Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


Скачать книгу

zu glauben, und wenn ich bedenke, was Du für mich gewesen bist, mein guter Engel, so entströmen meinem Herzen, das ich schon für verdorrt hielt, zwei Tränenbäche. Ja, Caroline, da Du Deine Seele über mein Leben breitest, erhebst Du mich von tiefer Niedergeschlagenheit, denn ich bin manchmal recht müde.

      An Frédéric Lepeytre

       5. Februar 1842.

      … Nun denn: alles was ich an weiblichem Scharfsinn, an Erfindungsgabe, an Worten und wenn nötig, an Schweigen besitze, ich benutze es, um meinem lieben Gatten diesen großen, demütigenden Kampf zu verbergen, den er nicht acht Tage ertragen würde. Ich erkaufe ihm seinen Stolz mit meinen Demütigungen, und erst in einer anderen Welt wird er erfahren, mit wieviel unschuldiger List, mit wieviel Tränen, die zwischen mir und Gott Geheimnis blieben, ich ihm bis jetzt das traurige Geheimnis verborgen habe, wie schwer das Brot zu beschaffen war, das auf seinem Tisch und dem der Kinder nie gefehlt hat. Auch der Frost hat ihnen noch nichts anhaben können…

      An Caroline Branchu

       [Paris,] den 23. April 1842.

      Es war mir unmöglich, Dir zu erzählen, was ich gelitten habe. Wie furchtbar, meine Tochter krank zu sehen! Wie traurig, diese Jugend leiden zu sehen, ohne die Ursachen zu kennen! Und Du weißt aus schmerzlicher Erfahrung, was das heißt, fern von seinem Kinde leben. Ich wage nicht mehr, meinen Einfluß auf sie geltend zu machen, denn sie hat nicht das geringste Vertrauen zu mir. Wenn unsere Kinder heranwachsen, betrachten sie uns als unwillkommenen Mentor, und obgleich sie uns immer lieb behalten, so lächeln sie doch über unsern Rat. Nun, da ich einmal die sanfte Autorität über Ondine verloren habe, weiß ich gut, daß sie nirgends besser aufgehoben ist, als unter den Augen Deiner Tochter und im Hause des Doktor Curie, der sie elender findet, als bei ihrem ersten Dortsein; und Du weißt, mein guter Engel, daß meine Dankbarkeit meinem Kummer gleichkommt. Von beiden habe ich viel.

      An Frédéric Lepeytre

       Rouen, 9. Juli 1842.

      Diese Stadt ist ganz Mittelalter und für mich aufwühlend durch Erinnerungen, die härter sind als gespitztes Eisen. Ich war fünfzehn Jahre, als ich hier mit einer meiner Schwestern und meinem Vater einzog: damals, als ich von Amerika zurückkam. Ich war das Idol dieses noch wilden Volkes, das jedes Jahr ein oder zwei Künstler opferte, wie seinerzeit Stiere geopfert wurden. Mir warf man Blumensträuße zu, und wenn ich heimkehrte, starb ich fast Hungers, ohne es irgend jemandem zu sagen. Daher und von einer für dieses jugendliche Alter zu anstrengenden Arbeit, stammt meine schwankende Gesundheit, all mein bewegtes Leben lang.

      An Pauline Duchambge

       Den 10. Februar 1843.

      Deine Vorstellung von Herrn Bayard ist ein trügerischer Traum. Nein, Pauline, diese Herzen fühlen nicht mit uns. Die Reichen von heute kommen und erzählen einem mit solcher Rückhaltlosigkeit und so viel bitteren Klagen ihren Jammer, daß man gezwungen wird, mehr Mitleid mit ihnen zu haben als mit dem eigenen Los. Letzthin hat er mir dargelegt, welche schrecklichen Widerwärtigkeiten er bei seinem Hausbau zu bestehen hat. Er sollte ihn, glaube ich, hunderttausend Franken kosten, und die Ausgaben betragen gegenwärtig schon das Doppelte. Dies und die Erziehungsgelder für seinen Sohn machen ihn kopflos. Was soll man diesen Glücklichen sagen? Daß man nur zwei Hemden hat und keine Bett-Tücher? Sie würden antworten: »Ach, wie glücklich sind Sie daran! Sie brauchen nicht zu bauen!«

      An ihren Bruder

       Paris, den 4. Januar 1849.

      Wenngleich ich die Gründe nicht kenne, aus denen dem Gesuch nicht entsprochen wird, so ist es doch klar, daß es in dieser großen sozialen Krise nirgends Geld zu geben scheint. Das Staatsgebäude, das im Februar zusammenbrach, war so bis unters Dach faul, daß es im Sturz viele Dinge und viele Menschen mitgerissen hat! Armes Volk, das so voll Zuversicht und Frömmigkeit ist, es hat auch diesmal nichts erhalten als das Recht, für seine Kinder zu sterben, denen vielleicht das Blut ihrer heldenmütigen Väter zum Segen werden kann! Wir gehören zum Volk durch unser Elend und unsere Überzeugung, mein lieber Bruder, so laß uns dulden, wie dieses, und hoffen, wie dieses. – Es ist wieder getäuscht worden – sein edler, rühmlicher, unangebrachter Glaube! Doch der Tag wird kommen, da die Vorsehung vom Übermaß unserer Leiden und von der Größe unserer Demut ergriffen sein wird.

      

       Paris, den 28. Juni 1849.

      … Es haben sich in Paris so düstere Ereignisse abgespielt, als wären sie aus einer andern, schauerlichen Welt. Der Tod schoß seine Pfeile nach allen Seiten. Man sah ihn nicht, aber man stürzte getroffen nieder… Ich kann mich kaum mehr aufrechthalten; wir haben so viele Freunde verloren, und der Anblick der Straßen voller Leichenzüge, wo so mancher von denen, die das Geleit gaben, nicht wieder heimkehrte – wie entsetzlich!… Ich bin sicher, und ich war sicher, daß Du genug über dies große Unheil gehört hast, um in schwerer Sorge für uns zu sein. Aber wir wußten nicht wohin vor Inanspruchnahme; von allen fünf Seiten rief man nach uns und wollte unseren Trost und unsere Tränen. Wenn man so allen erdenklichen Geißelungen preisgegeben war, braucht man lange, um sich zu erholen, mein guter Bruder, – um sich zu fragen, ob das, was man an Leben übrig behält, auch wirklich noch ein Dasein ist. Nein! Meine Seele ist allzu zerrissen, und dennoch fühle ich gerade darum mehr als je, daß sie unser unsterblich Teil ist. Daß unser Schmerz so heftig und so tief sein kann, ist der Beweis einer unerschütterlichen Überzeugung, eines vertrauensvollen Willens zum Glück, das nicht ausbleiben wird. Ich setze Dir das auseinander, so gut ich kann – vielleicht aus Mitleid mit mir selbst, um meinen Jammer weniger zu fühlen; ich möchte Dir, wenn auch recht unvollkommen, die Lichter weisen, die unsere Zukunft erhellen und die sich an einem Glauben entzünden, den alles nur vertieft, selbst der Verlust derer, denen unsere Zuneigung gehört.

      Die Geldnot, das Elend der Armut, hat nicht dieselbe Wirkung – wenigstens nicht auf mich. Da ich es bin, die für den Haushalt sorgt, so lassen mir die verzehrenden Sorgen, diese Aufgabe zu lösen, nicht die Zeit zur Sammlung und zur Andacht, wie jene unersetzlichen Verluste sie mit sich bringen. – Wie oft denke ich jetzt an unsere Mutter, an das, was sie unter den nämlichen Verhältnissen für uns gelitten haben muß, um ihrer armen kleinen sorglosen Schar die Nahrung zu beschaffen!…

      Ich hatte eine längere Arbeit beendet, sprach ich Dir schon davon? Ein Auftrag, Verse – eine Arbeit von drei Monaten, unter Tag, am Abend, oft die Nacht hindurch, während die anderen, ihrer Arbeit müde, schliefen; – nun also: als der vereinbarte Preis fällig war – mit gleicher Sehnsucht erwartet wie zur Cholerazeit das himmlische Naß –, hat der Mann unsere Vereinbarung abgeleugnet und wollte mir nur noch die Hälfte bezahlen. Ich habe die Arbeit behalten… vielleicht kann ich sie später einmal verkaufen. Aber welch ein Schlag! – Wie muß man aber auch alle anderen Arbeiter beklagen! Wer hat je inniger mit ihnen gefühlt als ich? Keiner, es sei denn unser verehrter Vater – und die Mutter… Ach! Ich habe die von Lyon gesehen, ich sehe jetzt die von Paris, und ich weine um jene der ganzen Welt!

      Wir leiden weniger physisch als seelisch unter den Vorgängen im allgemeinen und unseren besonderen Kümmernissen. Ondine arbeitet viel, ebenso ihr Bruder. Mein Mann hat noch keinerlei Aussicht, eine Anstellung für sich zu finden. Frankreich ist niedergeschlagen und leidgebeugt! O du schmerzensreiche Mutter Gottes!

      An Pauline Duchambge

       Paris, 15. April 1850.

      Wenn meine Schwäche, die noch immer sehr groß ist, mich nicht daran verhindert hätte, wäre ich wie eine Nachtwandlerin zu Dir gekommen… Dennoch bin ich bis zur Rue Feydeau gegangen – denn ich bin es, die betraut ist, mit Geld, das ich nicht habe, einige Versatzscheine für diesen armen Karl Stellungsloser Schauspieler. in der Pfandleihanstalt verlängern zu lassen. Der eine sollte schon verkauft werden, und so habe ich mich denn hingeschleppt, aber das