Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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target="_blank" rel="nofollow" href="#uce298b05-fe55-5978-94f5-279a75f32c2e">Die Zwiesprache mit Gerhart Hauptmann

       Der Briefwechsel mit Verhaeren

       Das europäische Gewissen

       Die Manifeste

       Über dem Getümmel

       Der Kampf gegen den Haß

       Die Gegner

       Die Freunde

       Die Briefe

       Der Berater

       Einsamkeit

       Das Tagebuch

       »Précurseurs« und »Empedokles«

       »Liluli« und »Pierre et Luce«

       Clerambault

       Die letzte Mahnung

       Das Manifest der Freiheit des Geistes

       Ausklang

       Nachlese

      1921, Rütten & Loening Verlag Frankfurt am Main Dieses Buch will nicht nur Darstellung eines europäischen Werkes sein, sondern vor allem Bekenntnis zu einem Menschen, der mir und manchem das stärkste moralische Erlebnis unserer Weltwende war. Gedacht im Geiste seiner heroischen Biographien, die Größe eines Künstlers immer am Maße seiner Menschlichkeit und in der notwendigen Wirkung auf die sittliche Erhebung aufzeigen – gedacht in diesem Geiste, ist es geschrieben aus dem Gefühl der Dankbarkeit, mitten in unserer verlorenen Zeit das Wunder einer solchen reinen Existenz erlebt zu haben. Ich widme es im Gedenken der Einsamkeit jener Tat den wenigen, die in der Stunde der Feuerprobe Romain Rolland und unserer heiligen Heimat Europa treu geblieben sind.

      »Bei Behandlung einer mannigfaltig vorschreitenden Lebensgeschichte kommen wir, um gewisse Ereignisse faßlich und lesbar zu machen, in den Fall, einiges, was in der Zeit sich verschlingt, notwendig zu trennen, anderes, was nur durch eine Folge begriffen werden kann, in sich selbst zusammenzuziehen und so das Ganze in Teile zusammenzustellen, die man sinnig überschauend beurteilen und sich manches zueignen mag.«

       Goethe (Wahrheit und Dichtung)

      Kunstwerk eines Lebens

       Inhaltsverzeichnis

      Von dem Leben, das hier erzählt werden soll, stehen die ersten fünfzig Jahre ganz im Schatten einsam und namenlos erhobenen Werkes, die Jahre danach im Weltbrand leidenschaftlicher europäischer Diskussion. Kaum hat ein Künstler unserer Zeit unbekannter, unbelohnter, abseitiger gewirkt als Romain Rolland bis kurz vor dem apokalyptischen Jahr und gewiß keiner seitdem umstrittener: die Idee seiner Existenz wird eigentlich erst sichtbar im Augenblick, da sich alles feindlich verbündet, sie zu vernichten.

      Aber dies ist des Schicksals Neigung, gerade den Großen ihr Leben in tragischen Formen zu gestalten. An den Stärksten erprobt es seine stärksten Kräfte, stellt steil den Widersinn der Geschehnisse gegen ihre Pläne, durchwirkt ihre Jahre mit geheimnisvollen Allegorien, hemmt ihre Wege, um sie im rechten zu bestärken. Es spielt mit ihnen, aber erhabenes Spiel: denn Erlebnis ist immer Gewinn. Den letzten Gewaltigen dieser Erde, Wagner, Nietzsche, Dostojewski, Tolstoi, Strindberg, ihnen allen hat das Schicksal zu ihren eigenen Kunstwerken noch jenes dramatischen Lebens gegeben.

      Auch das Leben Romain Rollands versagt sich solcher Frage nicht. Es ist im doppelten Sinn heroisch, denn erst spät, von der Höhe der Vollendung gesehen, offenbart sich das Sinnvolle seines Baues. Langsam ist hier ein Werk gebildet, weil gegen große Gefahr, spät enthüllt, weil spät vollendet. Tief eingesenkt in den festen Grund des Wissens, dunkle Quadern einsamer Jahre als Fundament, trägt reiner Guß alles Menschlichen, im siebenfachen Feuer der Prüfung gehärtet, die erhobene Gestalt. Aber dank solchen Wurzelns in der Tiefe, der Wucht seiner moralischen Schwerkraft, kann gerade dies Werk dann unerschüttert bleiben im Weltensturme Europas, und indes die andern Standbilder, zu denen wir aufblickten, stürzen und sich neigen mit der wankenden Erde, steht es frei, »au dessus de la mêlée«, über dem Getümmel der Meinungen, ein Wahrzeichen für alle freien Seelen, ein tröstender Aufblick im Tumult der Zeit.

      Kindheit

       Inhaltsverzeichnis

      Romain Rolland ist in einem Kriegsjahr, dem Jahr von Sadowa, am 29. Januar 1866 geboren. Clamecy, schon die Vaterstadt eines anderen Dichters, Claude Tilliers (des Autors von »Mon oncle Benjamin«), hat er zur Heimat, ein sonst unberühmtes Städtchen im Burgundischen, uralt und still geworden mit den Jahren, leise lebendig in behaglicher Heiterkeit. Die Familie Rolland ist dort altbürgerlich und angesehen, der Vater zählt als Notar zu den Honoratioren der Stadt, die Mutter, fromm und ernst, lebt seit dem tragischen und nie ganz verwundenen Verlust eines Töchterchens einzig der Erziehung zweier Kinder, des zarten Knaben und seiner jüngeren Schwester. Sturmlose, abgekühlte Atmosphäre geistiger Bürgerlichkeit umschließt den täglichen Lebenskreis; aber im Blute der Eltern begegnen einander noch nicht versöhnt uralte Gegensätze französischer Vergangenheit. Väterlicherseits sind Rollands Ahnen Kämpfer des Konvents, Fanatiker der Revolution, die sie mit ihrem Blute besiegelt haben; mütterlicherseits erbt er Jansenistengeist, Forschersinn von Port-Royal; von beiden also gleiche Gläubigkeit zu gegensätzlichen Idealen. Und dieser jahrhundertealte urfranzösische Zwiespalt der Glaubensliebe und der Freiheitsideen, der Religion und der Revolution, blüht später fruchtbar in dem Künstler auf.

      Von seiner ersten Kindheit, die im Schatten der Niederlage von 1870 wächst, hat Rolland einiges in »Antoinette« angedeutet: das stille Leben in der stillen Stadt. Sie wohnen in einem alten Hause am Ufer eines müde gewordenen Kanals; nicht aus dieser engen Welt aber kommen die ersten Entzückungen des trotz seiner körperlichen Zartheit so leidenschaftlichen Kindes. Aus unbekannter Ferne, unfaßbarer Vergangenheit, hebt ihn gewaltiger Aufschwung, früh entdeckt er sich, Sprache über den Sprachen, die erste große Botschaft der Seele: die Musik. Seine sorgliche Mutter unterrichtet ihn am Klavier, aus den Tönen baut sich unendliche Welt des Gefühls, früh schon die Grenzen der Nationen überwachsend. Denn indes der Schüler die verstandesklare Sphäre der französischen Klassiker neugierig und verlockt betritt, schwingt deutsche Musik in seine junge Seele. Er selbst hat es am schönsten erzählt, wie diese Botschaft zu ihm kam. »Es gab bei uns alte Hefte mit deutscher Musik. Deutscher? Wußte ich, was das Wort sagen wollte? In meiner Gegend hatte man, glaube ich, nie einen Menschen aus diesem Lande gesehen… Ich öffnete die alten Hefte, buchstabierte