Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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von Trieb und Widertrieb schuf seine Qual in Schicksal um. Seine Hälften paßten nicht zusammen und rieben sich ständig blutig: er war ein russischer Mensch, ein Maßloser, lechzend nach Überschwang und dabei eingeschnürt in den Waffenrock eines märkischen Adeligen; er hatte große Begierden und dabei das strikte imperativische Bewußtsein, er dürfe ihnen nicht nachgeben. Sein Intellekt verlangte nach Idealität, aber er forderte sie nicht wie Hölderlin (ein anderer Tragiker des Geistes) von der Welt: Kleist postulierte das Ethos nicht für die andern, sondern einzig für sich. Und wie alles, so übertrieb er – der furchtbarste Übertreiber jedes Gefühls, jedes Gedankens – auch diese Forderungen der Sittlichkeit: selbst die starre Norm hitzte er sich rotglühend bis zur Leidenschaft. Daß ihm keiner unter den Freunden, den Frauen, den Menschen genügte, hätte ihn nicht zerstört. Daß er sich selbst aber nicht gewachsen war, daß er sich, so heiß er war, nicht formen konnte, das vernichtete immer wieder seinen Stolz. Ständig hält er über sich Gericht, ein harter Richter – »es ging streng um ihn her«, wie Rahel sagte, und am strengsten in ihm selbst. Wenn er in sich hineinsah – und Kleist hatte den Mut, wahr zu sehn und bis in die letzte Tiefe zu sehn –, dann graute ihm wie einem, der Medusa erblickt. Er war ganz anders, als er sich wollte: und niemand wollte mehr von sich; kaum hat je ein Mensch höhere moralische Prätensionen an sich gestellt (bei so geringer Fähigkeit, ein kategorisches Ideal zu erfüllen) als Heinrich von Kleist.

      Denn wirklich: ein ganzes Schlangennest von Dämonien brütete unter dem kühlen, verdeckten, undurchdringlichen Felsen seiner äußern Starre, und eine hitzte sich an der andern. Die Fremden haben niemals diesen höllischen Knäuel geahnt unter Kleistens kühler beherrschter Verschlossenheit, aber er selbst kannte es furchtbar gut, dies verknäuelte züngelnde Gezücht von Leidenschaft im untersten Schatten seiner Seele. Der Knabe schon hatte es entdeckt und blieb ein ganzes Leben davon verstört: die sinnliche Tragödie Kleistens beginnt früh, Überreiztheit war ihr Anfang, Überreiztheit ihr Ende. Es besteht kein Anlaß, prüde dieser intimsten Krise seiner Jugend auszubiegen, nachdem er sie selbst seiner Braut und seinem Freunde vertraut; und dann: sie ist der dichterische Einstieg hinab ins Labyrinth seiner Leidenschaft. Als junger Kadett hatte er, vor der Kenntnis der Frau, das getan, was so ziemlich alle leidenschaftlichen Knaben seines Alters im Frühlingserwachen der Sexualität tun. Da er ein Kleist war, frönte er maßlos diesem Knabenlaster; da er ein Kleist war, litt er moralisch maßlos an dieser Schwäche seines Willens. Er fühlt sich von solcher Wollüstigkeit seelisch befleckt, körperlich schon zerrüttet, und seine gräßlich übertreibende Phantasie, die immer in furchtbaren Bildern schwelgt, täuscht ihm entsetzliche Folgen seines Knabenlasters vor. Was andere leicht überwachsen wie eine nichtige Schramme der Jugend, das frißt sich bei ihm wie ein Krebsgeschwür bis tief hinein in die Seele: schon verzerrt der Einundzwanzigjährige den (wohl bloß imaginären) Defekt seines Sexus zu Gigantenmaßen. Er schildert in einem Brief jenen (gewiß erfundenen) Jüngling im Spital, der an den »Verirrungen seiner Jugend« zugrunde geht, »mit nackten blassen ausgedörrten Gliedern, mit eingesenkter Brust, kraftlos niederhängendem Haupt« einzig sich selbst zu Warnung und Schrecknis; und man fühlt, wie dieser preußische Junker zerfressen sein muß von Selbstekel und Scham über die Erniedrigung, daß er sich nicht selbst gegen die eigene Lust zu verteidigen wußte. Und dazu kommt noch die wahrhaft tragische Steigerung, daß er, der sich sexuell unfähig fühlt, verlobt war mit einem keuschen, unwissenden Mädchen, dem er Sittlichkeit in spaltenlangen Exerzitien dozierte (indessen er sich selbst unsauber und beschmutzt empfand bis in den letzten Winkel seiner Seele), daß er ihr die ehelichen Pflichten erklärt und jene der künftigen Mutterschaft (indes er bezweifelt, je die eheliche Mannespflicht noch erfüllen zu können). Schon damals beginnt jene entsetzliche Überfülltheit in Kleist, die er scheu und schamhaft niederwürgt, bis ihm doch einmal die Lippe aufspringt und er einem Freund den Wahngedanken, die vermeintliche Schmach anvertraut, die ihn entnervt. Der Freund – Brockes hieß er – war kein Kleist, kein Übertreiber. Er übersah die Situation sofort in ihren klaren natürlichen Maßen, wies Kleist an einen Arzt in Würzburg, und in wenigen Wochen befreite ihn der Chirurg – scheinbar durch Operation, wahrscheinlich aber durch Suggestion – von der vermeintlichen Minderwertigkeit des Geschlechts.

      Sein Sexus war nun organisch geheilt. Aber Kleistens Erotik ist niemals ganz normal, ganz begrenzt geworden. Es tut sonst in einer menschlichen Biographie nicht not, an das »Geheimnis des Gürtels« zu rühren; aber gerade dieser Gürtel verschließt Kleistens geheimste Kräfte, und trotz seiner eminenten Geistigkeit ist sein Wesen urtümlich von seinem merkwürdig oszillierenden und doch durchaus typischen erotischen Habitus bestimmt. Seine ganze schwelgerische, übertreiberische, zügellos ausschweifende Orgiastik, die gerne in Bildern wühlt und in Überschwängen sich ergießt, hat unzweifelhaft ihre Wesensart von jenen verborgenen Exzessen; und vielleicht hat niemals in der ganzen Literatur eine dichterische Phantasie so klinisch deutlich die Form einer vorlusthaften, sich schon an Träumen erhitzenden und an Träumen sich aufreibenden und erschöpfenden Knaben-Männlichkeit gehabt. Dichterisch sonst der sachlichste, taghellste Schilderer, wird Kleist in erotischen Episoden sofort schwelgerisch exzessiv, orientalisch-üppig, seine Visionen zu erregten Lustträumen, die sich in traumhaften Übersteigerungen überbieten (die Schilderungen der Penthesilea, das ewig wiederholte Bild der Perserbraut, die nackt von Sandel triefend aus dem Bade steigt) – an diesem Nerv ist sein ganzer so furchtbar verborgener Organismus gleichsam offen und zuckt bei der leisesten Berührung. Hier spürt man, daß der erotische Überreizungszustand seiner Jugend ein unausrottbarer war, daß diese chronische Entzündlichkeit seines Eros fortbestand, sosehr er sie niederzwang und in späteren Jahren auch verschwieg. Aber etwas kam da niemals mehr ins Gleichgewicht, nie hatte sich Kleistens Liebesleben jemals in irgendeiner Beziehung ganz einlinig, geradlinig auf der normalspurigen Bahn gesunder Männlichkeit bewegt; alle Beziehungen Kleistens behalten dieses Zuwenig und Zuviel in den wandelndsten Formen, sie schillern durcheinander in den seltsamsten und gefährlichsten Betonungen und Nuancierungen. Eben weil ihm die gerade Stoßkraft des Begehrens (vielleicht auch des Könnens) im Sexuellen fehlte, war er aller Vielfältigkeiten und Zwischengefühle fähig: darum auch seine magische Kenntnis aller Kreuzwege und Seitenschliche des Eros, all der Vermengungen und Verkleidungen des Gelüsts, dies merkwürdige Wissen um das Transvestitentum des Triebs. Selbst die ursprüngliche Zielrichtung gegen die Frau ist nicht ganz umwandelbar; während bei Goethe und den meisten Dichtern der Pol ganz rein der Frau zugewandt ist, sosehr er auch in vielfacher Schwingung pendelt, tastet Kleistens unbeherrschter Trieb allen Zielrichtungen zu. Man lese die Briefe an Rühle, Lohse und Pfuel: »Ich habe Deinen schönen Leib oft, wenn Du in Thun… in den See stiegest, mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet«, oder noch deutlicher, »Du stelltest das Zeitalter der Griechen in meinem Herzen wieder her, ich hätte bei Dir schlafen können« – und würde einen Homosexuellen in ihm vermuten. Aber Kleist ist nicht invertiert, seine Liebesempfindung hat nur exaltierte Gefühlsformen. Nicht minder glühend und voll jener erotischen Überhitzung der seelischen Empfindung schreibt er an die »Einzige«, an Ulrike, die aber seine Stiefschwester war (und seltsam das Weibische seines Empfindens parodierend, in Manneskleidern mit ihm reiste). Immer mengt er jeder Gefühlsregung das brennende Salz seiner übertriebenen Sinnlichkeit bei, immer verwirrt er so die Empfindungen. Bei Luise Wieland, der Dreizehnjährigen, kostet er den Reiz der geistigen Verführung ohne tätliche Beziehung, an Marie von Kleist drängt ihn mütterliches Gefühl, an die letzte Frau, an Henriette Vogel, bindet ihn gleichfalls kein Verhältnis (wie gräßlich doch diese Worte sind), sondern nur die wütige Todeswollüstigkeit. Nie ist eine Beziehung Kleistens zu einer Frau, zu einem Manne klar und einfach, nie eine Liebe, sondern immer ein Vermengtes, Übertriebenes, immer jenes Zuviel und Zuwenig, das seines Eros eigentliches Stigma bildet, immer geht er – wie Goethe mit magisch durchleuchtendem Worte von ihm sagte – »auf eine Verwirrung des Gefühls« aus. Nie schöpft, nie erschöpft er, so tief er sich auch aufwühlt, in einem Erlebnis seine Liebesgewalt, nie wird er (wie Goethe) frei durch Tat oder Flucht, immer bleibt er verhakt, ohne ganz zu erfassen, der »sinnlich übersinnliche Freier«, gehitzt von den feinen Giften seines Blutes. Auch in der Erotik ist Kleist niemals der Jäger, sondern der Gejagte, untertan dem Dämon der Leidenschaft.

      Aber eben, weil Kleist sexuell so vieldeutig, so problemhaft, und gerade darum vielleicht, weil er da physisch nicht ganz vollwertig und einlinig war, übertrifft er alle andern Dichter um ihn an erotischem Wissen. Die überhitzte Atmosphäre seines Blutes, die ständig bis zum