erfolg, dieses Buch, die Zeitungen schweigen es tot, die Literatur geht daran vorbei, aber Menschen, unbekannte fremde Menschen sind davon beglückt, sie geben es weiter von Hand zu Hand, eine mystische Dankbarkeit vereint zum ersten Male Gläubige um den Namen Rollands. Die Unglücklichen haben