Оноре де Бальзак

Verlorene Illusionen


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und sich vielleicht in Schulden stürzen. Bewahren Sie also mein Geheimnis. Einzig Ihre liebe, süße Gesellschaft wird mich während dieser langen Zeit der Prüfungen trösten können, wie das Verlangen, Sie reich zu machen, Sie und Lucien, mir Beständigkeit und zähe Ausdauer verleihen wird...«

      »Ich habe mir schon gedacht,« unterbrach ihn Eva, »dass Sie, wie mein armer Vater; einer der Erfinder sind, die eine Frau brauchen, die für Sie sorgt.«

      »Sie lieben mich also? Oh, sagen Sie es mir ohne Furcht, sagen Sie es mir, der ich schon in Ihrem Namen ein Symbol Ihrer Liebe gefunden habe. Eva war die einzige Frau auf der Welt, und was für Adam wörtlich wahr gewesen ist, trifft moralisch für mich zu. O Gott! Lieben Sie mich?«

      »Ja«, sagte sie und dehnte diese kurze Silbe so, wie sie sie aussprach, als ob sie damit die Größe ihres Gefühls zum Ausdruck bringen wollte.

      »Setzen wir uns hier hin«, sagte er und führte Eva an der Hand zu einem langen Balken, der bei den Rädern einer Papiermühle lag. »Lassen Sie mich die Abendluft atmen, das Quaken der Frösche hören, die Strahlen des Mondes sehen, die im Wasser zittern, lassen Sie mich diese Natur in mich aufnehmen, wo ich in allen Dingen mein Glück lese, die mir zum erstenmal in ihrem Glanze erscheint, erhellt von der Liebe, von Ihnen verschönt. Eva, Geliebte, das ist der erste Augenblick ungemischter Freude, den das Schicksal mir schenkt! Ich glaube nicht, dass Lucien so glücklich ist, wie ich es bin.«

      David ließ auf die feuchte, zitternde Hand Evas, die er in der seinen hielt, eine Träne fallen.

      »Darf ich das Geheimnis nicht wissen?« fragte Eva mit schmeichelnder Stimme.

      »Sie haben ein Anrecht darauf, denn Ihr Vater hat sich mit der Frage beschäftigt, die von großer Bedeutung werden wird. Hören Sie den Zusammenhang. Der Sturz des Kaiserreichs wird den Gebrauch baumwollener Stoffe fast allgemein machen, weil dieser Stoff im Vergleich zur Leinwand sehr billig ist. Bis jetzt ist das Papier aus Lumpen, die aus Hanf und Flachs gewebt sind, hergestellt worden; aber diese Bestandteile sind teuer, und der hohe Preis verzögert den großen Aufschwung, den die französische Presse notwendig nehmen muss. Nun lässt sich das zur Verfügung stehende Quantum Lumpen nicht steigern. Die Lumpen sind das Ergebnis des Verbrauchs an Leinwand, und die Bevölkerung eines Landes liefert davon nur eine bestimmte Menge. Diese Menge kann nur anwachsen durch eine Bevölkerungszunahme. Um eine merkbare Veränderung seiner Bevölkerung zu erwirken, braucht ein Land ein Vierteljahrhundert und große Revolutionen in den Sitten, im Handel oder in der Landwirtschaft. Wenn also die Bedürfnisse der Papierfabrikation das Quantum Lumpen, das Frankreich produziert, übersteigen, sagen wir ums Doppelte oder ums Dreifache, so muss man, wenn der Papierpreis niedrig bleiben soll, in die Papierfabrikation zu den Lumpen hinzu einen neuen Faktor einführen. Diese Beweisführung beruht auf einer Tatsache, die hier bei uns vor sich geht. Die Papiermühlen von Angoulême, die letzten, in denen Papiere aus leinenen Lumpen hergestellt werden, müssen erleben, wie die Baumwolle in erschreckend steigendem Maße ins Zeug eindringen wird.«

      Auf eine Frage der jungen Arbeiterin, die nicht wusste, was dieses Wort ›Zeug‹ bedeuten sollte, gab ihr David Aufklärungen über die Papierfabrikation, die in einem Werke, dessen stoffliche Existenz dem Papier und der Presse zu verdanken ist, nicht unangebracht sind; aber diese lange Parenthese in einem Gespräch zwischen einem Liebenden und einer Geliebten gewinnt ohne Zweifel, wenn sie hier abgekürzt wird.

      Das Papier, ein Produkt, das nicht weniger wunderbar ist als das Druckverfahren, dem es zur Grundlage dient, existierte seit langem in China, als es durch die unterirdischen Kanäle des Handels nach Kleinasien gelangte, wo man nach einigen Überlieferungen um das Jahr 750 ein Papier benutzte, das aus kleingebrochener und zu Brei gemachter Baumwolle hergestellt war. Die Notwendigkeit, einen Ersatz für das Pergament zu finden, dessen Preis außerordentlich hoch war, führte durch eine Nachahmung des Bombyxpapiers – so nannte man das orientalische Baumwollpapier – zur Erfindung des Lumpenpapiers, und zwar wurde diese Erfindung nach einer Nachricht im Jahre 1170 in Basel von griechischen Flüchtlingen gemacht, nach einer andern Nachricht im Jahre 1310 in Padua von einem Italiener namens Pax. So vervollkommnete sich das Papier langsam und ohne dass wir viel davon wissen; aber es ist sicher, dass man schon unter Karl VI. in Paris den Papierbrei (das sogenannte »Zeug«) für Kartenspiele herstellte. Als die unsterblichen Fust, Coster und Gutenberg die Buchdruckerkunst erfunden hatten, passten Handwerker, die, wie so viele Künstler dieser Epoche, unbekannt blieben, die Papierfabrikation den Bedürfnissen des Buchdruckers an. In diesem so kraftvollen, naiven fünfzehnten Jahrhundert trugen die Namen der verschiedenen Papierformate, ebenso wie die Namen, die man den Schriftgattungen gab, den naiven Stempel der Zeit. So bekamen das Traubenpapier, das Jesuspapier, das Kolombierpapier, das Topfpapier, das Schildpapier, das Muschelpapier, das Kronenpapier ihre Namen von der Traube, vom Bild des Heilands, vom Topf, vom Schild, kurz, von dem Wasserzeichen in der Mitte des Bogens, wie man später unter Napoleon einen Adler als Wasserzeichen benutzte, woher das Papier in großem Landkartenformat grand aigle (großer Adler) genannt wird. Ebenso nannte man die Schriftgattungen Cicero, Augustin, gros canon (großen Kanon) nach liturgischen Büchern, theologischen Werken und den Abhandlungen Ciceros, zu denen diese Schriften zum erstenmal verwendet wurden. Was man in Frankreich Italique nennt (die Kursivschrift), wurde von den Aldi in Venedig erfunden: daher der Name. Vor der Erfindung des mechanisch hergestellten Papiers, dessen Länge ohne Grenzen ist, waren die größten Formate grand jésus und grand colombier, und dieses letzte diente kaum zu etwas anderem als zu Atlanten und Stichen. In der Tat waren die Dimensionen des Druckpapiers von dem Umfang der Presseplatte abhängig. Zu der Zeit, wo David sprach, wäre die Existenz des fortlaufenden Papiers in Frankreich als Schimäre erschienen, obwohl schon Denis Robert d'Essonne gegen 1799 zu seiner Herstellung eine Maschine erfunden hatte, die später Didot-Saint-Léger zu verbessern versuchte. Das Velinpapier, das Ambroise Didot erfunden hat, stammt erst aus dem Jahre 1780. Dieser rasche Überblick zeigt unwidersprechlich, dass alle großen Errungenschaften der Industrie und der Kenntnisse mit außerordentlicher Langsamkeit und durch unmerkliche Häufungen genau wie ein geologischer oder sonst ein Naturprozess vor sich gegangen sind. Um zu ihrer Vollkommenheit zu gelangen, hat die Schrift – vielleicht auch die Sprache – dieselben Tastversuche machen müssen wie die Buchdruckerkunst und die Papierfabrikation.

      »Lumpensammler suchen in ganz Europa die Lumpen, die alte Leinwand zusammen und kaufen die Überbleibsel jeder Art von Geweben«, sagte der Buchdrucker zum Schluss seiner Auseinandersetzung. »Diese Überbleibsel, die je nach dem Gewebe sortiert werden, werden bei den Lumpenhändlern en gros aufgestapelt, und diese versorgen die Papiermühlen. Um Ihnen einen Begriff von diesem Handel zu geben, will ich Ihnen sagen, dass im Jahre 1814 der Bankier Cardon, der Eigentümer der Bütten von Buges und Langlée, wo Léorier de l'Isle schon 1776 sich an der Lösung des Problems versuchte, mit dem sich Ihr Vater beschäftigte, einen Prozess mit einem gewissen Proust hatte, weil sich in seine Rechnung über zehn Millionen Pfund gelieferte Lumpen ein Gewichtsirrtum von zwei Millionen eingeschlichen hatte; es handelte sich in diesem Prozess um Beträge von annähernd vier Millionen Franken. Der Fabrikant wäscht seine Lumpen und verwandelt sie in einen klaren Brei, der, genau wie eine Köchin ihre Sauce durch ein Sieb gehen lässt, durch einen eisernen, die »Form« genannten Rahmen durchgetrieben wird, welcher innen aus einem Metall besteht, in dessen Mitte sich die Zeichenlettern befinden, die dem Papier den Namen mitgeben. Von der Größe dieser Form hängt nun also die Papiergröße ab. In der Zeit, wo ich bei Didot war, beschäftigte man sich schon mit dieser Frage, und man beschäftigt sich noch damit, denn die Verbesserung, die Ihr Vater gesucht hat, ist eine der gebieterischen Notwendigkeiten unserer Zeit. Hören Sie die Gründe. Obgleich die Dauerhaftigkeit des Leinenfadens im Vergleich mit der Baumwolle schließlich die Leinwand billiger macht, geben die Armen, da es sich für sie immer darum handelt, ob sie ihrer Tasche eine bestimmte Summe entnehmen können, lieber weniger als mehr aus und erleiden auf Grund desVae victis! enorme Verluste. Die Bürgerklasse verfährt genau so wie der Arme. Daher wird die Leinwand immer seltener. In England, wo die Baumwolle bei vier Fünfteln der Bevölkerung die Leinwand verdrängt hat, fabriziert man schon nur noch Papier aus Baumwolle. Dieses Papier, das zunächst den Nachteil hat, dass es leicht brüchig wird und reißt, löst sich so schnell im Wasser auf, dass ein Buch aus Baumwollpapier nur eine Viertelstunde darin bleiben müsste, um zu Brei zu werden, während ein