Оноре де Бальзак

Verlorene Illusionen


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eine Laura. Sie setzte sich, wie man’s im Mittelalter tat, unter den Baldachin des Dichterturniers, und Lucien durfte sie erst nach etlichen Siegen verdienen; er musste erst das »himmlische Kind«, Lamartine, Walter Scott, Byron überwinden. Die edle Frau betrachtete ihre Liebe wie ein erhabenes Prinzip: die Wünsche, zu denen sie Lucien brachte, mussten ihn antreiben, sich Ruhm zu erwerben. Diese weibliche Donquichotterie ist ein Gefühl, das der Liebe eine ansehnliche Weihe gibt, sie macht sie nutzbringend, groß und ehrenvoll. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, im Leben Luciens sieben oder acht Jahre die Rolle der Dulzinea zu spielen, und wollte, wie viele Frauen der Provinz, ihre Person durch eine Art Leibeigenschaft, durch eine Zeit der Treue erkaufen lassen, die es ihr möglich machte, ihren Freund von Grund aus kennen zu lernen.

      Als Lucien den Kampf mit einer der prahlerischen Übertreibungen begonnen hatte, über die die Frauen, die noch frei über sich selbst verfügen, lachen, und die nur die Frauen, die sich hingegeben haben, betrüben, nahm Louise eine würdige Miene an und begann eine ihrer langen, mit pomphaften Worten gespickten Reden.

      »Halten Sie so Ihr Versprechen, Lucien?« sagte sie schließlich. »Sie dürfen in eine so süße Gegenwart nicht Gewissensbisse hineinbringen, die später mein Leben vergiften würden. Verderben Sie nicht die Zukunft! und, ich sage es mit Stolz, verderben Sie nicht die Gegenwart! Haben Sie nicht mein ganzes Herz, was fehlt Ihnen denn noch? Lässt sich wirklich Ihre Liebe von den Sinnen beeinflussen, während es das schönste Vorrecht einer geliebten Frau ist, ihnen Ruhe zu gebieten? Wofür halten Sie mich denn? Bin ich nicht mehr Ihre Beatrice? Wenn ich für Sie nicht etwas mehr als ein Weib bin, bin ich weniger als ein Weib.«

      »Sie würden zu einem Manne, den Sie nicht lieben, nichts anderes sagen«, rief Lucien wütend. »Wenn Sie keine Empfindung für die wahrhafte Liebe besitzen, die all mein Denken beseelt, werden Sie nie meiner würdig sein.«

      »Sie setzen Zweifel in meine Liebe, um der Antwort enthoben zu sein«, sagte Lucien und warf sich ihr schluchzend zu Füßen.

      Der arme Bursche weinte allen Ernstes, da er sich auf so lange Zeit aus dem Paradiese ausgeschlossen sah. Es waren Tränen eines Dichters, der sich in seiner Macht gedemütigt glaubte, Tränen eines Kindes, das außer sich gerät, weil man ihm ein Spielzeug, das es begehrt, verweigert.

      »Sie haben mich nie geliebt!« rief er.

      »Sie glauben nicht, was Sie sagen«, antwortete sie. Sie war glücklich über dieses Ungestüm.

      »So beweisen Sie mir doch, dass Sie mir gehören«, rief Lucien, dem die Haare wild ums Gesicht hingen.

      In diesem Augenblick war Stanislaus geräuschlos hinzugetreten, sah Lucien halb zu Boden liegend, mit Tränen in den Augen und den Kopf auf Louisens Knie. Von diesem hinreichend verdächtigen Anblick zufriedengestellt, wandte er sich heftig gegen Châtelet um, der an der Tür des Salons stehen geblieben war. Frau von Bargeton stürzte eilends hinaus, aber sie erreichte die beiden Spione nicht mehr, die sich, wie jemand, der nicht gelegen kommt, schleunigst zurückgezogen hatten.

      »Wer war denn hier?« fragte sie ihre Leute.

      »Die Herren von Chandour und du Châtelet«, antwortete Gentil, ihr alter Kammerdiener.

      Bleich und zitternd kehrte sie in ihr Boudoir zurück.

      »Wenn sie Sie so gesehen haben, bin ich verloren«, sagte sie zu Lucien.

      »Um so besser!« rief der Dichter.

      Sie lächelte bei diesem Ausruf des Egoismus, in dem so viel Liebe lag. In der Provinz wird ein solches Abenteuer schlimmer durch die Art, wie es erzählt wird. In einem Augenblick erfuhr alle Welt, Lucien wäre ertappt worden, wie er vor Naïs auf den Knien lag. Herr von Chandour war glücklich über die Wichtigkeit, die ihm diese Sache gab, und beeilte sich zunächst, das große Ereignis im Klub und dann von Haus zu Haus zu erzählen. Châtelet legte Wert darauf, überall zu sagen, er hätte nichts gesehen; aber gerade dadurch, dass er sich so abseits stellte, reizte er Stanislaus zum Sprechen, brachte er ihn dazu, die Einzelheiten zu übertreiben; und Stanislaus, der von sich selber den Eindruck bekam, er sei ein witziger Kopf, fügte bei jedem Wiedererzählen neue Einzelheiten hinzu. Am Abend strömte die ganze Gesellschaft zu Amélie, denn die übertriebensten Versionen zirkulierten schon am Abend in den Adelskreisen Angoulêmes, wo jeder Erzähler dem Beispiel Stanislaus' gefolgt war. Frauen und Männer waren ungeduldig, die Wahrheit zu erfahren. Die von den Frauen, die am meisten die Hände zusammenschlugen und von Skandal und Unzucht schrieen, waren gerade Amélie, Zéphirine, Fifine, Lolotte, die alle mehr oder weniger unerlaubter Freuden schuldig waren. Das grausame Thema wurde in allen Tonarten variiert.

      »Ja,« sagte eine, »die arme Naïs! nicht wahr? Ich glaube es nicht, ein ganzes Leben ohne Tadel spricht für sie; sie ist viel zu stolz, um etwas anderes zu sein als die Gönnerin dieses Herrn Chardon. Aber wenn es so ist, beklage ich sie von ganzem Herzen.«

      »Sie ist um so mehr zu beklagen, als sie sich schrecklich lächerlich macht; denn sie könnte die Mutter dieses Herrn Lulu sein, wie ihn Jacques genannt hat. Dieses Dichterlein ist höchstens zweiundzwanzig Jahre alt, und Naïs hat, unter uns gesagt, gute vierzig hinter sich.«

      »Ich für mein Teil«, sagte Châtelet, »finde, dass gerade die Situation, in der Herr von Rubempré getroffen wurde, Naïs' Unschuld beweist. Man fällt nicht auf die Knie, um zu begehren, was man schon gehabt hat«

      »Je nachdem!« sagte Francis mit einem vergnügten Schmunzeln, das ihm von Zéphirine einen missbilligenden Blick eintrug. »Aber sagen Sie uns doch; wie die Sache sich verhält?« fragte man Stanislaus und bildete eine Art Geheimkomitee in einer Ecke des Salons.

      Stanislaus hatte schließlich eine kleine Geschichte, die voller verblümter Unanständigkeiten war, zusammengestellt und begleitete sie mit Gesten und Stellungen, die die Sache noch sehr verschlimmerten.

      »Das ist unglaublich«, sagte man immer wieder. »Am Mittag?« fragte eine. »Naïs wäre die letzte gewesen, die ich im Verdacht gehabt hätte.«

      »Was wird sie beginnen?«

      Dann unendliche Kommentare und Vermutungen!... Du Châtelet verteidigte Frau von Bargeton; aber er verteidigte sie so ungeschickt, dass er das Feuer des Klatsches schürte, anstatt es zu löschen. Lili, die untröstlich über den Sturz des schönen Engels auf dem Olymp des Angoumois war, begab sich tränenden Auges in den bischöflichen Palast, um die Nachricht dorthin zu bringen. Als ohne Zweifel schon die ganze Stadt von dem Gerücht erfüllt war, begab sich der glückliche Châtelet zu Frau von Bargeton, wo heute Abend leider nur ein einziger Whisttisch besetzt war. Er bat Naïs in diplomatisch leisem Ton, mit ihr in ihrem Boudoir plaudern zu dürfen. Sie setzten sich beide auf das kleine Kanapee.

      »Sie wissen ohne Zweifel,« sagte Châtelet mit gedämpfter Stimme, »womit ganz Angoulême sich beschäftigt?...«

      »Nein«, antwortete sie.

      »Ich bin«, begann er, »zu sehr Ihr Freund, um Sie darüber im unklaren zu lassen. Ich muss Sie instand setzen, die Verleumdungen zum Schweigen zu bringen, die ohne Frage von Amélie erfunden sind, die die Vermessenheit hat, sich für Ihre Rivalin zu halten. Ich wollte Sie heute morgen zusammen mit diesem Affen Stanislaus besuchen. Er ging einige Schritte voraus, und als er hier angelangt war« – dabei deutete er auf die Boudoirtür –, »behauptet er, habe er Sie mit Herrn von Rubempré in einer Situation gesehen, die ihm nicht erlaubte, einzutreten; er kam ganz verwirrt zu mir zurück und schleppte mich mit sich, ohne mir Zeit zu lassen, zur Besinnung zu kommen; und wir waren schon in Beaulieu, als er mir endlich den Grund zu seiner Flucht mitteilte. Hätte ich eine Ahnung gehabt, wäre ich nicht von hier gewichen, sondern hätte diese Sache zu Ihren Gunsten aufgeklärt; aber, nachdem wir erst fortgegangen waren, noch einmal zurückkehren, hätte nichts mehr bewiesen. Wie die Sache jetzt steht, ob Stanislaus falsch gesehen hat oder ob er recht hat: er muss unrecht haben. Liebe Naïs, lassen Sie nicht Ihr Leben, Ihre Ehre, Ihre Zukunft von einem Dummkopf gefährden; bringen Sie ihn sofort zum Schweigen. Sie wissen, in welcher Lage ich mich hier befinde. Ich bin hier auf alle Welt angewiesen, aber ich stehe völlig zu Ihrer Verfügung. Verfügen Sie über ein Leben, das Ihnen gehört. Wenn Sie auch meine Wünsche