Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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und dabei doch immer vorwärts schreitet auf seinem schweren Wege in Blut und in Schweiß – dieses Volk aller Menschen, die alle, alle unsere Brüder sind. Nur bewußt werden müssen sich die Menschen dieser Bruderschaft; deshalb sollten wir Wissenden hoch über den blinden Kämpfern die Brücke bauen zum Zeichen eines neuen Bundes, im Namen des einen und doch mannigfaltigen ewigen und freien Geistes.«

      Hunderte und Aberhunderte haben diese Worte seitdem zu den ihren gemacht, aus allen Ländern haben sich die Besten zu dieser Botschaft bekannt. Die unsichtbare europäische Republik des Geistes inmitten der Völker und Nationen ist errichtet: das Allvaterland. Ihre Grenzen sind jedem offen, der sie zu bewohnen begehrt, sie hat kein Gesetz als das der Brüderlichkeit, keinen anderen Feind als den Haß und den Hochmut der Nationen. Wer ihr unsichtbares Reich zur Heimat nimmt, ist Weltbürger geworden. Erbe, nicht eines einzelnen Volkes, sondern aller Völker, heimisch in allen Sprachen und Ländern, in aller Vergangenheit und aller Zukunft.

      Ausklang

       Inhaltsverzeichnis

      Geheimnisvoller Wellenschlag dieses Lebens, immer sich aufhebend in leidenschaftlicher Woge gegen die Zeit, immer niederstürzend in den Abgrund der Enttäuschung, um doch neu sich aufzuschwingen in vervielfachter Gläubigkeit! Wieder – zum wievielten Male! – ist Romain Rolland der große Besiegte der Umwelt. Keine seiner Ideen, keiner seiner Wünsche, seiner Träume hat sich verwirklicht: wieder hat Gewalt recht behalten gegen den Geist, die Menschen gegen die Menschheit.

      Aber nie war sein Kampf größer gewesen, nie seine Existenz notwendiger, als in jenen Jahren, denn nur sein Apostolat hat das Evangelium des gekreuzigten Europa gerettet und mit diesem Glauben einen anderen noch: den an den Dichter als den geistigen Führer, den sittlichen Sprecher seiner Nation und aller Nationen. Dieser eine Dichter hat uns vor der unauslöschlichen Schmach bewahrt, daß in unseren Tagen keine einzige Stimme sich wider den Wahnwitz des Mords und des Hasses erhoben hätte: ihm danken wir, daß das heilige Licht der Brüderlichkeit im stärksten Sturme der Geschichte nicht erloschen ist. Die Welt des Geistes kennt nicht den trügerischen Begriff der Zahl, in ihren geheimnisvollen Maßen wiegt der eine gegen alle mehr, als die Vielzahl gegen den einen. Nie glüht eine Idee reiner als in dem einsamen Bekenner, und an dem großen Beispiel dieses Dichters haben wir wieder in dunkelster Stunde erkannt: ein einziger großer Mensch, der menschlich bleibt, rettet immer und für alle den Glauben an die Menschheit.

      Nachlese

       Inhaltsverzeichnis

       1919 - 1925

      Nichts Erfreulicheres kann dem Biographen einer zeitgenössischen Persönlichkeit widerfahren, als wenn die geschilderte Gestalt das geschriebene Werk durch neue Verwandlung und Entfaltung überholt: denn ist es nicht besser, ein Bildnis veralte und erkalte als der schöpferische Mensch? So müßte auch diese Darstellung heute, sechs Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, in einigen Belangen als überholt gelten, und die Verlockung läge nahe, sie anläßlich einer der Neuauflagen bis an die gegenwärtige Stunde heran umzuformen. Aber nicht Trägheit weigert sich in mir gegen diese Versuchung, sondern ich halte den gegenwärtigen Augenblick für eine neuerliche Abrundung noch für verfrüht. Jedes Leben hat eine innere Architektonik, deren verkleinerten Maßstab eine rechtschaffene Biographie in sich eingezeichnet tragen muß: aber der Schwerpunkt muß immer wieder neu gefunden werden, denn nur in bestimmten Zeitwenden, aus einer gewissen Distanz offenbart sich diese unablässig fortgebaute verborgene Form. Entfaltet sich nun ein künstlerisches Leben wie gerade jenes Rollands immer – ich versuchte es in diesem Buche zu zeigen – in weitausholenden zyklischen Kreisen, so erscheint es geboten, vorsorglich abzuwarten, bis diese Kreise ihren Raum erfüllt und ihren geistigen Kosmos zu Ende gestaltet haben.

      Eben nun erlebt Romain Rolland einen solch weitausholenden, sich selbst überholenden Augenblick seiner Produktion, und man wäre an seinen gegenwärtigen Plänen, von denen nur Teile publiziert sind, ebenso voreilig verräterisch, als wenn man versucht hätte, seinerzeit nach dem dritten oder vierten Band des Johann Christof schon den Umfang und die Absicht dieses Weltbuches zu ermessen. Gerade weil die Fundamente bereits gefestigt und offen hegen, ziemt es, zu warten und nach alter Baumannsart den flatternden Kranz erst auf den vollendeten Dachfirst zu heften.

      Darum bescheidet sich dieses Nachwort damit, einzig chronistisch zu ergänzen, was Rolland seit Abschluß dieser Biographie seinem damals gerundeten Werke noch beigefügt hat: wie altes Beginnen noch einmal unvermutete neue Förderung durch die Zeit erfuhr und die Zeit wiederum eine neue Deutung durch dies schöpferische Beginnen.

      Der Krieg hatte wie für jeden Menschen, der im hegelschen oder unhegelschen Sinne unbewußt an eine wirkende Vernunft in geschichtlichen Geschehnissen glaubt, auch für Rolland mit einer schweren Enttäuschung geendet. Nicht nur Amerika in der Gestalt Wilsons, sondern auch Europa in den fragwürdigen Erscheinungen seiner Politiker und Intellektuellen hatte vollkommen versagt. Die russische Revolution, die wie eine Morgenröte besseren Willens für einen Augenblick von ferne geleuchtet hatte, war zu einem Feuerorkan geworden, und das zertretene Europa fand ein ermüdetes Geschlecht.

      Aber ich nannte es ja das ewige Geheimnis Rollands, sich aus allen seinen Enttäuschungen immer wieder Gestalten zu schaffen oder hervorzurufen, aus deren Tat, deren Werk, aus deren Namen eine neue Kraft des Willens und der Hoffnung die Menschen überströmt. So hatte er seinerzeit in der schwersten Krise seines eigenen Lebens sich die Gestalt Beethovens beschworen, des göttlichen Dulders, der Göttliches gerade aus seinem Dulden schafft. So hatte er in den Zeiten der Zwietracht die Brüder aus zwei Nationen, Johann Christof und Olivier, in die Welt gesandt, – und nun stellt er in die moralische Enttäuschung, die physische Ermattung und seelische Niedergebrochenheit der Nachkriegswelt seinen Helden von einst, Beethoven, Michelangelo, Tolstoi, einen neuen Namen zur Seite, nun aber einen lebendigen, einen zeitgenössischen Menschen, den Zeitgenossen zum Trost: Mahatma Gandhi.

      Diesen Namen hatte vor ihm niemand in Europa ausgesprochen, niemand den kleinen schmächtigen, indischen Advokaten gekannt, der allein und mutiger als alle Feldherren des Weltkriegs mit dem mächtigsten Reiche der Welt um eine welthistorische Entscheidung rang. Unsere europäischen Dichter und Politiker sind gleicherweise kurzsichtig: immer starren sie nur gerade bis an die nächsten Grenzen hin, das eigene individuelle Schicksal ihrer Nation mit dem europäischen, mit dem universellen eitel verwechselnd. Und es ist eine der Taten Rollands, als erster die ungeheure moralische Tat Mahatma Gandhis als zentrales und moralisches Problem auch unserer Welt aufgeworfen zu haben. Hier war endlich einmal in Wirklichkeit großartig und vorbildlich gestaltet, was er seit Jahren immer als höchste Form menschlichen Daseins erträumt hatte: der Kampf ohne Gewalt. Mit nichts wird ja Romain Rollands Wesen falscher, undeutlicher und verkehrter formuliert als (so häufig) mit dem verwaschenen Wort des »Pazifisten« im Sinne einer weichen, nachgeberischen, buddhistischen Friedfertigkeit, einer Gleichgültigkeit gegen den Druck und Drang aktiver impulsiver Mächte. Nichts schätzt Rolland im Gegenteil höher als die Initiative, die Kampflust um die als wahr und wesentlich erkannte Lebensidee: nur der Massenkrieg, die uniformierte Brutalität, die Anspannung auf Kommando, die Entpersönlichung des Ideals und der Tat will ihm das furchtbarste Verbrechen an der Freiheit erscheinen. In Mahatma Gandhi und seinen dreihundert Millionen offenbart sich ihm nun – ein Jahr nach der europäischen Metzelei von zwanzig Millionen Männern – eine neue Form des Widerstands, ebenso wirksam, ebenso solidarisch, aber ethisch unendlich reiner, persönlich unendlich gefährlicher als das Schießprügeltragen des Okzidents. Mahatma Gandhis Krieg entbehrt aller jener Elemente, die den Krieg für unsere Epoche so erniedrigt haben, er ist »ein Kampf ohne Blut, ein Kampf ohne Gewalt, vor allem ein Kampf ohne Lüge«. Seine Waffe ist einzig die »Non-resistance«, das Nicht-Widerstehen, die »heroische Passivität«, die Tolstoi gefordert, und die »Non-cooperation«, die Nicht-Teilnahme an allem Staatlichen und Solidarischen Englands, die Thoreau gepredigt. Nur mit dem Unterschiede, daß Tolstoi, indem er jeden einzelnen isoliert im Sinne des Urchristentums (im praktischen Sinne also zwecklos)