Simon Reynolds

Sex Revolts


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es in der Gegenwart eine auffällige Aktualität entwickelt. Auf die Gefahr hin, uns für unsere Voraussicht zu sehr selbst zu loben: Man kann sagen, dass Sex Revolts seiner Zeit in mancher Hinsicht voraus war.

      Der Weg von Palahniuks düsterer Satire zum gegenwärtigen Protofaschismus führt über ein Revival des Momism, eines kulturellen Phänomens im Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg, das in Sex Revolts als Vorstufe zum Aufkommen von Gegenkultur und Rockrebellion gedeutet wird. Das Wachstum von Konsumgesellschaft, Massenmedien und Vorstädten wurde von manchen amerikanischen Kritikern mit einem Matriarchat gleichgesetzt, das Entmannung und Domestizierung vorangetrieben und den auf rauer, martialischer Männlichkeit basierenden Pioniergeist nahezu ausgerottet habe, auf dessen Prinzipien die Nation gegründet worden sei. Das Überleben dieser Reflexe kann man in Amerika etwa am paranoiden Waffenbesitzfetisch erkennen. Ein fanatischer Jäger wie der Hardrocker und Trump-Unterstützer Ted Nugent – der es trotz seines phallischen Gitarrenspiels und seines Images als »wilder Mann« nicht in Sex Revolts geschafft hat – zeigt, wie Rebellion zu streitsüchtiger Reaktion werden kann. Von Ted Nugents Sicht auf Mutter Natur als Selbstbedienungsladen für Jäger ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Rohstoffindustrie und ihren Bemühungen, Maßnahmen zum Umweltschutz zurückzudrängen, um die Rohstoffe der Erde besser plündern und missbrauchen zu können. Das englische Wort fracking klingt nach einem gewalttätigen sexuellen Akt, der es gewissermaßen auch ist.

      Einer der wichtigsten Einflüsse für Sex Revolts war das 1977 erschienene Buch Männerphantasien von Klaus Theweleit, eine Studie der protofaschistischen Psyche, die zum Großteil auf Aufzeichnungen der Freikorps direkt nach dem Ersten Weltkrieg basiert. Es war besorgniserregend zu sehen, wie die bildlichen Ausdrücke, die sich durch Theweleits Analyse ziehen – der Sumpf der Korruption, verseuchende Flutwellen an Immigranten, die Krankheiten und Kriminalität mitbringen, die dringende Notwendigkeit, Verteidigungsmauern zu errichten, um diese Bedrohung abzuwehren –, in der gesamten westlichen Welt in Wahlkampagnen wieder auftauchen. Zwar können auch Frauen den Reiz faschistischer Sehnsucht spüren, doch gibt es keinen Zweifel, dass Männer besonders anfällig für die Ängste sind, die aktuell geschürt werden: Auch wenn reale politische Themen oder Probleme dahinterstehen, sind sie doch ebenfalls trügerische Platzhalter und Requisiten, Verdrängungen und Kompensationen in den inneren psychischen Konflikten eines erodierenden und immer irrelevanter werdenden Männlichkeitsideals.

      Man muss gar nicht allzu weit blicken, um zu erkennen, dass sich Maskulinismus, Militarismus und die hyperindustrielle Ausbeutung von Mutter Natur auf der einen Seite befinden und Feminismus, Pazifismus und Umweltschutz logischerweise auf der anderen. In Sex Revolts verfolgen wir, wie sich diese Gegensätze in der Rockgeschichte spiegeln. Der Rockrebellion als einer dynamischen und dominierenden Abenteuerlust, die sich von den Zwängen des domestizierten Lebens löst und ihre Wildheit auf die Welt überträgt, setzen wir eine »soft-männliche« Passivität und eine von jeglichem Ego befreite Haltung entgegen, die ihren ersten Ausdruck in der Psychedelic und ihren Höhepunkt im Ambient findet (quasi eine Rebellion gegen die Rebellion).

      Ein so deutlich umrissenes Schema läuft immer Gefahr zu übertreiben oder zu generalisieren: Blickt man einzig auf die größeren Wahrheiten dahinter, verpasst man die subtilen Ausnahmen. Andererseits will Sex Revolts aber auch gar nicht die komplette Rockgeschichte erzählen, weder des gleichnamigen Genres noch der dazugehörigen Kultur. Rock beinhaltet mehr als nur die Psychodynamik von Genderfragen: Da gibt es die elektrische Gitarre, die Tänze, das Konzept von Adoleszenz, die Kollision regionaler amerikanischer Musiktraditionen mit den Massenmedien, Drogen, Aufnahmetechnik und und und …

      Aus diesem Grund berücksichtigt unsere Analyse der besprochenen Künstlerinnen und Künstler nicht alles, was an ihrem Werk oder ihrer Person interessant, wertvoll oder einzigartig ist. Wir versuchen uns an keinen definitiven Statements über das Werk und die Karrieren von, sagen wir, Nick Cave, Van Morrison oder Joni Mitchell. Das Werk wirklich origineller Künstlerpersönlichkeiten funktioniert über eine Interaktion unterschiedlicher Faktoren;