Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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ich mich über die Wissenschaft der Ärzte keiner tröstlichen Täuschung hingebe. Ich glaube an Gott. Wenn er mich schlägt, so weiß ich dennoch, daß es Gott ist, und ich preise ihn dafür. Ich habe Dich unsagbar lieb! Das Verlangen Deines oft so traurigen Herzens nach der glühenden Zuneigung des meinigen ist mir immer gegenwärtig. Ich gebe um Deinetwillen treulich acht auf meine Gesundheit, und ich küsse Dich! Hundertmal am Tag!

       Paris, den 18. November 1846.

      Ich küsse Dich von ganzer Seele! Mitten durch die Winterdunkelheit komme ich zu Dir, um Deine Einsamkeit zu trösten und aufzuatmen von dieser harten Trennung, die so entsetzlich ist, daß ich sie ertrage, ohne mir doch vorstellen zu können, daß es möglich sei, sie zu ertragen.

      Es wollte heute gar nicht Tag werden. Alle Zimmer waren voll schwerer giftiger Nebel, denn die nachbarlichen Kamine speien ihre Rauchfluten über uns aus. Man hat nicht einmal das Behagen einer warmen Kaminecke, denn man muß Fenster und Türen aufreißen. Ich spreche Dir von all diesen häuslichen Kleinigkeiten, weil ich mich nicht entschließen kann, Dein Herz mit den Einzelheiten einer Krankheit zu betrüben, die uns alle wie angebunden hält und unter dem beständigen Druck der unerwartetsten Ereignisse. Der häufige Schlaf, der oft gewaltige Appetit vermögen nicht die verschiedenen Leiden des lieben Kindes zu lindern. Ihr Widerstreben gegen den so guten Arzt, gegen die Mittel, die er verordnet, zeigt sich von betrübender Heftigkeit. Sie entwickelt dann eine Kraft und Willensstärke, die mich geradezu verwirrt. Wir haben den Vormittag dazu benutzt, ihr Zimmer durch meinen Schreibsekretär zu verschönen, nebst einem Fauteuil, den sie sich schon seit Tagen mit glühender Freude wünschte. Was ihr aber aufs heftigste mißfällt, das ist das Bett Ondinens, darin ich nun bei ihr Nachtwache halte. Armes eifersüchtiges Kind, sie läßt sich ganz hinreißen von ihrer Abneigung gegen die Schwester. Herr Veyne sagte mir gestern, wenn die gegenwärtige Krisis überstanden sei, so werde sie wieder vernünftig werden. Sonderbare Sache! Diese Krankheit ist so eigentümlich veränderlich! Oft spricht sie mit ihrer natürlichen Stimme und ißt, als sei sie ganz wohl; überdies schläft sie besser, als seit drei Jahren. Gott ist so groß, so mächtig, daß ich alle diese Dinge mitansehe, als lebte ich zur Zeit des Lazarus. Doch ich würde mich gern in Deine Arme schmiegen, die mich so oft beschützt haben, mein lieber, mein geliebter Mann! Du herrlicher Vater eines herrlichen Sohnes! Segne mit mir dieses unsägliche Glück, diesen unwiderleglichen Beweis von der Liebe Gottes. Er ist wie ein Freudenfeuer zwischen uns, um die schlimmen Wege zu erhellen.

      … Herr Balzac hat gestern einen sehr herzlichen Brief an unsere kleine Kranke geschrieben, hat ihr Früchte, Wein und Blumen gesandt und ihr mitgeteilt, daß er alles daransetzen werde, um Dich ganz ernstlich uns wieder zuzuführen. Möge der Himmel ihm beistehen!

      1847.

      Meine armen, nach Dir ausgespannten Schwingen müssen sich jeden Augenblick rückwärts wenden. Ich finde nur dann Ruhe und Aufatmen, wenn dies liebe kleine Mädchen mich aufatmen läßt. Gestern ist sie mit unbeschreiblichem Entzücken von ein Uhr bis halb neun Uhr aufgewesen. Herr Veyne ist verblüfft. Sie schläft und ißt gut. Ich sage Dir, für den Zuschauer ist es wie ein Wunder. Herr Blanchet, gesprächiger als unser Arzt, hat mir über die Phänomene dieser Krankheit Dinge gesagt, die den Verstand verwirren können. Was mich betrifft, so wandle ich mit geschlossenen Augen unter einem Willen, der stärker ist als der meine!

      Ich habe heute keine Neuigkeiten für Dich. Die schlechten – daran hast Du nur allzu viele! Die guten sind aber selten.

       Nach dem Tod ihres Kindes

       Paris, den 20. Februar 1847.

      Mein Freund! Da von allen auf der Erde Du allein, nur Du allein mich trösten kannst, so bitte ich Dich darum bei allen Kümmernissen der Vergangenheit, bei meinem entschlossenen und unerschütterlichen Willen, aus Liebe zu Dir allem standzuhalten; ich verlange tausendmal mehr als mein Leben, ich fordere, daß Du mich liebst! Du hast nur eine Möglichkeit, mir das zu beweisen, mein lieber Freund, nämlich die, diese kurze Wartezeit beherzt mit mir gemeinsam durchzuhalten und nun für mich zu tun, was ich für Dich getan habe, weil Du für mich alles: Freund, Geliebter, Gatte, Bruder, Vater und Kind bist. Dies gesagt, dies aus tiefstem Innern uns zugeschworen, erbitte ich von Dir die einzige Sicherung, an die ich glaube, die mir genügen und mich wieder aufleben lassen wird, aber gib sie mir! Dein Wort, mir zu gehören, wie ich Dir gehöre, für uns beide und die geliebten Wesen, die Dich lieben und anbeten, weiterzuleben und ihnen statt einer grausigen eine ungetrübte Zukunft zu bereiten. Bei dem Andenken an unser heiliges totes Kind – mußt Du nicht weinen über den Sturm, der mich schüttelt? Wirst Du mich nicht ans Herz schließen und mich glücklich machen durch dieses Ehrenwort, das ich von Dir erbitte und das die wahre Ehre Dich verpflichtet mir zu geben? Zögere nicht! Ich glaube an Gott im Himmel und an Dich auf Erden!

      Beim Durchlesen Deines Briefes, mein Guter, sehe ich, daß Du an meinem festen Willen zu zweifeln scheinst, uns gemeinsam einzuschränken, diese Abzahlungen zu erreichen. Du selbst kannst nicht eifriger wünschen, die Schulden zu tilgen, wie ich, und ich arbeite alle Tage daran. Merk nur auf und schenk mir das gleiche Vertrauen, das Du zu Vater und Mutter haben würdest. Ich werde Dir alles aufrichtig mitteilen, und dann werden wir beide einmütig das tun, was Du zu unserer Herzensruhe für das beste hältst. O wären unsere Herzen doch eins! Verlaß mich nicht! Vergib mir, wenn ich irgendeine Zärtlichkeit unterlassen, wenn ich Dir nicht genug gesagt habe, daß ich überall hingehen würde, aber mit Dir! Wie! Noch fühle ich lebendig Deine letzten Küsse, und Du schreibst mir das? Du, so gut, so edelmütig, so herzergeben? Großer Gott! Was würdest Du sagen, wenn ich oder Dein Sohn Dir so etwas schriebe! Du würdest es nicht glauben. Du hast also nicht bedacht, daß ich Dir überallhin folgen würde!… Und was tat ich sonst, als nur Dich lieben, was ließ Dich glauben, ich würde zurückbleiben… Ach! es ist das erstemal, daß Du mir das Herz zerreißt. Und schließlich, beachte das wohl: ich ertrage alles mit Dir, aber nichts ohne Dich! – Also, lieber Geliebter, komm zurück zu mir, beginn nicht wieder den Brüsseler Leidensweg, oder laß mich neues Leben finden, indem ich Dich dorthin begleite. Ich beschwöre Dich um das eine oder andere! Dein Wille entscheide sich für mein Glück.

      Sag! Bedeutet es Dir nichts, mir das Leben zu retten? Es ist in Deiner Hand, und ich glaubte, Du habest gefühlt, welche Anstrengungen es mich nach dem furchtbaren Schlag kostete, mich für Dich zu erhalten. Du, der ehrenhafteste Mann, den ich kenne, Du bedenkst also nicht, daß Du durch eine falsche Art zu sehen aufhören würdest, ein Ehrenmann zu sein, denn eine grauenhafte Tat von uns beiden würde nichts gutmachen und würde unsere Kinder ins tiefste Elend stürzen, von ihrer Verzweiflung ganz zu schweigen. In welch sonderbarer grausamen Stimmung hast Du mir geschrieben? Du, der Du sonst schon zitterst, wenn ich nur in eine Diligence stieg, Du willst mich nun durch diese Preisgabe zerschmettern… Ach, ich bin Dein Weib, Dein armes Weib, und Du schuldest mir meinen Gatten, den ich auf den Knieen von Dir erbitte!

      Ich sende Dir diesen Brief, ohne den Sonntag abzuwarten; ich möchte mit ihm forteilen, ich bin an Leib und Seele in solcher Verwirrung, daß ich mich nicht mehr zurechtfinde. Mein einziges Leben! Du, der Du um meinetwillen alles entbehrst, Du bist besorgt, mir zu wenig zu schicken! Du darfst in dieser Hinsicht beruhigt sein, ich habe alles, was wir brauchen, selbst für den Fall eines Umzugs. – Schreibe mir also hierher; was mich nicht mehr erreicht, wird nachgesandt. Frankiere nicht, ich kann das bezahlen.

      Mit wie viel Sehnsucht erwarte ich Deine Antwort! Möge der Himmel und die Liebe Dir beistehen, Deiner Frau und innigen Gefährtin nicht das Leben zu nehmen.

      Marceline Valmore

      Ich habe manches zu sagen vergessen: hoffnungsvolle Schritte, Zukunftsaussichten. Ich sende Dir nur meine Seele! Stoße sie nicht zurück, Du tätest ein Verbrechen!

       Paris, 25. Februar 1847.

      Deinen letzten Brief trage ich auf meinem Herzen, wie Balsam für meine Wunden… Ein Wort und das Deine wiegt alle falschen Schwüre auf, die uns betrogen haben. Ah, es fällt mir leicht, allen zu verzeihen, wenn mein Leben auf Deine Zuverlässigkeit sich stützen kann.