Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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jede Form wird überströmt von dem Schwall der Musik. Denn der Rhythmus ist schon selbstherrlich geworden, die Urmacht strömt ins Unendliche zurück. Manchmal spürt man noch bei Hölderlin, dem von sich selbst Hinweggezogenen, eine Art Gegenwehr gegen diese Übermacht, man merkt, wie er sich müht, einen einzelnen dichterischen Einfall festzuhalten, ihn gesteigert fortzubilden. Aber immer reißt ihm die bildernde Woge das Halbgestaltete fort, und er stöhnt:

       Ach, wir kennen uns wenig, Denn es waltet ein Gott in uns.

      Immer mehr verliert der Unmächtige das Steuer seiner Dichtung. »Wie Bäche reißt das Ende von Etwas mich hinweg, das sich wie Asien ausdehnt«, sagt er von der Übermacht, die ihn von sich selbst wegzieht – es ist, als sei alle Griffkraft seines Gehirns erlahmt, und lose fallen die Gedanken ins Leere: immer endet als tragisches Stammeln, was als herrliches, kühn aufgeschwungenes Pathos sich erhoben. Der Faden der Rede verknäult sich, ohne daß Anfang und Ende zusammenzufinden sind: oft entfällt dem leicht Ermüdbaren in plötzlicher Gedankenohnmacht der begonnene Gedanke. Mit gleichsam zitternder, offenbar ungeschickter Hand kleistert er dann die hilflosen Übergänge mit einem flachen »nämlich« oder »es ist aber« zusammen oder macht ermattet vorzeitigen Schluß seiner Rede mit einem resignierten »Vieles wäre zu sagen davon«.

      Aber diese scheinbar stammelnden Laute, denen oft die äußerliche Kohärenz des Gedankens fehlt; sind magisch gebunden durch einen höheren Sinn. Einzelheiten vermag der von dem Gerank des zufälligen Einfalls »wie mit üppigem Kraut überwucherte« Geist nicht mehr zu vernieten, aber Hölderlin erreicht in seinem rhythmischen Taumel oft einen Tiefsinn der Rede, wie sie ihm das Wachsein niemals gegeben – »Göttersprüche regnen nieder, und es tönt im innersten Haine«. Was sein neues Gedicht, sein Hymnus an morgendlicher Klarheit, an Reinheit des Umrisses in der erhabenen Verwirrung verliert, ersetzt ihm dämonische Inspiration durch jähe Blitze des Geistes. Denn durchaus gewitterhaft, durchaus blitzhaft sind von nun ab Hölderlins dichterische Erleuchtungen: sie dauern nur kurz und brechen unvermutet aus dem finster rauschenden Gewölk seiner breithinrollenden Oden hervor, aber sie erhellen unendlichen Horizont. Und in diesem wunderbaren Wandeln ins Weglose hinein begibt sich da knapp vor dem Ende, knapp vor dem Absturz in den Abgrund noch das einzige Wunder: im tiefsten Labyrinth des Weges ertastet Hölderlin, was er einst bewußt mit wachen Sinnen vergeblich gesucht: das griechische Geheimnis. Auf allen Straßen der Kindheit hatte der Jüngling sein Hellas gesucht, vergebens Hyperion ausgesandt, es an allen Gestaden der Zeit und der Vergangenheit zu finden. Er hatte Empedokles beschworen von den Schatten und die Bücher der Weisen durchforscht, das »Studium der Griechen« hatte ihm »statt Freundesumgang gedient«; nur darum war er so fremd geworden seinem Vaterland, seiner Zeit, weil er ewig auf dem Wege nach diesem Traumgriechenland unterwegs gewesen war: und selbst erstaunend über diese Verzauberung seiner Sinne hatte er sich oft gefragt:

       Was ist es, das An die alten seligen Küsten Mich fesselt, daß ich mehr noch Sie liebe als mein Vaterland? Denn wie in himmlische Gefangenschaft verkauft Dort bin ich, wo Apollo ging.

      Und da, mitten im Chaos der Sinne, in der tiefsten Verklüftung des Geistes glänzt es ihm plötzlich glühend entgegen, das griechische Geheimnis. Wie Virgil den Dante, so führt Pindar den großen Verirrten der letzten Trunkenheit der hymnischen Rede entgegen. In den dröhnenden Gesängen, in den blockhaft chaotischen, felsig getürmten Übertragungen Pindars und Sophokles’, erhebt sich Hölderlins Sprache über das bloß Hellenistische, bloß apollonisch Klare seines Anfangs: ungeheure Blöcke mykenischen Gesteins, eines mythischen Urgriechentums, ragen diese Transpositionen des tragischen Rhythmus in unsere laue, künstlich durchwärmte Sprachwelt. Nicht das Wort eines Dichters, nicht der nüchterne Sinn eines Verses ist da hinübergerettet von einem Ufer der Sprache zum anderen, sondern der feurige Kern der bildenden Leidenschaft noch einmal urmächtig entzündet. So wie im Organischen Geblendete deutlicher, gleichsam wacher hören, und wie ein abgestorbener Sinn die anderen sinnlicher, empfänglicher macht, so ist der Geist des Künstlers Hölderlin, seit sich ihm das klare Licht des nüchternen Verstandes verschlossen hat, unendlich offener für die rhythmischen Gewalten der Tiefe: in unbändiger Kühnheit preßt er die Sprache zusammen, bis ihr das melodische Blut aus allen Poren quillt, er bricht die Knochen des Satzbaus, daß sie geschmeidiger werden, und härtet wieder mit klirrendem Rhythmenschlag ihre tönende Spannung. Wie Michelangelo in seinen halbgestalteten Blöcken, so ist Hölderlin in seinen chaotischen Fragmenten vollendeter als die Vollendung selbst, die immer ein Ende ist: das Chaos, die Urmacht und nicht mehr eine einzelne dichterische Stimme wird in ihnen tönend und großer Gesang.

      So herrlich, in purpurner Finsternis sinkt Hölderlins Geist in die Nacht. Wie sein Genius, der schwärmerische, so ist auch sein Dämon, der schwermütig-wilde, von göttlicher Gestalt. Wenn sonst bei dichterischen Gestalten das Dämonische durchbricht, ist die Flamme meist dunkel getrübt vom Fusel des Alkohols (Grabbe, Günther, Verlaine, Marlowe) oder vermengt mit dem schwelenden Weihrauch der Selbstbetäubung (Byron, Lenau): Hölderlins Trunkenheit aber ist rein und sein Hingang darum nicht Untergang, sondern heroische Rückflut in Unendlichkeit. Hölderlins Sprache vergeht im Rhythmus, sein Geist in großer Vision: er löst sich auf in sein eigenstes urtümliches Element. Noch sein Sinken ist Musik, sein Vergehen Gesang: gleich dem Euphorion, dem Symbol der Dichtung im »Faust«, dem tragischen Sohn deutschen und griechischen Geistes, stürzt nur das Zerstörbare, das Körperliche seines Wesens hinab ins Dunkel der Vernichtung. Die Leier aber schwebt silbern empor und steigt zu den Sternen.

      Scardanelli

       Inhaltsverzeichnis

       Der aber ist ferne, nicht mehr dabei, Irr ging er nun, denn allzugut sind Genien: himmlisch Gespräch ist sein nun.

      Vierzig Jahre lang ist der irdische Hölderlin fortgetragen von der Wolke des Wahnsinns; was unterdessen auf Erden von ihm weilt, ist sein armes alterndes Schattenbild Scardanelli: denn so und nur so schreibt seine unbeholfene Hand unter die wirren Blätter mit Versen. Er hat sich selber vergessen und die Welt ihn.

      In fremdem Haus bei dem braven Tischlermeister wohnt dieser Scardanelli bis tief ins neue Jahrhundert hinein. Ungerührt streicht die Zeit um das dämmernde Haupt, und endlich bleicht von ihrer blassen Berührung das einstens blondwallende Haar. Außen formt sich die Welt in Sturz und Wandel: Napoleon bricht ein in Deutschland und wird wieder vertrieben, von Rußland jagen sie ihn bis Elba und Sankt Helena, dort lebt er wie ein gefangener Prometheus noch zehn Jahre, stirbt und wird Legende – der Einsame in Tübingen weiß es nicht, der doch einst den »Helden von Arcole« besungen. Schiller, der Herr seiner Jugend, wird nachts von Handwerkern zur Grube gesenkt, sein Gebein modert Jahre und Jahre, dann sprengt sich die Gruft, Goethe hält den Totenschädel des geliebten Freundes sinnend in Händen, aber der »himmlische Gefangene« versteht nicht mehr das Wort Tod. Dann geht jener selber hinweg, der dreiundachtzigjährige Weise von Weimar geht in den Tod nach Beethoven und Kleist und Novalis und Schubert; ja Waiblinger selbst, der als Student Scardanelli oft in seiner Zelle besuchte, wird eingesargt, indes jener noch »sein Schlangenleben« führt. Ein neues Geschlecht ersteht, Hölderlins verschollene Söhne, Hyperion und Empedokles, wandeln endlich geliebt und erkannt durch deutsches Land – aber kein Laut, keine Ahnung davon dringt in des Tübingers geistige Gruft. Er ist ganz jenseits aller Zeit, ganz im Ewigen, in Rhythmus und Melodie ertrunken.

      Manchmal kommt ein Fremder, ein Neugieriger, den sagenhaft Verschollenen zu sehen. Am alten Stadtturm von Tübingen klebt ein kleines Häuschen, und oben im Erker, der vergittertes Fenster, aber freien Blick hat in die Landschaft, ist Scardanellis schmales Gelaß. Die braven Tischlersleute geleiten den Besucher hinauf zu einer kleinen Tür: hinter ihr hört man sprechen, aber niemand ist innen als der Kranke, der unaufhörlich in gehobener Sprache vor sich hin summt. Wie Psalmodieren läuft dieser wirre Sprudel von Worten ohne Form und Sinn ihm lose vom Munde. Manchmal setzt sich auch der Verworrene ans Klavier und spielt stundenlang; aber er findet keine Folge mehr, es wird keine Fülle von Tönen, sondern ein totes Harmonisieren, eine beharrliche fanatische Wiederholung derselben armen kurzen Melodie (und gespenstisch klappern die wildgewachsenen Fingernägel über die verstimmten Tasten). Immer aber ist es ein Tönen, ein Rhythmus,