Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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Im übrigen ist mir alles Äußere gleichgültig. Nein, mein lieber Freund, kein Glück nimmt mir die bittere Last vom Herzen, die Deine Abwesenheit mir bringt.

       29. April 1839.

      … Seit Deiner Abreise habe ich meine große Verstimmung noch nicht überwinden können. Schlafengehen, Aufstehen, dies ist von einer Traurigkeit, die ich nicht unterdrücken kann. Ach! mein liebes Kind, könnte man, bevor man bestimmte Opfer bringt, die eigene Seele durchschauen, hätte man im Innersten sie zu unterschreiben kaum den Mut? Denkst Du nicht auch so, mein armer Freund? Ich beschwöre Dich, zumindest Deine Gedanken zu zerstreuen. Dein Glück ist mir weit mehr als das meine! Großer Gott, mit welchem Preise wollte ich es doch erkaufen, wenn ich etwas besäße.

       Orléans, 8. Mai 1839.

      Niemals werde ich Dir die Schönheit der Kathedrale wiedergeben können; man verläßt sie nur, um sie dann von außen zu bewundern. Wie bedaure ich es, daß Du nicht da bist, um mich zu begleiten! Wie schade, daß ich nicht zeichnen kann, um Dir eine Idee von diesem herrlichen Schiff zu geben, dessen Segel durchbrochene Flügel sind, wie ungefähr jene, die den Dom von Mailand in die Höhe erheben. Wie rasch die Zeit vergeht, und sie entflieht mir mit Dir.

       Orléans, den 14. Mai 1839.

      Bei aller Freude über Dein mir so wohltuendes Lob – es wird der einzige Erfolg meines Buches sein –erweckst Du mir mit der Frage, ob ich es störend empfände, Deine Frau zu sein, tiefen Kummer. Höre, Valmore, ich bin außer mir, daß Du mich für ein so oberflächliches und niedriges Geschöpf hältst. Mir ehrgeizige Absichten, Habgier oder Verlangen nach weltlichen Genüssen zuzuschreiben –, es zerreißt mir das. Herz, das nur von Dir erfüllt ist und dem Wunsche, Dich glücklich zu sehen. Ich würde Dir mit Freuden in die Tiefen des Gefängnisses oder in die Fremde folgen. Das weißt Du, und diese Gedanken befallen Dich zu meinem Schmerz immer nur nach der Lektüre des elenden Gestammels, dessen ich mich schäme, wenn ich es mit den schönen Werken vergleiche, die Dein Geschmack mich schätzen gelehrt hat. Nunmehr sage ich Dir aufrichtig und vor Gott, daß es auf Erden keinen Menschen gibt, dem ich durch die Bande verknüpft sein möchte, die uns einen. Der Charakter aller andern flößt mir nur Entsetzen ein. Habe ich es Dir nicht oft genug gesagt, um Dich zu überzeugen? Doch ach! es ist also wahr: man kann dem andern nicht ins Herz sehen.

       Paris, den 23. Juni 1839.

      Wenn Du in dem bißchen Talent, dessen Ausübung ich verabscheue, nun nach Beweisen suchst, die Deine Vernunft irreführen, wohin kann ich mein Herz dann flüchten? Es ist ausschließlich Dein. Die Dichtkunst ist ein schreckliches Ungeheuer, wenn sie meine einzige Glückseligkeit, unsere Vereinigung zerstört. Ich habe Dir hundertmal gesagt, und ich wiederhole es hier, daß ich viele Elegieen und Romanzen auf Bestellung geschrieben habe, deren Thema gegeben war und von denen manche nicht bestimmt waren, ans Licht gezogen zu werden. Unsere elende Lage erforderte es anders. Wie viele Tränen und Klagen Paulinens haben sich in diese Verse gewandelt, die Du liebst, und deren Urheber eigentlich sie ist. Unser Leben aber war so einsam, so auf sich selbst gestellt und hastend, daß ich, wie ich Dir gestehe, der Zusammenstellung dieser Bücher, die unser Geschick uns zu verkaufen zwingt, keine allzu große Aufmerksamkeit gewidmet habe. All Deine Nachsicht für eine Begabung – die ich völlig geringschätzen würde, ohne den Wert, den Dein Gefallen ihr beimißt, kann mich nicht über eine heimliche und peinliche Erkenntnis trösten, die dadurch in mir entstanden ist. Molière hatte recht, Rousseau sprach die Wahrheit, und Mademoiselle Lenormand war also wirklich hellsehend, als sie mir in orakelhaftem Ton sagte: »Schreiben Sie nie!« Du siehst nun wohl, daß ich recht habe, mein guter Freund, wenn ich auch nicht den Schatten von Befriedigung verspüre, soviel Papier bekritzelt zu haben, anstatt unsere Hemden zu nähen; obschon ich mich bemüht habe, auch diese in Ordnung zu halten; Du weißt das, Du teurer Gefährte eines Lebens, das niemandem zur Last gefallen ist.

       Paris, 10. Juli 1839.

      Wie liebe ich Dich, bei der Vorstellung, wie Du Dir Deine Kappe nähst! Welch merkwürdige Biographie würde man von uns machen, wenn man uns in all unserer beherzten Armut erblickte!

       28. Juli 1839.

      Sag niemandem, wann ich ankommen werde, damit wir allein bleiben, einen Tag wenigstens! Sag mir, mein guter Engel, hast Du ein Kanapee, um Dich während des Tages ausstrecken zu können? Ich denke fortwährend daran, Du mein armer Freund! Herrgott, was ersinne ich nicht alles, Dir zu schenken!…

       Paris, 2. August 1839.

      Ach, nein! Du nörgelst ja nicht, und ich verstehe, daß Deine Bemerkungen alle und immer aus einer anbetungswürdigen Quelle von Zartgefühl stammen, wie sie sich selten findet…

      Ich liebe Dich! und überdies achte ich Dich leidenschaftlich.

       2. August 1839.

      Du siehst, ich fordere niemals als Erste unsere Kinder auf, Dir zu schreiben, in dieser Hinsicht habe ich denselben Herzensstolz. Ich warte. Nein, nein, ich setze nichts auf Erden neben unser Gefühl füreinander. Ich mache mir keine Illusionen mehr, dennoch glaube ich zutiefst an das Herz Hippolytes; es ist für immer an das unsere angewurzelt.

       Paris, den 13. August 1839.

      Alle (Menschen), die ich jetzt kenne, flößen mir nur noch mehr Zärtlichkeit für Dich ein! Bedurfte es unserer Trennung, damit wir uns noch mehr lieben? Gute Nacht, lieber Prosper! Ich gehe zur Ruhe, das Herz erfüllt von Dir, schlafe wohl. Liebe mich, die ich Dich einzig liebe.

       Paris, 8. November 1839.

      Oh! Mein lieber Freund, warum willst Du nicht mehr lachen. Überlaß diesen Ernst den Bösen. Das Leben hat Anmut und Sonne, solange es Liebe hat. Wer hat dies nur gesagt: »Nichts bleibt vom Leben, wenn nicht dies: geliebt zu haben.« Wird in dem Sinne nicht Deine Hand den Druck der meinen erwidern können?

       Paris, 25. November 1839.

      Wir vermuten bei unseren Kindern tiefere Wurzeln, als sie jeweils an bestimmten Orten besitzen: Überall ist in diesem Alter das Glück. Inès ist augenblicklich ganz Musik, Schneiderei und Englischstudium und auf diese Weise also geordneter Beschäftigung hingegeben… Die Hauptsache ist, daß sie Dich und mich sehr lieb haben, was wir in diesem stürmischen Alter zu sehr vergessen.

       Paris, den 25. November 1839.

      … Eines bedenke wohl –, es soll Dir beistehen im Kampfe gegen Dich selbst, wenn Du Dich in Deinen Gram vergräbst –, bedenke, daß meine Gesundheit in Deinen Händen liegt. Wenn die Deinige wankend wird, bekomme ich Fieber, und wenn Deine Seele herabgestimmt ist, so sinkt die meine gleich noch tiefer. Wir haben einer beim andern so viel durchgemacht, daß wir wie Zwillinge geworden sind.

       Paris, 3. Dezember 1839.

      Ich habe einige schlechte Tage und, wie Du, recht traurige Nächte verbracht. Diese Jahreszeit gibt einem keinerlei Möglichkeit, Mut zu bewahren. Die Kraft, die mir von außen kommt, ist, wie Du weißt, die Sonne. Sehe ich sie nicht mehr, fühle ich sie nicht über Dir, glaube ich mich vom Schicksal, das Dich mißhandelt, noch ärger verlassen, denn ich weiß, wie empfindlich Du gegen die Grausamkeit des Winters bist, mein armer Freund!…

       (Paris,) den 12. Januar 1840.

      Ich muß wieder bei Dir sein; weißt Du das? Begreifst Du das? Ich bin mir selber unerträglich geworden, und meine Seele ist nirgends mehr dabei, wohin ich meinen Körper hinzugehen zwinge, um der Fülle von Verpflichtungen zu genügen, deren Hohlheit und Anstrengung Du kennst. Es war ein zu aufreibender Monat. Manchmal bleibe ich auf der Straße oder auf einer Treppe stehen und weine, weil ich Dich so fern weiß und so gebunden, wie auch ich es bin. Dieser Kampf muß aufhören… »Geduld, steig wieder auf zum Himmel!« Wenn ich weiß, daß ich Dich wiederfinde bei der Heimkehr – wie trotze ich dann allen Plagen, aller Müdigkeit, den Widerwärtigkeiten aller Art, denen ich jetzt