Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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sein Wort: »Nicht nur, daß sie nichts taten, um das wechselseitige Mißverstehen zu vermindern und den Haß zu begrenzen, im Gegenteil: mit wenigen Ausnahmen haben sie alles getan, ihn auszubreiten und zu vergiften. Zum großen Teil war dieser Krieg ihr Krieg. Mit ihren mörderischen Ideologien haben sie Tausende von Gehirnen verführt und in frevelhafter Sicherheit ihrer Wahrheit, unbelehrbar in ihrem Stolze, Millionen fremder Existenzen für die Phantome ihres Geistes in den Tod getrieben.« Schuldig ist nur der Wissende oder der, dem die Möglichkeit gegeben war, wissend zu sein, der aber aus Trägheit der Vernunft und des Herzens, aus falscher Ruhmsucht oder Feigheit, aus Vorteilsgründen oder aus Schwäche sich einer Lüge hingegeben hat.

      Denn der Haß der Intellektuellen war eine Lüge. Wäre er eine Wahrheit, eine Leidenschaft gewesen, so hätte er die Schwätzer das Wort wegwerfen und eine Waffe ergreifen lassen müssen. Haß und Liebe kann nur Menschen gelten, nicht Begriffen, nicht Ideen, deshalb war der Versuch, Haß zwischen Millionen unbekannter Individuen zu säen und ihn »verewigen« zu wollen, ein Verbrechen gegen den Geist so sehr, wie gegen das Blut. Deutschland zu verallgemeinern in einen einzigen Gegenstand des Hasses, Treibende und Getriebene in eine seelische Verfassung, war bewußte Fälschung. Es gab nur eine Gemeinsamkeit: die der Wahrhaftigkeit und die der Lügner, die der Menschen des Gewissens und die der Phrase. Und so wie Rolland im Johann Christof das wahre Frankreich vom falschen, das alte Deutschland vom neuen sonderte, um die allmenschliche Gemeinsamkeit zu zeigen, so unternimmt er mitten im Kriege den Versuch, die erschreckende Ähnlichkeit der Kriegsvergifter in beiden Lagern an den Pranger zu stellen und die heroische Einsamkeit der freien Naturen in beiden Ländern zu feiern, um – gemäß jenem Worte Tolstois – der Pflicht des Dichters gerecht zu werden, der »Bindende zwischen den Menschen« zu sein. Die »cerveaux enchainés«, die »gefesselten Gehirne« seiner Komödie Liluli, tanzen in verschiedenen Uniformen hüben und drüben unter der Peitsche des Negers Patriotismus den gleichen indianischen Kriegstanz: die deutschen Professoren und die der Sorbonne haben eine erschreckende Ähnlichkeit in ihren logischen Sprüngen und die Haßgesänge eine groteske Gleichheit des Rhythmus und der Konstruktion.

      Das Gemeinsame aber, das Rolland zeigen will, soll zugleich eine Tröstung sein. Die Worte der menschlichen Erhebung sind freilich schwerer zu erspähen, als jene des Hasses, denn die freie Meinung muß durch einen Knebel sprechen, während die Lüge durch die Megaphone der Zeitungen dröhnt. Mühsam muß man die Wahrheit und die Wahrhaftigen suchen, weil der Staat sie versteckt, aber die beharrlich spürende Seele findet sie bei allen Völkern und Nationen. An Beispielen, Büchern und Menschen, deutschen wie französischen, beweist Rolland in diesen Aufsätzen, daß hüben und drüben, sogar oder gerade in den Schützengräben, ganz brüderliches Empfinden bei Tausenden und Abertausenden herrscht. Er veröffentlicht Briefe deutscher Soldaten neben denen französischer: sie sind in der gleichen menschlichen Sprache geschrieben. Er erzählt von der Feindeshilfe der Frauen und siehe: es ist die gleiche Organisation des Herzens inmitten der grausamen der Waffen. Er publiziert Gedichte von hüben und drüben: sie vereinen sich im Gefühl. Wie er einst in seinen »Biographien der Helden« den Leidenden der Welt zeigen wollte, daß sie »nicht allein seien, sondern die Größten aller Zeiten mit ihnen«, so sucht er denen, die inmitten der Tollheit sich in manchen Stunden selbst für Ausgestoßene halten, weil sie nichts von den gehässigen Empfindungen der Zeitungen und Professoren in sich fühlen, ihre unbekannten Brüder im Schweigen bekannt zu machen – wieder bemüht, die unsichtbare Gemeinde der freien Seelen zu vereinen. »Das gleiche Glück«, schreibt er, »das wir in diesen zitternden Märztagen beim Anblick der ersten aufschießenden Blumen empfinden, ich fühle es auch, wenn ich die zarten und kraftvollen Blüten menschlichen Mitleids die Eiskruste des Hasses Europas durchdringen fühle. Sie bezeugen, daß die Lebenswärme fortdauert und nichts sie zerstören kann.« Unerschütterlich setzt er »l’humble pèlerinage«, die »demütige Pilgerschaft« fort, bemüht, »unter den Ruinen die letzten Herzen zu entdecken, die dem alten Ideal der menschlichen Brüderschaft getreu blieben. Welche melancholische Freude, sie zu entdecken und ihnen zu Hilfe zu kommen.« Und um dieses Trostes, um dieser Hoffnung willen gibt er sogar dem Krieg, dem seit seiner frühesten Kindheit gefürchteten und gehaßten, einen neuen Sinn: »Der Krieg hat den schmerzvollen Vorteil gehabt, die Geister, die sich dem nationalen Hasse verweigern, auf der ganzen Welt zu vereinigen. Er hat ihre Kraft gestählt, zu einem ehernen Block, ihre Willen zusammengeschlossen. Wie doch jene sich täuschen, die meinen, die Ideen der Brüderlichkeit seien erstickt… Ich zweifle nicht im mindesten an der zukünftigen Einheit der europäischen Gemeinschaft. Sie wird wahr werden. Und der Krieg von heute ist nur ihre blutige Taufe.«

      Samariter der Seelen, sucht er so die Verzagten mit Hoffnung, dem Brot des Lebens, zu trösten. Vielleicht über seine eigenste innerste Meinung hinaus kündet er seine Zuversicht: und nur wer den Hunger der Zahllosen, in den Kerker eines Vaterlandes, hinter die Gitter der Zensur Gesperrten kannte, wird ermessen, was ihnen diese Manifeste des Glaubens, dies endlich vernommene Wort ohne Haß, diese Botschaft der Brüderlichkeit damals bedeutet haben.

      Die Gegner

       Inhaltsverzeichnis

      Daß in einer Zeit der Parteien keine Bestrebung undankbarer sein werde, als die zur Unparteilichkeit, darüber gab sich Rolland von allem Anbeginn keinem Zweifel hin. »Die Kämpfer sind heute nur in einem einig: alle jene zu hassen, die sich weigern, mitzuhassen. Wer nicht delirieren will wie die andern, wird verdächtig. Und in diesen Zeiten, da die Justiz sich nicht Zeit nimmt, Prozesse gründlich zu verfolgen, ist jeder Verdächtige schon ein Verräter. Wer darauf besteht, inmitten des Krieges den Frieden zwischen den Menschen zu verteidigen, der muß wissen, daß er seinen Glauben, seinen Namen, seine Ruhe, sein Ansehen und selbst seine Freundschaften aufs Spiel setzt. Aber was wäre eine Überzeugung wert, für die man nichts wagen wollte?« Rolland weiß also, daß der Platz zwischen den Fronten der gefährlichste ist, er weiß, was ihn erwartet, aber gerade die Gefahr stählt sein Gewissen. »Ist es tatsächlich nötig, wie die Volksweisheit sagt, den Krieg im Frieden vorzubereiten, so ist es nicht minder nötig, den Frieden im Krieg vorzubereiten. Diese Aufgabe scheint mir jenen zugeteilt, die sich selbst außerhalb des Gefechtes befinden und die durch ihr geistiges Leben nähere Verbindung mit dem Weltganzen haben – diese kleine Laienkirche, die heute besser als die andere ihren Glauben an die Einheit des menschlichen Gedankens bewahrt hat und für die alle Menschen Söhne des selben Vaters sind. Bringt es diese Überzeugung mit sich, daß wir beschimpft werden, so sind die Beschimpfungen eine Ehre für uns, die wir vor der Zukunft rechtfertigen werden.«

      Man sieht: Rolland war sich des Widerspruches im voraus bewußt. Aber die Wut der Angriffe gegen ihn übertrifft in erschreckender Weise alle Erwartungen. Die erste Welle kommt aus Deutschland. Die Stelle im Briefe an Gerhart Hauptmann: »Seid ihr Enkel Goethes oder Attilas?« und einige andere finden zorniges Echo. Ein Dutzend Professoren und literarische Schwätzer fühlen sich sofort bemüßigt, die französische Anmaßung zu »züchtigen«, und in der »Deutschen Rundschau« enthüllt ein engstirniger Alldeutscher das große Geheimnis, daß der Johann Christof unter der Heimtücke von Neutralität der gefährlichste Angriff Frankreichs auf den deutschen Geist gewesen sei.

      Aber diesen Wutausbrüchen geben die französischen nichts nach, sobald der Aufsatz »Au-dessus de la Mêlée« oder eigentlich bloß die Kunde davon bekannt geworden war. Denn französische Blätter durften zunächst – wer versteht dies heute noch? – dieses Manifest gar nicht abdrucken; die ersten Fragmente lernte man aus den Angriffen kennen, die Rolland als einen Verderber des Patriotismus an den Pranger stellten, eine Aufgabe, vor der Professoren der Sorbonne und Historiker von Ruf nicht zurückschreckten. Aus den einzelnen Angriffen wurde bald eine systematische Kampagne, statt Zeitungsartikel erschienen Broschüren und schließlich sogar das dicke Buch eines Hinterlandshelden mit tausend Beweisen, Photographien, Zitaten – ein ganzes Dossier, das seine Absicht gar nicht verhehlte, Material für einen Prozeß zusammenzustellen. Die niedrigsten Verleumdungen werden nicht gespart, wie die, Rolland sei während des Krieges dem deutschen Verein »Neues Vaterland« beigetreten, er sei Mitarbeiter deutscher Zeitungen, sein amerikanischer Verleger ein Agent des Kaisers, eine Broschüre beschuldigt ihn der bewußten Fälschung von Daten: und zwischen