Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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springt, Tausende mitreißt in den Sturm eines Wahns; wo die Windstille der Seelen plötzlich umspringt zu heroischem Tumult, wo das Wort, der Glaube, die Idee – immer aber ein Unsichtbares, Unerreichbares – die ganze schwere Welt beschwingt und emporreißt zu den Sternen. Welcher Idee entgegen diese Seelen brennen, ist gleichgültig, ob wie Ludwig der Fromme für das heilige Grab und Christi Reich, ob wie Aërt für das Vaterland, die Girondisten für die Freiheit, unterscheidet sie im tiefsten nicht: Rollands Idealismus ist ein Idealismus ohne bestimmte Ideale, das Ziel ist ihm immer nur Vorwand, das Wesentliche die Gläubigkeit, die wundertätige, die ein Volk versammelt zum Kreuzzug ins Morgenland, die Tausende aufruft zum Tode für die Nation, opferwillig die Führer sich unter die Guillotine werfen läßt. »Toute la vie est dans l’essor« – »im Aufschwung ist das wahre Leben«, wie Verhaeren sagt: nur was aus Begeisterung um Glauben geschaffen wird, ist schön. Daß alle diese ersten, diese zu früh gekommenen Helden, ihr Ziel nicht erreichen, daß Ludwig der Fromme stirbt, ohne Jerusalem zu schauen, Aërt vor der Knechtschaft in die ewige Freiheit des Todes flüchtet, die Girondisten zermalmt werden von den Fäusten des Pöbels, bedeutet nicht Entmutigung: denn sie alle siegen mit der Seele über eine kleine Zeit. Sie haben den wahren Glauben, den Glauben ohne Hoffnung auf Verwirklichung in dieser Welt; sie sind Fahnenträger gleichen Ideals durch andere Jahrhunderte gegen immer andern Sturm der Zeit, ob sie das Kreuz tragen oder das Schwert, die phrygische Mütze oder das verschlossene Visier. Sie haben eine gleiche Begeisterung: die für das Unsichtbare, und haben einen gleichen Feind: die Feigheit, die Kleinmütigkeit, die Ärmlichkeit, die Müdigkeit der schlaffen Zeit. In einem antiheroischen Augenblick zeigen sie das ewige und allzeitige Heldentum des reinen Willens, den Triumph des Geistes, der Zeit und Stunde besiegt, wenn er nur gläubig ist.

      Diesen hingesunkenen Brüdern im Glauben neue zu erwecken in seiner Zeit, den Idealismus, der unaufhaltsam aus der unausbleiblichen Saat einer jeden Jugend quillt, auf zum Geist zu erheben und nicht zur brutalen Gewalt, war Sinn, war das große Ziel jener ersten Dramen Rollands: schon ist in ihnen das ganze moralische Geheimnis seines zukünftigen Werkes – durch Begeisterung die Welt zu ändern. »Tout est bien, qui exalte la vie.« Alles ist gut, was das Leben erhebt. Dieses Bekenntnis Oliviers ist auch das Seine. Nur durch Glut wird das Lebendige erschaffen, nur durch Glaube der Geist Gestalter der Welt: es gibt keine Niederlage, die der Wille nicht überwindet, keine Trauer, die eine freie Seele nicht überfliegt. Wer das Unerreichbare will, ist stärker als das Schicksal, und selbst sein Untergang im Irdischen noch Triumph über sein Los: denn an der Tragödie seines Heldentums entfacht sich neue Begeisterung, die die hinstürzende Fahne aufhebt und weiter trägt durch die Zeiten.

      St. Louis

       Inhaltsverzeichnis

       1894

      Dieser Mythos vom König Ludwig dem Frommen ist kein Drama, sondern mehr ein Weihespiel, geboren aus dem Geiste der Musik, eine Transposition der Wagnerischen Ideen, heimatliche Legende im Kunstwerk zu verklären. Ursprünglich von Rolland für Musik gedacht (er hat selbst eine Introduktion dazu komponiert, die er wie alle seine musikalischen Versuche nie veröffentlichte), löst sich später das musikalische Element in den Lyrismus des Worts. Von der Leidenschaftlichkeit Shakespearischer Szenen ist in diesem sanften Lebensbilde nichts mehr. Es ist eine heroische Heiligenlegende in Bühnenbildern, und man muß dabei an jenes Wort Flauberts im Julian dem Gastfreien denken: »geschrieben, wie sie auf den gemalten Kirchenfenstern unserer Heimat steht.« Es hat nur zarte Farben, die der Fresken Puvis de Chavannes im Pantheon, der auch eine französische Heilige, St. Geneviève, wie sie über Paris wacht, malt, und das milde Mondlicht über ihrer Gestalt ist das gleiche, das hier einen Heiligenschein von Güte um das Haupt des frömmsten Königs von Frankreich webt.

      Parsifalmusik klingt leise durch das Werk und etwas von Parsifal ist selbst in diesem Herrscher, der nicht durch Mitleid, sondern durch Güte wissend wird und sich selbst zum Ruhme das schönste Wort sagt: »Pour comprendre les autres, il ne faut qu’aimer« – »Um die Menschen zu verstehen, muß man nur lieben können«. Er hat nichts als Milde, aber davon so viel, daß die Stärksten schwach werden vor ihm; er hat nichts als seinen Glauben, aber dieser Glaube baut Berge der Tat. Nicht zum Siege kann und will er sein Volk führen, aber er trägt es über sich selbst hinaus, über die eigene Schwere und das scheinbar sinnlose Abenteuer der Kreuzfahrt in den Glauben und schenkt damit der ganzen Nation jene Größe, die immer aus der Aufopferung erwächst. In »St. Louis« zeigt Rolland zum erstenmal seinen liebsten Typus: den besiegten Sieger. Nirgends erreicht er sein Ziel, aber »plus qu’il est écrasé par les choses, plus il semble les dominer davantage« – »je mehr er von den Dingen erdrückt ist, um so mehr scheint er sie zu beherrschen«. Und wenn er wie Moses das verheißene Land nicht mehr schauen darf und ihm das Schicksal auferlegt scheint »de mourir vaincu«, besiegt zu sterben, so jauchzen über seinem letzten Seufzer die Soldaten schon zur ersehnten Stadt. Er weiß es, daß im Kampf um das Aussichtslose die irdische Welt keine Siege gibt, aber »il est beau lutter pour l’impossible quand l’impossible est Dieu« – »es ist schön, um das Unmögliche zu ringen, wenn das Unmögliche Gott ist«. Dem Besiegten in solchem Kampf bleibt doch der höchste Triumph: er hat die schlaffen Seelen zu einer Tat erhoben, deren Glück ihm selbst versagt ist, aus seinem Glauben hat er die Gläubigkeit geschaffen, aus seinem Geiste den ewigen Geist.

      Dieses erste öffentliche Werk Rollands atmet christlichen Geist. Monsalvatsch spannt seine rauschenden Hallen über einen frommen Choral. Daß die Demut die Kraft, der Glaube die Welt, die Güte den Haß besiegt, diesen ewigen Gedanken, der vom Urchristentum bis zum Meister von Jasnaja Poljana in unzähligen Worten und Werken sich vergeistigt hat, formt Rolland im ersten Werke noch in einer Heiligenlegende. Aber in den späteren zeigt er dann freier und befreit, daß die Kraft des Glaubens an kein oder an jedes Bekenntnis gebunden ist; die symbolische Welt, die hier noch romantisch den eigenen Idealismus umkleidet, wird unsere Stunde und unser Tag und reift die Erkenntnis, daß von Ludwig dem Frommen und der Kreuzzugzeit nur ein Schritt ist zu unserer eigenen Seele, »wenn sie groß sein will und die Größe auf Erden verteidigen«.

      Aërt

       Inhaltsverzeichnis

       1895

      Aërt«, ein Jahr nach »St. Louis« geschrieben, ist deutlicher als der fromme Mythos in seiner Absicht, der gedrückten Nation ihren Glauben und ihren Idealismus zurückzugeben. »St. Louis« war die heroische Legende, die sanfte Erinnerung an einstige Größe; »Aërt« ist die Tragödie der Besiegten, der starke leidenschaftliche Aufruf zum Erwachen. Schon die szenischen Bemerkungen, die das Werk einbegleiten, sagen die Absicht nackt und klar: »Entstanden aus den politischen und moralischen Erniedrigungen der letzten Jahre, stellt es in einem Phantasie-Holland die dritte Republik dar, ein Volk, das von der Niederlage zerbrochen und, was noch ärger ist, von ihr erniedrigt ist. Vor sich eine Zukunft langsamer Dekadenz, deren Vorgefühl die verbrauchte Kraft gänzlich auflöst.«

      In dieses Milieu dichtet Rolland seinen Aërt, den jungen Prinzen, den Erben der großen Vergangenheit. Vergeblich sucht man durch Immoralität, durch Versuchung, durch List, durch Zweifel den Glauben an die Größe in dem Gefangenen zu zerbrechen, die einzige Macht, die noch den schwachen dekadenten Körper, diese blasse leidende Seele aufrecht erhält. Mit Luxus, mit Leichtsinn, mit Lüge bemüht sich eine heuchlerische Umgebung, ihn von der hohen Berufung, tätiger Erbe großer Vergangenheit zu sein, abzulenken, er bleibt unerschütterlich. Sein Lehrer, Maître Trojanus, ein vorgeborner Anatole France, in dem alle Eigenschaften, Güte, Tatkraft, Skepsis, Weisheit, nur laue Grade erreichen, möchte einen Marc Aurel aus dem Feurigen machen, einen Kontemplativen, einen Verzichtenden, aber stolz erwidert der Knabe: »Ich ehre die Ideen, doch ich glaube, es gibt etwas, das höher steht als sie: die moralische Größe.« Er verbrennt in einem lauen Zeitalter nach der Tat.

      Aber die Tat ist Gewalt, der Kampf ist Blut. Die zarte Seele will den Frieden, der moralische Wille begehrt das Recht. Ein Hamlet