Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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Eine Frau wie Du ist nur zufrieden, wenn sie die, der sie Trost geben will, sich nahe weiß… Sieh! Ich verstehe Dich, weil ich mich verstehe, und niemand kann Dich besser kennen als ich, die Dich so geliebt hat! Ein Wort wird Dir alles sagen, warum ich nicht abreise und warum ich in einer qualvollen Lage verharre. Ich bin nicht frei.

      Mein Mann, den Dein Brief zu Tränen gerührt hat, ist ein Mann im vollen Sinne, starr in seinen Abneigungen. Er verabscheut Paris; nichts könnte ihn umstimmen. Und denke Dir, ich bin es, die ihm Trost sprechen muß in seiner Manie, die uns zugrunde richtet. Denn im geheimen gesteht er sich, daß er sich und uns die ganze Zukunft zerstört –, aber seine Scheu reißt ihn fort, und er soll mir nicht anmerken, daß ich darunter leide. Jeder Mann ist im Grunde unerklärlich, Caroline. Fügen wir uns für dieses Leben, und klammern wir uns an die Aussicht auf eine Zukunft, wo nichts uns im Wege steht.

      An Pauline Duchambge

       Lyon, den 24. Dezember 1836.

      Du bist traurig! Sei nicht traurig, mein Gutes, oder wenigstens erhebe Dich wieder unter dieser Leidenslast, die ich verstehe, die ich teile. Alle Demütigungen, die der Frau auf Erden zugedacht sind, ich habe sie erduldet. Meine Kniee wanken noch immer, und mein Haupt ist oft gebeugt wie das Deine unter der Last noch immer bitterer Tränen! Doch Pauline, höre! Wir haben dennoch etwas, was von allen diesen Wunden unabhängig ist. Zunächst das Verzeihen. Es ist eine ungeheure Erleichterung für ein Herz voller Bitternis – und dann die ewige Hoffnung, die ununterbrochen vom Himmel zu uns und von uns zum Himmel fliegt…

      Was aus uns werden wird, ist gar nicht vorauszusehen. Ich wage manchmal nicht mehr, schlafen zu gehen, denn ich fürchte die Gedanken, wenn ich unbeschäftigt bin. Bei Tage ersticke ich sie in Haushaltungssorgen, in der Beschäftigung mit den Kindern oder meiner Schreiberei. Des Nachts – du weißt es, da entflieht man ihnen nicht. Dann versinke ich in Leid und erliege meinem wilden Herzklopfen. Ich erhalte nichts, ich weiß nichts. Ich setze mehr Furcht als Hoffnung auf dieses gefährliche Datum des 1. Januar. Das ist ein Abgrund, der alle meine Erfindungsgabe, uns über unser Elend hinwegzuhelfen, zunichte macht. Und dann, stelle Dir Lyon vor in Schnee und Regen! Lyon ohne Arbeit, und dreißigtausend Arbeiter, die kein Brot und kein Feuer haben, denen man mit vielem Geschrei 500.000 Franken Almosen sendet, vom Thron herab sendet – also von der Vorsehung dieser Armen! – Ach! das sind keine zwei Franken, die auf die Not des einzelnen entfallen. So steigen die Bettler bis unter unser finsteres Dach. Und man muß geben, Pauline, geben, oder an Mitleid zugrunde gehen…

      Ist es wahr, was Du mir von Herrn de Vigny sagst und wie er über diese »so flandrischen« Verse denkt? Ich weiß nicht, wie ich beschaffen bin, aber solche Überraschungen machen mich weinen und erinnern mich an Dinge, die ich vergessen möchte. Das einzige Herz, das ich mir von Gott erbeten hätte, hat das meine nicht gewollt. Welch furchtbares Herzweh bis zum Tode! – Du weißt das, Du!

      An Antoine de Latour

       Lyon, 7. Februar 1837.

      O mein Gott! Wie voll Güte und Mitleid sind Sie! Wie verstehen Sie es, die Fehler zu begütigen, zu entschuldigen, und ich habe vor Dank geweint, denn alles, was ich schreibe, muß wirklich furchtbar unzusammenhängend sein, die Worte unvollkommen und falsch gesetzt. Ich würde mich schämen, wenn ich sie wichtig nehmen wollte. Aber, mein Herr, hätte ich Zeit dazu? Ich sehe keine Seele aus jener literarischen Welt, die den Geschmack bildet und die Sprache läutert. Ich bin mein eigener Kritiker, und da ich nichts gelernt habe, wie soll ich mir helfen? Einmal in meinem Leben, aber nicht für lange, hat ein Mann von ungeheurer Begabung mich ein wenig lieb gehabt, so daß er mir in meinen Strophen die Unkorrektheiten und Waghalsigkeiten, von denen ich keine Ahnung hatte, aufwies. Doch diese scharfsichtige und kühne Zuneigung hat mein Leben nur kurz gestreift. Ich habe nichts hinzugelernt und – soll ich es Ihnen sagen, mein Herr? – nichts hinzulernen wollen. Ich klimme weiter und suche so gut ich kann ein Dasein zu Ende zu führen, das weit mehr zu Gott als zu den Menschen spricht…

      An Melanie Waldor

       Lyon, den 9. März 1837.

      Ganz Lyon krümmt sich unter schwerer Düsternis… Welch ein Jahr! Dreißigtausend Arbeiter ohne Brot, die abends durch Frost und Straßenschlamm daherziehen, den Kopf in Lumpen gehüllt, und ihrem Hunger Lieder singen!… Ich kann Ihnen nicht schildern, wie das mein Herz zerreißt – urteilen Sie selbst! Nein, nein, Paris kennt keinen solchen Anblick, solche Szenen, solche anhaltende nackte Verzweiflung.– Nein! die Machthaber sollten es nicht wagen, so viele Arbeiterfamilien am Hunger zugrunde gehen zu lassen. – Ach! die Leute von Lyon, die man als schlecht und gewalttätig hinstellt, sind von erhabenem Glauben! Es hat sich tatsächlich hier zugetragen – und kann sich nur hier zutragen –, daß eine armselige Madonna auf einer Felsenhöhe dreißigtausend Löwen bändigt, die Hunger und Kälte leiden und den Haß im Herzen tragen… und sie singen wie unterwürfige Kinder! Das ist das Wunderbare. Ich muß in dieser Stadt irrsinnig oder heilig gut werden… Melanie, wenn man dieses Elend mitansieht, wagt man weder zu essen noch sich zu wärmen.

      An Valmore

       Paris, 3. Juli 1837.

      Willst Du, daß ich Dir Geld sende? Wenn nicht, wie wirst Du es anstellen, um zurückzukommen, es sei denn, ich bringe Dir welches zur Endstation der Diligence, wo ich Dich am Tage Deiner Ankunft erwarten werde?

      An Antoine de Latour

       [Paris,] 23. Dezember 1837.

      Zuweilen, wenn ich im Fieber und voll tiefer Trauer bin, kann ich die Verse nicht singen, wie ich es sonst fast immer tue; ich bilde sie dann nach einer Melodie, die mir besonders lieb ist, was mich unwillkürlich zwingt, die Form streng beizubehalten und nicht abzuschweifen. Ich gebe mir, indem ich hier zu Ihnen von meiner armen Arbeit rede, zum erstenmal selber Rechenschaft über diese Einzelheiten, die ich niemals recht beachtet habe. Mein Leben, meine Stunden, meine Träume und meine Wirklichkeit, alles das eilt so dahin, ist so voller Sorgen und Aufregungen, daß ich alles vor Gottes Füße werfe, der jedem Ding seine Ordnung gibt, und für dieses Mal in Ihre Hände lege, mein Herr; denn Sie sind mir ein uneigennütziger Belehrer, zu dem ich Vertrauen habe, so sehr, daß ich Ihnen für einen so wertvollen Brief erst spät meinen Dank sage – lange nachdem ich meinen Nutzen daraus gezogen…

      An Caroline Branchu

       Mailand, den 6. August 1838.

      Du wirst es nicht begriffen haben, meine liebe Caroline, und ich – begreife es noch immer nicht. Es war eine so herzzerreißende Sache, die Unterzeichnung dieses Vertrags, der uns von Paris fort-und nach Italien in die Verbannung führt, daß Valmore fast einen Blutsturz davon gehabt hätte. Es war, als fehlten uns die Worte, und in fünfzig Stunden haben wir unsere Koffer gepackt, Abschiedsbesuche gemacht, die Möbel untergebracht, die Dinge für unsern lieben Sohn geordnet – die Trennung von ihm war das Schmerzlichste –, und dann, Caroline, sind wir in die Postkutsche gesunken, mein armer Valmore, ich und meine beiden Töchter, abgehetzt, ermattet und noch immer verblüfft. Ja, wir sind erstaunt und fast entsetzt. Aber jenes andere Entsetzen, uns wiederum stellungslos zu sehen, hat uns die Gefahren einer solchen Reise mißachten lassen und uns der Vorsehung in die Arme geworfen, da Herr Vedel es so bestimmt hat, kraft seiner kaltblütigen Gewalt. Ich sage Dir vor Gottes Angesicht, dieser Mann hat keine Seele und keine Redlichkeit. Er hat sein Ehrenwort gebrochen, von dem er sagte, es gelte mehr als eine Zusicherung. Doch nicht von ihm habe ich Dir zu erzählen…

      Hier sind wir nun in Mailand. Was hilft es, daß mein Mann siebentausend Franken verdient, unsere Reisen und der Aufenthalt hier verschlingen alles, so daß wir bei der Rückkehr nach Frankreich noch mehr ruiniert sind als beim Weggang. Die bevorstehenden Krönungsfeierlichkeiten haben die Preise aufs äußerste gesteigert. Ein Zimmer, ein Loch, wird für fünf-und sechstausend Franken im Monat vermietet, ein Fenster nach der Straße kostet für siebzehn Tage tausend Taler. Nun beurteile, wie