Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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das feinsilbern hinter die hohe Stirn tritt, der Bart, der spärlich und sanft wie ein heller Schatten über der dünnen Lippe liegt. Und alles ist leise an ihm, die Stimme, die sich nur zögernd im Gespräche gibt, der Gang, der leicht vorgeneigt, auch im Ruhenden noch unsichtbar die Linie der gebückten Arbeit nachzeichnet, die Gesten, die sich immer bändigen, der zögernde Schritt. Nichts Leiseres kann man sich denken als seine Gegenwart. Und fast wäre man versucht, dieses Sanfte seines Wesens für Schwäche zu halten oder eine große Müdigkeit, wären nicht die Augen in diesem Antlitz, klar, messerscharf vorblinkend unter dem leicht geröteten Lidrand und dann wieder sanft sich vertiefend in Güte und Gefühl. In ihrem Blau ist etwas von der Tiefe eines Wassers, das seine Farbe nur von seiner Reinheit hat (und alle seine Bilder sind darum arm, weil sie dies Auge nicht bilden, in dem sich seine ganze Seele sammelt). Das ganze feine Antlitz ist von dem Blick so belebt, wie der schwache enge Körper vom geheimnisvollen Feuer der Arbeit.

      Diese Arbeit, die unendliche Arbeit dieses Menschen im Gefängnis des Körpers, im Gefängnis des engen Raumes in all jenen Jahren, wer kann sie ermessen! Die Bücher, die geschriebenen, sind nur ihr kleinstes Teil. Alles umfaßt die brennende Neugier dieses Einsamen, die Kulturen aller Sprachen, die Geschichte, Philosophie, Dichtung und Musik aller Nationen. Mit allen Bestrebungen ist er in Verbindung, über alles hat er Aufzeichnungen, Briefe und Notizen, er hält Zwiesprache mit sich und den andern, indessen die Feder vorwärts gleitet. Mit seiner feinen aufrechten Schrift, die doch gleichzeitig mit Kraft die Buchstaben hinter sich wirft, hält er die Gedanken fest, die ihm begegnen, die eigenen und die fremden, Melodien vergangener und neuer Zeit, die er in schmalen Heften notiert, Auszüge aus Zeitschriften, Entwürfe, und sein gesparter, gesammelter Besitz an solchem selbst geschriebenen geistigen Gut ist unermeßlich. Immer brennt die Flamme dieser Arbeit. Selten gönnt er sich mehr als fünf Stunden Schlaf, selten einen Spaziergang in den nahen Luxembourg, selten kommt zu stillem Gespräch ein Freund die fünfmal gewundene Treppe empor, und auch seine Reisen sind meist Suche und Forschung. Ausruhen heißt für ihn eine Arbeit tauschen für eine andere, Briefe gegen Bücher, Philosophie gegen Dichtung. Sein Alleinsein ist tätige Gemeinsamkeit mit der Welt, und freie Stunden sind einzig jene kleinen Feste inmitten des langen Tages, wenn er in der Dämmerung auf dem Klavier Zwiesprache hält mit den großen Geistern der Musik, Melodien holend aus andern Welten in diesen kleinen Raum, der selbst wieder eine Welt des schaffenden Geistes ist.

      Der Ruhm

       Inhaltsverzeichnis

       1910

      Ein Automobil saust die Champs Elysées entlang, seinen eigenen späten Warnruf überrennend. Ein Schrei – und der Unbedachte, der gerade die Straße überquerte, liegt unter den Rädern. Blutend, mit gebrochenen Gliedern hebt man den Überfahrenen auf und rettet ihm mühsam den Rest des Lebens.

      Nichts sagt so sehr das Geheimnisvolle im Ruhme Romain Rollands aus als der Gedanke, wie wenig noch damals sein Verlust für die literarische Welt bedeutet hätte. Eine kleine Notiz in den Zeitungen, daß der Musiklehrer an der Sorbonne, Professor Rolland, einem Unfall zum Opfer geworden sei. Vielleicht hätte auch einer oder der andere sich daran erinnert, daß ein Mann dieses Namens vor fünfzehn Jahren hoffnungsvolle Dramen und musikalische Schriften verfaßt habe und in ganz Paris, der Dreimillionenstadt, hätte kaum eine Handvoll Menschen von dem verlorenen Dichter gewußt. So mystisch unbekannt war Romain Rolland zwei Jahre vor seinem europäischen Ruhm, so namenlos noch zu einer Zeit, als das Werk, das ihn zum Führer unserer Generation gemacht, im wesentlichen geschaffen war: das Dutzend Dramen, die Biographien der Heroen und die ersten acht Bände des »Johann Christof«.

      Wunderbar das Geheimnis des Ruhms, wunderbar seine ewige Vielfalt. Jeder Ruhm hat seine eigene Form, unabhängig vom Menschen, dem er zufällt, und doch ihm zugehörig als sein Schicksal. Es gibt einen weisen Ruhm und einen törichten, einen gerechten und einen ungerechten, einen kurzatmigen, leichtfertigen, der wie ein Feuerwerk verprasselt, einen langsamen, schwerblütigen, der erst zögernd dem Werke nachfolgt, und es gibt einen infernalischen, boshaften, der immer zu spät kommt und sich von Leichen nährt.

      Zwischen Rolland und dem Ruhm ist ein geheimnisvolles Verhältnis. Von Jugend an lockt ihn die große Magie, und so sehr ist schon der Jüngling bezaubert von dem Gedanken jenes einzig wirklichen Ruhmes, der moralische Macht und sittliche Autorität bedeutet, daß er stolz und sicher die kleinen Gelegenheiten des Klüngels und der Kameraderie verschmäht. Er kennt das Geheimnis und die Gefahr, die menschliche Versuchung der Macht, er weiß, daß man durch Geschäftigkeit nur seinen kalten Schatten fängt, nie das feurig wärmende Licht. Keinen Schritt ist er ihm darum entgegengegangen, nie hat er die Hand nach ihm ausgestreckt, so nahe er ihm mehrmals im Leben schon war, ja, er hat den nahenden sogar eigenwillig zurückgestoßen durch das grimmige Pamphlet seiner »Foire sur la Place«, die ihm für immer die Gunst der Pariser Presse nahm. Was er von seinem Johann Christof sagt, gilt ganz seiner eigenen Leidenschaft: »Le succès n’était pas son but, son but était la foi«. »Nicht der Erfolg, der Glaube war sein Ziel.«

      Und der Ruhm hebt diesen Menschen, der ihn von ferne liebt, ohne sich ihm anzudrängen, er zögert lang, denn er will das Werk nicht stören, will eine lange Scholle der Dunkelheit um den Keim lassen, daß er reife in Leiden und Geduld. In zwei andern Welten wachsen sie beide heran, das Werk und der Ruhm, und warten der Begegnung. Kristallinisch bildet sich eine kleine Gemeinde seit dem »Beethoven«, die still dann mit Johann Christof sein Leben entlang geht. Die Getreuen von den »Cahiers de la quinzaine« werben neue Freunde. Ohne Mithilfe der Presse, einzig durch die unsichtbare Wirkung der werbenden Sympathie wachsen die Auflagen, im Auslande erscheinen Übersetzungen. Der ausgezeichnete schweizer Schriftsteller Paul Seippel gibt endlich 1912 in umfassender Darstellung die erste Biographie. Lange hat Rolland schon Liebe um sich, ehe die Zeitungen seinen Namen drucken, und der Preis der Akademie für das vollendete Werk ist dann nur gleichsam der Fanfarenstoß, der die Armeen seiner Getreuen zur Heerschau sammelt. Mit einemmal bricht die Welle der Worte über ihn herein, knapp vor seinem fünfzigsten Jahr. 1912 ist er noch unbekannt, 1914 ein Weltruhm. Mit einem Schrei der Überraschung erkennt eine Generation ihren Führer.

      Es ist mystischer Sinn in diesem Ruhm Romain Rollands, wie in jedem Geschehnis seines Lebens. Er kommt spät zu dem Vergessenen, den er in bitteren Jahren der Sorge und materiellen Not allein gelassen. Aber er kommt noch zur rechten Stunde, er kommt vor dem Krieg. Wie ein Schwert gibt er sich ihm in die Hand. In entscheidendem Augenblick schenkt er ihm Macht und Stimme, damit er für Europa spreche, er hebt ihn hoch, damit er sichtbar sei im Getümmel. Er kommt rechtzeitig, dieser Ruhm, denn er kommt, als durch Leiden und Wissen Romain Rolland reif ist zu seinem höchsten Sinne, zu europäischer Verantwortlichkeit und die Welt des Mutigen bedarf, der gegen sie selbst ihre ewige Sendung, die Brüderlichkeit, verkünde.

      Ausklang in die Zeit

       Inhaltsverzeichnis

      So erhebt sich dieses Leben aus dem Dunkel in die Zeit: still bewegt, aber immer von den stärksten Kräften, scheinbar abseitig, aber wie kein anderes mit dem unheilvoll wachsenden Schicksal Europas verbunden. Von seiner Erfüllung aus gesehen, ist alles Hemmende, die vielen Jahre des unbekannten, des vergeblichen Ringens, notwendig darin, jede Begegnung symbolisch: wie ein Kunstwerk baut es sich auf in einer weisen Ordnung von Wille und Zufall. Und es hieße klein vom Schicksal denken, betrachtete man es bloß als Spiel, daß dieser Unbekannte gerade in den Jahren zu einer öffentlichen moralischen Macht geworden war, da wie nie ein Anwalt des geistigen Rechtes uns allen vonnöten war.

      Mit diesem Jahre 1914 verlischt die private Existenz Romain Rollands: sein Leben gehört nicht mehr ihm, sondern der Welt, seine Biographie wird Zeitgeschichte, sie läßt sich nicht mehr ablösen von seiner öffentlichen Tat. Aus seiner Werkstatt ist der Einsame zum Werk in die Welt geschleudert: er, den bisher niemand gekannt hat, lebt bei offenen Türen und Fenstern, jeder Aufsatz, jeder Brief wird Manifest, wie ein heroisches Schauspiel baut seine persönliche Existenz sich auf. Von