aufwärmen will; diesem lächerlichen Stolz des Vaters, den sein Glaube an die starke Persönlichkeit der Tochter nicht hindert, sie wie ein ahnungsloses Kind zu behandeln.
Jetzt kam Erna nach Hause, wann sie wollte. Der Beruf, für den sie sich vorbereitete, reichte in eine so ferne Welt hinüber, daß ihre Eltern es aufgaben, etwas zu erfahren. Das war kein Mädchenlyzeum, das die Mutter auch besucht hatte. Das war »die Bühne«, die nach Sünde roch, fernen unbekannten Reichtümern, einem Glanz, der einen Untergang begleitet oder ein großes Glück – beides so fern von allen bürgerlichen Möglichkeiten, daß man sich fast über das Glück nicht freuen, den Untergang nicht beklagen kann. Diese Welt, für die Erna jetzt rüstete, lag außerhalb der Kontrolle ihrer Eltern. Sie selbst war schon ihrer Macht, ihrer Liebe, ihrem Stolz und ihrer Torheit entgangen.
Weil sie klug war, fürchtete sie nichts so sehr wie ihren eigenen unbewußten Rückfall in eine der tausend häßlichen Formen ihrer Heimat. Sie beobachtete sich unaufhörlich, aus Furcht, an sich selbst eine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter zu finden. Vor Fremden log sie ihre Eltern in einfache Menschen ohne Ansprüche um. Sie fand diesen Ausweg glücklich – der andere nämlich, sein Haus als vornehm auszugeben, war schon zu banal und jeder kleinen Schauspielerin geläufig.
»Wenn man aus einem so einfachen Haus kommt wie ich –«, sagte sie häufig, auch wenn es vollkommen überflüssig war. Am liebsten wäre es ihr gewesen, die Welt glauben zu machen, ihr Vater sei ein Analphabet und ein armer Holzhacker. Es war nach der Revolution Mode bei der Jugend, die sich mit Literatur und Kunst befaßte und gerne dem Proletariat nahesein wollte, weil es eine kurze Zeit siegreich aussah, seine Abstammung nach unten zu verlegen. (Ich kannte den Sohn eines reichen Juweliers, der behauptete, sein Vater wäre ein Uhrmacher.)
Das schien Arnold nicht zu merken. War sein Vater nicht imstande, Ursachen und Wirkungen zu erkennen, so war es Arnold nicht gegeben, Lügen von Wahrheiten zu unterscheiden. Welchem Liebenden ist es übrigens möglich?
XIII
In der nächsten Saison gelang es Erna, eine kleine Anstellung an einem kleinen Theater in Breslau zu bekommen. Sie wußte genau, daß es nicht der Weg zum Ruhm war, sondern der Kampf gegen die Gefahr, den Willen zu verlieren. Sie wußte, daß sie Feindschaft, Neid, Bosheit, Entmunterung erwarteten und niemals ein Trost, niemals ein Wort, das ihr den Glauben wiedergeben würde, niemals eine Anerkennung, niemals die Liebe eines Mannes ohne Eigennutz. Deshalb willigte sie ein, daß Zipper sie begleite. Er, im ersten Jubel, fragte sie, ob sie seine Frau werden wolle.
Sie wollte.
Es war mir damals nicht verständlich. Er wäre ihr bis ans Ende der Welt gefolgt, ohne ihre Liebe dafür zu verlangen. Es war mir unverständlich, daß eine Frau wie sie etwas kaufte, was sie umsonst hätte haben können. Später erkannte ich, daß sie für seine Treue, seine Arbeit, sein Leben und vielleicht sein Glück – denn er hätte auch glücklich werden können – ihm nicht so viel gab, wie er nahm. Denn seit Jahrhunderten leben die Männer in dem Wahn – und Dichter und Romanschriftsteller nähren ihn –, daß eine Frau immer das Höchste gebe, wenn sie sich gibt. Daher die fassungslose Haltung eines Mannes von Wert, wenn er entdeckt, daß seine Frau ihn mit einem Wertlosen betrogen hat. Daher die übertrieben schauderhafte Vorstellung, die man von dem Verlauf einer Hochzeitsnacht ohne Liebe hegt. Daher die Leichtigkeit einer »Verführung«. Daher der übertriebene Respekt vor den Casanovas.
Erna schätzte ihren Körper gering – wie viele Frauen. Sie schlief mit einem Mann, der ihr gleichgültig war, weil ihr die Liebe gleichgültig war. Es schien ihr besser, das erste Engagement als eine jung verheiratete Frau anzutreten. Es war zumindest originell. Es bedeutete etwas, wenn ein Mann ihr folgte, wenn Eifersucht sie umgab und sie doppelt begehrenswert machte. Sie hatte gar keine Illusionen. Sie hatte nur Verstand.
Arnold heiratete, und obwohl es eine Trauung vor dem Standesamt war und ihr keine Feier folgte; trug Frau Zipper doch nach vielen Jahren zum erstenmal wieder ihr schwarzes Flitterkleid. Ob sie die abgefallenen Flitter wieder in die roten Gläser schüttete? Ob das blaue Tintenfaß noch da war? Ob überhaupt die Kommode noch dort stand? – Das waren, ich erinnere mich, die Fragen, die mich bei Arnolds Trauung beschäftigten. Still und mit einer Feierlichkeit, die der Einfachheit der Zeremonie nicht entsprach, stand der alte Zipper da. Hatte er nicht selbst einmal gefragt, ob sie sich heiraten werden? Und siehe da, sie heirateten wirklich: sein Sohn und eine junge Schauspielerin. Merkwürdig war es nicht. Eine religiöse Zeremonie brauchte man nicht. Eine Feier war schließlich auch nur ein Vorurteil. Und der alte Zipper, der immer mit der Jugend ging, sagte wiederholt, daß ihm das Geld leid sei, das seine eigene Hochzeit gekostet hatte.
Wovon Arnold leben wollte, wußte man nicht. Zipper trieb noch Geld für ihn auf – ob er es gespart oder geliehen hatte, blieb ungewiß. Dann fuhr Arnold nach Breslau.
Ich verlor ihn aus den Augen, ich hörte wenig von ihm. Ich weiß nicht, wovon er gelebt hat, er muß schwer gearbeitet haben. Er folgte seiner Frau in den nächsten zwei Jahren in viele Provinzstädte. Endlich gelang es ihr, Verbindung zu Filmleuten herzustellen. Zipper und seine Frau kamen nach Berlin.
Es ging zu langsam mit dem Theater. Es mußte im Film schneller gehn. Denn das Theater hatte viele Zentren, der Film nur ein einziges: Hollywood. Dort hinzukommen, Geld zu haben, Ruhm und Macht!
Es war für Erna mehr ein Triumph als ein Erfolg, als sie durch einen Film, »Der ewige Schatten« – in dem sie nur eine Nebenrolle spielte –, der Presse so aufgefallen war, daß man sie mehr lobte als die Trägerin der Hauptrolle.
Jetzt erst begann ihre Arbeit. Denn die Stimmen der Presse waren damals für die Maßgebenden der »Branche« keine Urteile, sondern ein Gegendienst für Inserate. Für Erna hatten die Kritiken immerhin den Wert, daß ihr Name den ersten schüchternen Klang bekam und die ersten Konturen einer Physiognomie. Mit der Gewandtheit, die ihr angeboren war, begann sie, an ihrer Karriere zu arbeiten.
Sie hatte es beim Film vorläufig mit Menschen zu tun, die ihrem Vater glichen: kleine Bürger mit großen Redensarten. Es waren die Inflationsjahre der Filmindustrie. Da waren sie herbeigekommen aus allen Branchen, aus allen Randgebieten, aus allen Provinzen: die von der Manufaktur und die vom Gastgewerbe, die aus den Drogerien und die von der Photographie, die aus den Modesalons und die von den Rennpferden, die Buchmacher und die Journalisten, die Reisenden von der Konfektion und die Hofphotographen, die Offiziere außer Dienst und die Gelegenheitsverdiener, die aus Kattowitz und die aus Budapest, die aus Galizien und aus Breslau, aus Berlin und der Slowakei. Der Film war ein Kalifornien. Alte Börsenmakler aus Czernowitz setzten sich mit deutschnationalen Großindustriellen zusammen und erfanden patriotische Filme. Reisende in Lampenschirmen rasten in den Ateliers herum, brüllten Mechaniker an und nannten sich Beleuchtungskünstler. Mittelmäßige Porträtzeichner wurden Architekten. Studenten, die akademische Dilettantenklubs geleitet hatten, wurden Hilfsregisseure. Gehilfen, die aus Möbellagern ausgeschieden waren, wurden Ausstattungskünstler, Photographen hießen Aufnahmeleiter, Devisenhändler Direktoren, Polizeispitzel »Kriminalfachmänner«, geschickte Dachdecker »Bautenarrangeure«, und alle, die kurzsichtig waren, Sekretäre. Mancher schlaue Wechselstubenbesitzer machte sich selbständig, mietete ein Büro in der Friedrichstraße und nannte es »Direktion«, einen Winkel am Tempelhofer Feld und nannte es »Atelier«, verfaßte selbst seine Filme und war ein Autor, befahl einer Dilettantin zu weinen und ihrem Partner zu poltern und war ein Regisseur, leimte Pappendeckel zusammen und war ein Architekt, zündete ein Magnesiumlicht an und war ein Beleuchtungskünstler. Da war er und blieb er, selbst ist der Mann.
Zigarrenhändler eröffneten Kinos, ab sieben Uhr abends nach Geschäftsschluß, verkauften dreimal soviel Karten, als sie Plätze im Saal hatten. Wenig Plätze aber zählte der Saal, weil sie so viel falschen Marmor angebracht hatten, kubistische Logen und expressionistische Brüstungen. Die Intellektuellen warben nur mit seltenem Glück um die Beherrscher des Marktes und der Ateliers. Hier und dort gelang es einem, alle fingierten Konferenzen zu überstehen, während derer man ihn nicht empfing, alle Stenotypistinnen durch Liebe zu erweichen, die wie Hunde vor