Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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Gehirn noch der ewige Klang des Elements.

      Endlich, von leisem Grauen bewegt, klopft der Horchende an die Tür: ein dumpfes, aufgescheuchtes und wahrhaft erschrockenes »Herein« antwortet. Eine hagere Gestalt, ein E.T.A. Hoffmannscher Kanzlist steht inmitten im kleinen Gemach, die zarte Figur nur wenig vom Alter gebeugt, obwohl das Haar schon weiß und dünn über die schön geschwungene Stirn fällt. Fünfzig Jahre Leiden und Einsamkeit haben den Adel des einstigen Jünglings nicht ganz zu zerstören vermocht; noch schneidet, nur geschärft an der Schneide der Zeit, die Linie rein die Silhouette von den zart gewölbten Schläfen zum herben Mund und geballten Kinn. Manchmal reißen die Nerven mit jähem Ruck quer durch das gequälte Gesicht: durch den ganzen Körper bis in die knöchernen Fingerspitzen zuckt dann der elektrische Schlag. Aber entsetzlich unbewegt bleibt dabei das einst so schwärmerische Auge: grauenhaft stumm und blicklos wie eines Blinden ruht seine Pupille stumpf unter den Lidern. Doch irgendwo glüht und flackert noch Wissen und Leben in diesem geisternden Schatten: schon bückt sich dienerisch und übertrieben mit unzähligen Verbeugungen und Reverenzen wie vor unermeßlich hohem Besuch der arme Scardanelli. Ein Strom devoter Ansprachen »Eure Hoheit! Eure Heiligkeit! Eure Eminenz! Eure Majestät!« gurgelt erregt aus den beflissenen Lippen, und mit erdrückender Höflichkeit geleitet er den Gast zum ehrfürchtig hingeschobenen Stuhl. Ein wirkliches Gespräch kommt kaum in Gang, denn der Fahrige und Verwirrte vermag nicht einen Gedanken festzuhalten und logisch zu entwickeln; je krampfiger er sich bemüht, die Ideen zu ordnen, um so mehr verknäulen sich ihm die Worte zu einem dumpfen Sprudeln stammeriger Laute, die nicht mehr der deutschen Sprache angehören, sondern barocke, phantastische Lautgebilde sind. Einzelne Fragen versteht er noch mühsam, noch dämmert im verdunkelten Gehirn ein Schatten von Helligkeit, wenn man Schiller nennt oder sonst eine vergangene Gestalt anruft. Spricht aber ein Unvorsichtiger den Namen Hölderlins aus, so wird Scardanelli zornig und losfahrend. Allmählich wird der Kranke im verlängerten Gespräch unruhig und nervös, weil die Anstrengung des Denkens und die Qual der Zusammenfassung zu groß ist für sein ermüdetes Gehirn: so läßt ihn der Besucher, von Bücklingen und Reverenzen erschüttert, zur Türe begleitet.

      Aber seltsam: in dem vollkommen Umnachteten, den man nicht mehr ins Freie lassen darf (weil die geistige Elite Deutschlands, die Herren Studenten, den Unglücklichen verhöhnen und durch Bierulk zu rabiatem Ausbruch treiben), in dieser ausgebrannten Asche eines eingestürzten Geistes bleibt ein Funke noch glühend bis zum letzten Tag: die Dichtung. Nur sie allein überlebt, symbolisch genug, den geistigen Untergang. Scardanelli dichtet, wie das Kind Hölderlin gedichtet haben mag. Stundenlang schreibt er ganze Bogen mit Versen und einer phantastischen Prosa voll – Mörike, der sie achtlos vertan, erzählt, man habe ihm diese Manuskripte »in Waschkörben zugetragen« –; und wenn ein Besucher ihn um ein Gedenkblatt bittet, so setzt er sich ohne Zögern hin und schreibt mit sicherer Hand (auch die Schrift ist unberührt von der Zerstörung) ganz nach Wunsch Verse über die Jahreszeiten oder Griechenland oder ein »Geistiges« hin, wie etwa dies:

       Als wie der Tag die Menschen hell umscheinet Und mit dem Lichte, das den Höhn entspringet, Die dämmernden Erscheinungen vereinet, Ist Wissen, welches tief der Geistigkeit gelinget.

      Darunter schreibt er dann ein abstruses Datum (im Realen verläßt ihn sofort die Vernunft) und »mit Untertänigkeit Scardanelli«.

      Diese Gedichte des erloschenen Wachsinns, diese Verse Scardanellis sind nun vollkommen von jenen der geistigen Dämmerung, der purpurnen Finsternis, von den schwellenden Oden der »Nachtgesänge« verschieden: in ihnen vollzieht sich eine geheimnisvolle Rückbildung zu den Anfängen. Keines von ihnen ist frei rhythmisch wie jene Hymnen an der Schwelle der Dunkelheit, alle kurzen Atems im Gegensatz zu jenen breiten rauschenden Strömen. Es ist, als ob der Ermüdbare und geistig Schwankende sich fürchtete, in freier Ode hinab in den reißenden Katarakt des Rhythmus zu stürzen; so hält er sich am Reim wie an einer Krücke. Keines von diesen Gedichten ist vernünftig im Sinne der Klarheit und keines gänzlich sinnlos; sie sind nicht mehr Form, sondern nur Klangform, irgendeinem Vagen der Bedeutung, das er nicht logisch mehr festzuhalten vermag, lyrisch nachgesprochen. Aber immerhin, diese Wahnsinnsgedichte Scardanellis sind doch noch Gedichte, indes jene der anderen Geisteskranken, etwa jene Lenaus aus der Winnenthaler Anstalt, ganz leer dem bloßen Klangreim nachtorkeln (»Die Schwaben, sie traben, traben, traben«). Noch wölben sich wolkig und undurchsichtig Vergleiche, noch wird erschütternd oft der Seelenzustand in einem Aufschrei wahr wie in jenem unvergleichlichen Vierzeiler:

       Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen. Der Jugend Freuden sind wie lang! wie lang! verflossen. April und Mai und Junius sind ferne, Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.

      Das sind Verse nicht so sehr eines Irren, als eines Kinddichters, eines geistig ganz zum Kinde gewordenen großen Dichters; sie haben das Naive und Zwanglose infantiler Anschauung, niemals aber etwas Abruptes und Monströses, eine närrische Überstiegenheit. Wie in der Fibel reiht sich Bild an Bild, und mit der Naivität des Klapphornverses reimt sich die erhoben gesprochene Zeile. Kann ein Kind, ein siebenjähriges, eine Landschaft reiner und einfältiger sehen als Scardanelli, wenn er dichtet:

       Oh, vor diesem sanften Bilde, Wo die grünen Bäume stehn, Wie vor einer Schenke Schilde, Kann ich kaum vorübergehn. Denn die Ruh an stillen Tagen Dünkt entschieden trefflich mir. Dieses mußt du gar nicht fragen, Wenn ich soll antworten dir.

      Ohne Nachdenklichkeit, ganz nur vom zufälligen Wind des Gefühls getrieben, absolut improvisatorisch also, schweben Bilder musikalisch auf und vorbei, Spiel eines seligen Kindes, das nichts vom Wirklichen weiß als die Farben und die Klänge, das lose Verbundene der Formen. Wie eine Uhr, deren Zeiger zerbrochen sind und in der innen noch das Werk sinnlos weitertickt, so dichtet Scardanelli-Hölderlin ins Leere einer erloschenen Welt hinein: Atmen ist für ihn Dichten. Der Rhythmus überlebt in ihm den Verstand, die Poesie das Leben: so erfüllt sich in furchtbar tragischer Verzerrung doch noch der tiefste Wunsch seines Lebens, ganz Dichtung zu werden, mit der ganzen Existenz restlos im Poetischen aufzugehen. Der Mensch in ihm stirbt vor dem Dichter, die Vernunft vor der Melodie; und Tod und Leben zusammen gestalten ihm bildnerisch als Schicksal, was einstens sein seherischer Wunsch als das wahre Ende der wahren Dichter gekündet: »In Flammen verzehrt die Flamme zu büßen, die wir nicht zu bändigen vermocht.«

      Heinrich von Kleist

       Inhaltsverzeichnis

       Die abgestorbne Eiche steht im Sturm, Doch die gesunde stürzt er schmetternd nieder, Weil er in ihre Krone greifen kann.

      Penthesilea

      Der Gejagte

       Inhaltsverzeichnis

       Ich bin dir wohl ein Rätsel. Nun tröste dich; Gott ist es mir.

      Die Familie Schroffenstein

      Es gibt keine Windrichtung Deutschlands, in die er, der Ruhelose, nicht gefahren ist, es gibt keine Stadt, in der er, der ewig Heimatlose, nicht gehaust hat. Fast immer ist er unterwegs. Von Berlin saust er mit der rollenden Postkutsche nach Dresden, ins Erzgebirge, nach Bayreuth, nach Chemnitz, plötzlich jagt es ihn nach Würzburg, dann fährt er quer durch den napoleonischen Krieg nach Paris. Ein Jahr will er dort bleiben, aber schon nach wenigen Wochen flüchtet er in die Schweiz, wechselt Bern mit Thun, und Basel wieder mit Bern, fällt jählings wie ein geschleuderter Stein in Wielands stilles Haus zu Oßmannstedt. Und über Nacht treibt es ihn wieder fort, nochmals rennt er auf heißen Speichen über Mailand und die italienischen Seen nach Paris, stürzt sich sinnlos nach Boulogne mitten in eine fremde Armee und wacht dann plötzlich todkrank in Mainz auf. Und wieder wirft es ihn hinüber nach Berlin, nach Potsdam: ein Jahr lang nagelt ihn, den Unbeständigen, ersehntes Amt in Königsberg an, dann bricht er wieder los, will quer durch die marschierenden Franzosen nach Dresden, wird aber als vermeintlicher Spion nach Châlons geschleppt. Kaum befreit, flirrt er im Zickzack durch die Städte, stürmt von Dresden,