Йозеф Рот

Gesammelte Werke von Joseph Roth


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Schrecken gebar und den Schatten des Todes weckte, die Rettung vor der Mittelmäßigkeit allerdings: Aber welch eine Rettung! Und wie man die Augen schließt vor einer hereinbrechenden Katastrophe, so schloß Bernheim die Augen vor dem hereinbrechenden Tag, er legte sich schlafen.

      Nicht mehr als zwei Stunden durfte man der Arbeit widmen. Die Geschäfte gingen von selbst. An zwei Telephongesprächen mit Merwig zu Hause verdiente man für einen Monat zum Leben. An der Differenz zwischen dem Dollarwert an den schwarzen und legitimen Börsen dreier Städte verdiente man den Luxus. Es war endlich gelungen, den alten Merwig zu einer Verbindung mit Leuten von der schwarzen Börse zu überreden. Sonst wäre er gekündigt worden. Ohne Mitleid, Paul sagte: »Ohne Schwäche.« »Nur nicht sentimental sein!« sagte Paul ein paarmal im Tag.

      Nun, da sein Büro über seiner Wohnung installiert war, fühlte er sich weniger einsam. Droben saßen Leute, die er bezahlte. Sie lebten von ihm, also mußten sie ihm zur Verfügung stehen. Anders als die Freunde, die das Geld, das man ihnen lieh, mit der Freundschaft bezahlt zu haben glaubten. Gegen drei Uhr nachmittags schritt er langsam die Treppe zum Büro hinauf. Wenn er nur den Schlüssel ins Schloß steckte, begannen drinnen zwei Schreibmaschinen zu klappern. Über sie gebeugt, als hörten sie ihn nicht kommen, saßen beide Mädchen. Sie stürzten sich nach der Sitte weiblicher Bürokräfte raubtierhaft auf einen gleichgültigen Brief und zermalmten ihn zwischen den Gestängen der Maschinen. Ein Vorgang, der dem Brotgeber gefällt, nicht, weil ihn der Fleiß freut, sondern die Furcht, der er begegnet. Auch Paul Bernheim freute sich solcher Untertänigkeit. Der Sitte der Zeit gemäß, die eine Epoche der mutigen und schnellen Entschlüsse war und in der sich der Handel unter dem Einfluß des Krieges wie eine Strategie benahm bis zu dem Grade, daß sogar die Geschäfte »Operationen« zu heißen anfingen, der Sitte dieser Zeit gemäß überflog Bernheim mit einem raschen Blick die Schreibtische, die Korrespondenz, die ihm aufgeschnitten und griffbereit dargeboten wurde. Er liebte es, in einem Augenwinkel das Bild des zaghaft wartenden Sekretärs aufzunehmen, der seinen Herrn in der Lektüre nicht zu stören wagte. Paul Bernheim wurde dann leutselig – eine Fähigkeit, die ebenfalls einen Machtgenuß beschert.

      »Na, zeigen Sie nur mutig her, was Sie haben.«

      Er betrachtete den schlechten, harten und glänzenden Stoff des Anzugs, den der Sekretär trug, und fühlte die Freude aus den Knabenjahren, wenn er mit dem Zeugnis in der Hand von den Kollegen Abschied nahm, auf die noch eine Nachtragsprüfung wartete.

      »Telephonische Abschlüsse?«

      »Vier bis jetzt«, sagte der Sekretär, »Allgemeine Boden, Agrar, Kredit und Herr Robinson.«

      »Robinson? Wieviel?«

      »500 im ganzen!«

      »Chinesische?«

      »Nein, Amerika!«

      »Hören Sie was von Ergo, Im et Ex?«

      »Die Apparate setzen sich nicht durch, Herr Bernheim. Es hat keinen Sinn, wenn ich mir eine Meinung erlauben darf.«

      »Nein!« sagte Bernheim, »keine Meinung« – und er las in der Seele des Sekretärs die Worte: Er hat recht, wer zahlt noch fünfzehn Dollar die Woche?

      »Wir wollen«, fuhr Bernheim fort, »die Sache im Auge behalten. Nase muß man haben!« Das Telephon schrillte, gleichzeitig hörten die fleißigen Mädchen zu klappern auf. Der Sekretär machte einen Sprung, um den Apparat noch zu erreichen, ehe sich Bernheims Hand ausgestreckt hatte. Einen Augenblick hörte man die Stille. Sie ging von den beiden Maschinen aus, die eben noch so gelärmt hatten, und von den zwei Mädchen, auf deren Gesichtern die leere Andacht lagerte, mit der sie manchmal einem Gottesdienst beiwohnten und einer fremden Hochzeit.

      »Wer ist dort?« fragte Bernheim den Sekretär. Der legte die Muschel weg mit der dienstbeflissenen Entschiedenheit, mit der er für fünfzehn Dollar wöchentlich alle Telephonabonnenten abgelegt hätte. Zwischen der Notwendigkeit, leise zu sprechen, und der Angst, ein Flüstern würde die Ehrerbietung vermindern, fand er eine Art abgebrochener Sprechweise, unvollkommene Wendungen, als wären Andeutungen weniger vernehmbar als vollendete Sätze.

      »Granich Düsseldorf fragt, morgen signiert!« stammelte er.

      »Lassen Sie warten!« befahl Bernheim, »bin in einer Konferenz.«

      Der Sekretär telephonierte:

      »Tut mir leid, bitte zu warten oder gefälligst eine Stunde später anzurufen. Herr Bernheim ist in einer wichtigen Konferenz.« Er hielt es für nötig, die Konferenz »wichtig« zu nennen. Auf diese Weise macht man sich unentbehrlich.

      In der Tat war Paul Bernheim froh, wenn man von seinen wichtigen Konferenzen sprach. Er liebte wie alle Welt diese harmlosen Täuschungen, und er verwendete sie aus Angst, er selbst könnte das Opfer einer ähnlichen Lüge geworden sein. Aus diesem Grunde sagte er:

      »Rufen Sie Herrn Robinson an, sagen Sie, ich bin in einer wichtigen Konferenz und erwarte morgen seinen Besuch.«

      »Herr Robinson«, sagte der Sekretär, nachdem er telephoniert hatte, »bittet Sie, zu ihm zu kommen. Gerade morgen hat er keine Zeit!«

      »Dann soll er warten!« entschied Bernheim mit einer gespielten Heftigkeit. Die Antwort Robinsons ärgerte ihn, noch mehr aber, daß er sie nicht vorausgesehen hatte. Er hätte noch gerne weitere Aufträge gegeben, aber er wurde abergläubisch! Heute wird alles schiefgehn!

      Er wollte sich erheben und Schluß machen. Es klingelte noch einmal. »Ihr Herr Bruder«, sagte der Sekretär.

      Paul fragte: »Du, Theodor?«

      »Ja«, sagte Theodor, »geh nicht fort, ich bin in fünf Minuten bei dir.« Theodor kam.

      Er trug zum erstenmal nach langer Zeit wieder Zivil, daheim welkten die Windjacken. Pauls Einladung, sich zu setzen, lehnte er ab. Er stand im Dämmer des Winterabends, ein paar Schneesternchen glänzten noch und zergingen eilig auf den Schultern seines Mantels. Er hielt den Hut in der Hand – man hätte ihm ansehn können, daß er ihn lieber mit beiden Händen gehalten hätte. Gedemütigt, so in der Wohnung des Bruders. Paul war ihm fremder in der Mitte der fremden Möbel, zwischen den Wänden, die Paul, nur Paul gehörten. Es war nicht das Haus der Mutter, in dem Theodor immerhin das Gefühl, enterbt zu sein, genoß, eine erhabene Bitterkeit, die auch Besitzrechte verleiht. Ob er mir helfen wird? Bis zu dem Augenblick, in dem er an Pauls Türklingel gedrückt hatte, war er ohne einen genauen Plan herumgegangen. Es war ihm unmöglich gewesen, sich vorzustellen, was er zuerst sagen würde, was Paul antworten könnte. Nun wußte er nichts zu sagen. Jäher fiel die Dämmerung ins Zimmer. Paul machte kein Licht. Es war, als riefe er den dunklen Himmel gegen Theodor zu Hilfe.

      Bevor es Nacht wird, sage ich es, dachte Theodor.

      »Ich brauche mindestens zweitausend Dollar sofort!« sagte Theodor endlich.

      »Ich habe sie nicht!«

      »Ich muß heute nacht weg. Mit Gustav. Du kennst ihn nicht. Er hat was angestellt.«

      »Was sagst du? Was hast du damit zu tun?«

      »Du kannst mich der Polizei ausliefern, wenn du willst. Ich bin beteiligt!« Und weil es ihm plötzlich einfiel, daß Paul ihn für einen gemeinen Verbrecher halten könnte, sagte er hastig:

      »Es ist politisch.«

      Die letzte Silbe dieses Wortes zischte noch in Pauls Ohren. Die Nacht war hereingebrochen. Paul erinnerte sich wieder an Nikita.

      »Ich habe kein Geld!«

      »Telephoniere, leih dir, sofort, schnell!« begann Theodor, jetzt mit lauter Stimme, als fände er, daß nun, da die Nacht schon da war, Vorsicht keinen Sinn mehr hatte.

      »Und was geschieht«, fragte Paul langsam, »wenn ich dir kein Geld gebe?«

      »Du!« schrie Theodor. Er griff nach dem Tisch, ein gläserner Briefbeschwerer glitt von selbst in seine Hand. Er warf den Gegenstand auf den Fußboden. Es dröhnte.

      In diesem Augenblick schrillte die Türklingel. Paul öffnete. Nikolai Brandeis trat ein.

      Er