Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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der ihr folgte? Oh, warum einige Stunden so heftiger Qual bereuen! Von welchem Entzücken waren sie aufgewogen. Was für eine Seele hast Du mir gegeben! Oh, ich kann wahrhaftig nicht mehr schreiben. Lebwohl, Prosper, mein Gemahl!

      Dein Vater liebt mich sehr. In dem Maße als ich Dich – ein wenig – liebe, bin ich voll Aufmerksamkeit für ihn. Und bin ich denn nicht recht artig? Ihr werdet dann gleich meine graziöse Verbeugung sehen. Oh, laß mich doch wieder einen teuren Brief lesen, der mir das Herz verbrennt!

       Von der fünfunddreißigjährigen und erst durch den Tod gelösten Ehe mit Prosper Valmore geben die folgenden Briefe ein Bild. Nie ist ihr Beisammenleben wirklich erschüttert gewesen, es erschien nur flüchtig bedroht durch der beiden gegensätzliches Verhältnis zu ihrer Kunst. Prosper Valmore war (und nicht mit Unrecht) eifersüchtig auf Marcelinens Gedichte, die mit der bei ihr unbedingten Ehrlichkeit des Gefühls immer nur ihre Liebe zu – dem ersten Geliebten, zu dem Verführer schildern, dem ihre Sinne, ihre Seele trotz aller Erniedrigungen unwandelbar treu blieben. Im geheimen hatte Prosper gehofft, nun werde er der Gegenstand ihrer Dichtung sein, und sah den Nebenbuhler, der sie schmählich verlassen, lebendig in ihrem innern Leben, ja, die Qual war ihm auferlegt, die Verse an jenen andern und Unvergeßbaren korrigieren zu müssen. Diese Eifersucht gegen den Abwesenden und aus ihrem Herzen doch Unverjagbaren hat geradezu einen Haß gegen Marcelinens Dichtung in ihm erweckt, so daß die Gütige oft ganz der Poesie entsagen wollte. Und sie hätte es getan, wäre nicht der Zwang zur Aussage elementar in ihr gewesen.

      Ihr wiederum bereitet Prospers Kunst schwere Stunden oder vielmehr seine Nichtkunst. Denn er ist ein schlechter Musikant, Valmore, nirgends gefällt der Pathetische auf der Bühne, ja, er wird sogar ausgepfiffen, und sie hat die anstrengende Aufgabe, gegen ein inneres Wissen, das falsche Selbstbewußtsein des armseligen Provinzkomödianten zu stützen. Erst als er von der Kunst (wie weit war er von ihr!) endlich Abschied nimmt und ein kleiner Staatsbeamter wird, schwindet die Unruhe. Dann bindet das gemeinsam verlebte Elend, das gemeinsam erlittene Unglück sie immer enger zusammen, und die Ehe verdämmert in bescheidenem Glück, obzwar ihre letzten Bekenntnisse immer über ihn hinweg an die Freundin ihrer Seele gehen und das letzte Geheimnis, die Liebe zu Olivier, nie vollkommen in ihrer Seele verlischt.

       An Valmore

       St. Rémi, den 22. März 1820.

      Nie mehr, mein Liebes, nie mehr will ich mich von Dir trennen; das hieße, sich freiwillig das Herz ausreißen. Du kannst aber unbesorgt sein: meine Reise ist gut verlaufen. Ich bin um sechs Uhr angekommen. Vor dem Hause, das Deinen Sohn beherbergt, erwarteten mich die Amme, die Mutter, der Vater und Drapier. Ich bin nur so gerannt, sage ich Dir, ohne zu spüren, daß ich eine Nacht im Wagen zugebracht hatte. Ich habe den kleinen Liebling eine Stunde lang um mich gehabt. Er ist lebendig wie ein Fisch, alle seine Bewegungen sind so lebhaft, daß man die eifrigen und hübschen kleinen Züge kaum mit Muße betrachten kann. Sein Gesicht ist ein wahres Kaleidoskop, immer anders und immer anmutig. Seine Haut ist blendend weiß, seine Augen sind prachtvoll blau, – aber nicht so groß wie die Deinen. Der Mund steht nur im Schlafe still, aber ich habe den Kleinen nicht schlafen gesehen, und so ist mir der Mund bald groß, bald klein erschienen und von immer anderer Form. – Er hält sich ganz gerade, und wenn man ihn niederlegt, richtet er sich stolz auf seinen kleinen Händen auf, um alle Welt zu betrachten. Er nimmt seine Nahrung mit Hingabe und leert die Brust seiner Amme bis auf den letzten Tropfen. Seine Haare sind viel blonder als bei der Geburt. Er ist entzückt, wenn man ihm den Kopf streichelt; es ist ein wonniges kleines Lämmchen. Ich habe zweimal seiner Toilette beigewohnt; er erscheint mir erstaunlich groß, und er ist von tadelloser Gestalt. Ich könnte Dir stundenlang von ihm erzählen, und es würde uns noch zu wenig sein. Alles um ihn her, das ganze Häuschen, ist von herzerfreuender Sauberkeit.

      Lieber Prosper, komm in den Ostertagen, und sieh ihn Dir an.

       Paris, den 5. April 1827.

      Heut gönne ich mir einen ganzen Ruhetag, und ein großer Teil davon soll Dir gehören, mein Lieb. Ich habe Dir so viel zu sagen, so viel Liebe Dir zu geben! Deinen letzten, so wundervollen Brief habe ich gestern bei meinem Onkel in Empfang genommen; welch ein Trost ist er mir gewesen! Du mußt nicht denken, daß alles glatt geht auf dieser Reise; vor allem – ohne Dich fühle ich immer eine Leere, die ich nicht lange ertragen kann, ohne daran krank zu werden. Doch die Gewißheit, sehr bald wieder bei Dir zu sein, läßt mich diese Abweichung von meinen lieben Gewohnheiten leichter erdulden. Du weißt also nicht, wie sehr Du mein Ich bist, wie ich jetzt nur durch Dich allein lebe, nur lebe im Verlangen, bei Dir zu sein, Deine Hände, Deine Blicke zu fühlen, Deine Liebe, Deine edle und getreue Seele, Beistern meines Lebens, das ohne Dich mir unerträglich wäre! Ja, was Du mir auch gibst, ich habe genug, um es zu erwidern, und wenn Du das Glück hast, Deine Frau zu lieben, so ist es mein Glück, Dich einem ganzen Weltall vorzuziehen! Ich will nur Dich, ich liebe nur Dich. Ich bitte Dich, sprich mir nicht von Ruhmeskränzen, von Talent; sprich mir von nichts. Die Eitelkeit hat keinen Platz in meinem Herzen, das so sehr erfüllt ist von Innigkeit und Tränen, denn Du weißt, daß ich oft weine, heimlich, und nicht immer aus Kummer.

       Grenoble, den 18. November 1832.

      Hoffnung und Grenoble! Und beides heute früh um sieben Uhr, mein guter Prosper; ich habe Herrn Froussard gesehen! O teile meine Freude darüber, daß er alle unsere Erwartungen übertrifft. Hippolyte wird das glücklichste von allen den Kindern sein, die fern vom Elternhause leben müssen… Wie undankbar bin ich, andere als Freudentränen zu vergießen… Doch was nützt der Vorsatz? Nein, ich fühle keine Freute. Die Sache ist viel bitterer, als ich mir je geträumt hatte… Mir bleibt nichts, als mich zu fügen, wie jene, die den Kopf unters Beil legen…

      Dein Brief, den ich kurz vor der Abreise von Lyon erhielt, Dein letzter aus Paris – dieser Brief, mein Freund, hat mich viel weinen machen. Er hat mich in Zeiten von Qual und Elend zurückversetzt, die man nicht heraufbeschwören sollte, da es mir möglich war, sie zu überstehen. – Wie! Ich sollte Dich täuschen? Ich, damals so erdrückt von dem Bewußtsein, Dir Verachtung einzuflößen, bin ich es, von der Du sprichst? Sieh, ich sage es ja, man lebt wie blind dahin, an der Seite des andern, man versteht sich nicht. Sind meine Gedanken denn so undurchsichtig, mein Freund? An mir, die ich so aufrichtig, ich wage zu sagen, so naiv zu allen andern bin, an mir hast Du gezweifelt! Gezweifelt, während mein Herz gemartert war von Deiner Kälte und Deinem Überdruß an mir. Das glaubte ich wenigstens! Warum sagst Du, ich liebte nicht die Einmischung Dritter in unsere Beziehungen? Kannst Du auch nur das geringste Mittel zur Annäherung zweier Wesen, die eins werden, die einander lieben und glücklich machen wollen, darin erblicken, daß man sie gegeneinander aufzubringen sucht, daß eine Mutter, erbittert, ihren kleinlichen Anspruch auf Autorität bedroht zu sehen, in ihrer Eifersucht die beiden gegeneinander hetzt? Ach, Prosper, wie traurig stimmt es, Ursachen nachzugehen, aus denen so viele unserer Tränen geflossen sind. Glaube mir, lieber Freund, es ist die Quelle, aus der Du, ohne Dein Wissen, tausend unklare Vorurteile gegen mich geschöpft hast, Du hast oft genug das recht getrübte Urteil Deiner Mutter über mich auch zu dem Deinigen gemacht. Ich achte die wirklichen Werte, die sie gehabt hat, aber sie ist, gewiß ohne böse Absicht, recht grausam zu uns gewesen. Sei Du selbst! Sieh mich, wie ich bin: Deine Dir ganz ergebene, Dir innig vertraute und, ich wage es zu sagen, Deine gute Marceline! Und Deine einzige wahre Freundin!

       Lyon, den 23. November 1832.

      Und dann höre! Du sprichst mir von Andeutungen, die Dir weh getan hätten. Ich – Dir weh getan! Ich, die ich mein Blut für Dich hingegeben, die ich Dir bis ans Ende der Welt folgen würde – überallhin und um jeden Preis? Oh! Gut, nimm hier meinen getreuen Eid, daß nie ein Wort Dir wissentlich von der Vergangenheit reden soll, daß sie für mich abgetan ist, und daß ich auch Dich beschwöre, sie zu vergessen. Anderseits: wie kannst Du mich so falsch verstehen? Du bist zu streng gegen Dich selbst und willst nicht daran glauben, daß andere Dich lieben, und Dich lieben, und Dich lieben! Sei gut, sei furchtlos, ich hege gegen keine Seele Groll, und sollte es gegen Dich? Komm, geben wir uns einen Kuß, Prosper, willst Du?

       1. Dezember 1832.