Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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sein Element. Bei Goethe fühlt man von der dichterischen Prosa (besonders der Jugendbriefe) gar keinen scharfen Übergang, keine Zäsur zum Vers, zum Gedicht: gleichsam amphibisch lebt er in beiden Welten, in Prosa und Poesie, in Fleisch und Geist. Hölderlin dagegen hat im Sprechen eine schwere Lippe, seine Prosa in Brief und Aufsatz stolpert über philosophische Formeln stockig hin, sie ist ungelenk im Vergleich zur göttlichen Leichtigkeit der ihm natürlichen gebundenen Rede: wie jener »Albatros« im Gedicht Baudelaires kann der auf der Erde nur ungeschickt sich hinschleppen, der in Wolken selig schwebt und ruht. Hat sich Hölderlin aber einmal in die Begeisterung abgestoßen, so flutet ihm der Rhythmus gleichsam wie feuriger Atem von der Lippe, wunderbar bindet sich in kunstvollen Verschränkungen die schwere Syntax, die blendendsten Inversionen kontrapunktieren sich mit einer strahlenden, einer zauberhaften Leichtigkeit: durchsichtig wie feinster Stoff, wie die gläserne Schwinge eines Insektes läßt das »wehende Lied« durch seine klingenden, leuchtenden Flügel den Äther und sein unendliches Blau fühlen. Gerade was bei den anderen Dichtern das Seltenste ist, die Durchgängigkeit des erhobenen Zustandes, das Nicht-Aussetzen im tönenden Gesang, gerade dies ist für Hölderlin das Allernatürlichste: im »Empedokles«, im »Hyperion« stockt der Rhythmus niemals, sinkt nicht eine Zeile für einen Augenblick zur Erde zurück. Es gibt keinen Prosaismus mehr für den Enthusiasmierten: er spricht Dichtung wie eine fremde Sprache, im Vergleich zur Prosa des Lebens.

      Diese Herrlichkeit, diese absolute Losgelöstheit von allem Prosaismus, dieser Freischwung im ätherischen Element ist Hölderlin nicht von Anfang gegeben; die Gewalt und Schönheit seines Gedichts wächst in dem Maße, als der Dämon, die Urgewalt seines Innern, die Bewußtheit in ihm verdrängt. Hölderlins poetische Anfänge sind wenig bemerkenswert und vor allem vollkommen unpersönlich: die Kruste über der innern Lava ist noch nicht gesprengt. Der Beginner zeigt sich durchaus als Nachahmer, Anempfinder, ja in einem kaum mehr erlaubten Maß, denn nicht nur die strophische Form und den geistigen Habitus borgt der Schüler von Klopstock, sondern schiebt ganze Zeilen und Strophen unbedenklich in seine Vershefte aus den Oden hinüber. Bald aber kommt Schillers Einfluß in das Tübinger Stift; er, von dem er »unverständlich dependiert«, reißt ihn mit sich in seine Gedankenwelt, in seine klassische Atmosphäre, in seine gebundene Reimform, in seinen strophischen Schwung. Aus der bardischen Ode wird rasch die wohllautende, geschliffene, mythologisch durchdeutete Schillersche Hymne, die breitrollende und tönende: hier erreicht Nachbildung nicht mehr das Original, sondern übertrifft des Meisters ureigenste Formen (mir zumindest will immer Hölderlins »An die Natur« schöner als das schönste Schillersche Gedicht erscheinen). Aber schon verrät ein ganz leise angeschlagener elegischer Ton selbst in diesen schematischen Gebilden die urpersönlichste Hölderlinsche Melodik: er braucht diesen Tonfall nur zu verstärken, sich ganz jenem Schwung ins Höhere, ins Idealische hinzugeben, die antikische Form abzutun und dafür die wahrhaft antike zu wählen, die freie und nackte, die sich nicht mehr in Reime einengen läßt und das Hölderlinsche Gedicht ist geboren, das »wehende Lied«, der reine Rhythmus.

      Aber auch den letzten Rest vom Systematischen, vom Schillerisch-Konstruktiven, den er übernommen, stößt er endlich von sich. Er erkennt das großartig Gesetzlose, das herrisch am Rhythmus Aufströmende der wahren Lyrik, und wenn Bettinens Berichte sonst immer unzuverlässig sind, in jener Erzählung von Sinclair läßt sie ihn doch seine wahrsten Worte sagen. »Geist gehe nur durch Begeisterung hervor, nur allein dem füge sich der Rhythmus, in dem der Geist lebendig werde. Wer erzogen werde zur Poesie in göttlichem Sinn, der müsse den Geist des Höchsten für gesetzlos anerkennen über sich und müsse das Gesetz ihm preisgeben: nicht wie ich will, sondern wie du willst.« Zum erstenmal ringt sich Hölderlin von der Vernunft, von dem Rationalismus in der Dichtung frei und läßt sich überraschen von der Urgewalt. Das Dämonisch-Überschwengliche bricht rauschend, bricht rhythmisch durch, seit es sich vom Gesetz losgesagt und dem Rhythmus hingegeben hat. Und nun erst quillt aus der Tiefe seines Seins, seiner Sprache die ihm urtümliche Musik, der Rhythmus, diese chaotisch wilde und doch eigenpersönliche Gewalt, von der er sagt, »alles sei Rhythmus, das ganze Schicksal des Menschen sei ein himmlischer Rhythmus, wie auch jedes Kunstwerk ein einziger Rhythmus sei«. Jede Regelmäßigkeit der lyrischen Architektonik verschwindet, nur seiner eigenen Melodie spricht das Hölderlinsche Gedicht orphisch nach: in der ganzen deutschen Lyrik gibt es kaum Gedichte, die so ganz auf dem Rhythmus ruhen wie jene Hölderlins. Indes Schillers Gedichte, Zeile für Zeile, und die meisten Goethes im Wesenhaftesten in fremde Sprachen übertragbar sind, verweigert sich das Hölderlinsche Gedicht vollkommen jeder Verpflanzung, weil es selbst innerhalb der deutschen Sprache in einem Jenseits des sinnlichen Ausdrucks sich entäußert. Sein letztes Geheimnis bleibt Magie, unnachbildbar und heilig einmaliges Geschehen in der Sprache.

      Dieser Hölderlinsche Rhythmus nun ist durchaus kein stabiler wie etwa jener Walt Whitmans (dem er im Verlangen breithin rollenden fluthaften Wortes oftmals ähnlich ist). Walt Whitman hatte gleich im Anbeginn seinen Wesenstakt, seine dichterische Sprachform gefunden: nun spricht er in dieser einen rhythmischen Atemstärke sein ganzes Werk hindurch, zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahre. Bei Hölderlin dagegen verwandelt, verstärkt, verbreitert sich der Rhythmus der Rede unablässig, er wird immer rollender, rauschender, ungefüger, stoßhafter, verworrener, elementarer und gewitterhafter. Er beginnt wie eine Quelle, zart, tönend, als wandernde Melodie, und endet tosend und herrlich aufschäumend wie ein Sturzbach. Und dieses Freiwerden, dies Herrisch-und Selbstherrlichwerden des Rhythmus, sein Überschwang und Ausbruch geht geheimnisvoll (wie bei Nietzsche) Hand in Hand mit der inneren Selbstzerstörung, mit der Verwirrung der Vernunft. Der Rhythmus wird genau in dem Maße freier, als die logische Bindung im Geistigen sich lockert: schließlich kann der Dichter den mächtig aus sich aufschwellenden Schwall nicht mehr dämmen und wird von ihm überflutet, als seine eigene Leiche schwimmt er hin auf den rasenden Wassern des Gesangs. Diese Entwicklung zur Freiheit, dieses Sich-Losreißen, Sich-Selbstherrlichmachen des Rhythmus (auf Kosten der Bindung und geistigen Ordnung) geht im Hölderlinschen Gedichte ganz allmählich vor sich: zuerst hat er den Reim, die klirrende Fußkette von sich gestoßen, dann das über die breitatmende Brust zu enge Kleid der Strophe gesprengt; antikisch nackt lebt nun das Gedicht seine körperhafte Schönheit aus und eilt wie ein griechischer Läufer dem Unendlichen entgegen. Alle gebundenen Formen werden dem Inspirierten allmählich zu enge, alle Tiefen zu seicht, alle Worte zu dumpf, alle Rhythmen zu schwertönig – die ursprünglichste klassische Regelmäßigkeit des lyrischen Baues überwölbt sich und bricht, der Gedanke schwillt immer dunkler, mächtiger, gewitterhafter aus Bildern empor, immer tiefer und voller wird gleichzeitig das rhythmische Atemholen, großartig kühne Inversionen binden oft ganze Strophenreihen in einen Satz zusammen – aus den Gedichten werden Gesänge, hymnischer Anruf, prophetische Schau, heroisches Manifest. Die Mythisierung der Welt hat für Hölderlin begonnen, das Alldichtungwerden des ganzen Seins. Europa, Asien, Germanien, traumhafte Landschaften des Geistes dämmern wie Wolken heran aus einer ganz unwahrhaftigen Ferne, magische Zusammenhänge verschwistern in erschütternden Improvisationen Fern und Nah, Traum und Erlebnis. »Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt« – Novalis’ Wort von der letzten Auflösung des Dichters erfüllt sich nun für Hölderlin. Überwunden ist die persönliche Sphäre. »Liebeslieder sind müder Flug«, schreibt er in jenen Tagen, »ein anderes ist das hohe und reine Frohlocken vaterländischer Gesänge«: so bricht ein neues Pathos sich aus der überfließenden Empfindung vulkanisch Bahn. Der Überlauf ins Mystische beginnt: Zeit und Raum sind versunken in purpurner Finsternis, Vernunft ist vollkommen der Inspiration geopfert, es sind keine Gedichte mehr, sondern »dichtendes Gebet«, durchflackert von Blitzen und umhüllt von pythischen Dämpfen: aus der jünglinghaften Begeisterung des beginnenden Hölderlin ist dämonische Trunkenheit geworden, heiliges Rasen. Etwas merkwürdig Wegloses geht durch diese großen Gedichte: sie fahren steuerlos in ein unendliches Meer, niemandem gehorchend als dem Gebot des Elements, dem Tönen von jenseits her, jedes einzelne ein »bateau ivre«, das mit zerbrochenem Ruder den Katarakt singend hinabschießt. Am Ende ist schließlich Hölderlins Rhythmus so weit auseinandergespannt, daß er zerreißt, die Sprache so verdichtet und gesättigt, daß sie sinnlos wird, nur noch »Tönen aus dem prophetischen Haine Dodonas« – der Rhythmus vergewaltigt die Idee, er wird »wie der Weingott törig göttlich und gesetzlos«. Der Dichter und das Gedicht, beide vergehen im höchsten Übermaß, in der äußersten Ergießung der Kräfte ins Unendliche. Hölderlins Geist vergeht, verweht spurlos im Gedicht, und der Geist des Gedichtes wiederum verlischt