Sie nichts, Monsieur, es handelt sich um mein Leben, nicht um das Ihre. Warum soll ich eine harmlose List nicht eingestehen?« fuhr er fort, da er die Unruhe des Alten bemerkte. »Ich wollte die Nacht abwarten, um mich, ohne Aufsehen, ertränken zu können, und bin hierhergekommen, Ihre Schätze zu besichtigen. Wer wird einem Mann der Wissenschaft und Poesie dieses letzte Vergnügen verargen?«
Der misstrauische Händler durchforschte, während er ihm zuhörte, mit scharfen Blicken das düstere Antlitz seines angeblichen Kunden. Der schmerzliche Klang der Stimme indes beruhigte ihn bald, vielleicht las er auch in den fahlen Zügen das düstere Schicksal, vor dem vorher die Spieler zurückgebebt waren, und er ließ die Hände los. Doch streckte er mit einem Rest von Argwohn, der eine mindestens hundertjährige Erfahrung verriet, den Arm nach einem Buffet aus, wie um sich aufzustützen, und langte nach einem Stilett, wobei er fragte: »Sind Sie seit drei Jahren Beamtenanwärter beim Schatzamt und haben keine Sonderzulage erhalten?«
Der Unbekannte konnte sich nicht enthalten zu lächeln, während er mit einer Gebärde verneinte.
»Hat Ihnen Ihr Vater Ihre Geburt zu heftig vorgeworfen? Oder haben Sie Ihre Ehre eingebüßt?« »Wenn ich sie einbüßen wollte, würde ich am Leben bleiben.«
»Sind Sie in den Funambules [* Funambules: Théâtre des Funambules, Pariser Theater für Vaudevilles] ausgepfiffen worden? Oder sind Sie genötigt, Gassenhauer zu komponieren, um das Begräbnis Ihrer Geliebten zu bezahlen? Hat Sie nicht vielmehr die Sucht nach Gold gepackt? Wollen Sie die Langeweile totschlagen? Nun, welch ein Wahn treibt Sie in den Tod?«
»Suchen Sie den Grund meines Todes nicht in den Ursachen, welche gemeinhin zu Selbstmorden führen. Um mir zu ersparen, Ihnen die unerhörten Leiden, die sich mit menschlicher Sprache ohnehin schwer ausdrücken lassen, zu enthüllen, will ich Ihnen nur sagen, dass ich mich in der tiefsten, schmählichsten, qualvollsten Not befinde. Und«, fügte er mit einem Ton hinzu, dessen wilder Stolz seine vorhergehenden Worte Lügen strafte, »ich will weder um Hilfe noch um Trost betteln.«
»He, he!« Die beiden Silben, die der Alte zunächst statt einer Antwort hören ließ, klangen wie das Kreischen einer Knarre. Dann fuhr er fort: »Ohne Sie zu nötigen, mich anzubetteln, ohne Sie zu beschämen, ohne Ihnen einen französischen Centime, einen Para aus der Levante, eine sizilianische Tari, einen deutschen Heller, eine russische Kopeke, einen schottischen Farthing; eine einzige Sesterze oder einen Obolus der alten Welt noch einen Piaster der neuen zu geben, ohne Ihnen irgend etwas von Gold, Silber, Münzen, Banknoten oder Wertpapieren anzubieten, will ich Sie reicher, mächtiger und angesehener machen, als es ein konstitutioneller König sein kann.«
Der junge Mann glaubte, der Alte sei kindisch geworden, er war wie betäubt und wagte nicht zu antworten.
»Drehen Sie sich um«, sagte der Händler und griff plötzlich zur Lampe, um ihr Licht auf die dem Bildnis gegenüberliegende Wand fallen zu lassen – »und betrachten Sie dieses Chagrinleder«, fügte er hinzu.
Der junge Mann erhob sich hastig und zeigte sich einigermaßen erstaunt, als er über dem Sessel, auf dem er gesessen hatte, ein Stück Chagrin an der Wand hängen sah, das nicht größer als eine Fuchshaut war; doch, einem auf den ersten Blick unerklärlichen Phänomen zufolge, warf dieses Leder in das tiefe Dunkel des Ladens so leuchtende Strahlen, dass man hätte denken können, sie gingen von einem kleinen Kometen aus. Der ungläubige junge Mann näherte sich dem angeblichen Talisman, der ihn vor Unglück bewahren sollte, und machte sich innerlich darüber lustig. Als er sich jedoch, von einer berechtigten Neugierde getrieben, vorbeugte, um die Haut von allen Seiten zu betrachten, entdeckte er bald einen natürlichen Grund für diese sonderbare Leuchtkraft. Die schwarzen Narben des Chagrins waren so sorgfältig geglättet und so vortrefflich poliert, die verschlungenen Rillen so klar und scharf, dass die Unebenheiten dieses orientalischen Leders, gleich den Facetten eines Granats, ebenso viele kleine Brennpunkte bildeten, die das Licht funkelnd zurückwarfen. Er erklärte dem Alten wissenschaftlich den Grund dieser Erscheinung, jener indes, statt zu antworten, lächelte nur vielsagend. Dieses überlegene Lächeln ließ den jungen Gelehrten vermuten, er werde mit irgendeinem Hokuspokus zum besten gehalten. Er wollte kein weiteres Rätsel mit in das Grab nehmen und drehte die Haut schnell um, wie ein Kind, das begierig ist, die Geheimnisse seines neuen Spielzeugs kennenzulernen.
»Aha!« rief er, »hier ist der Abdruck des Siegels, das die Orientalen das Siegel Salomons [* Siegel Salomons: Salomo, König von Israel (gest. um 925 v. Chr.), gilt als Urbild der Weisheit und Beherrscher der Geister]; sein Siegelring, ein fünfzackiger Stern, spielt als Talisman der Weisheit und der Zauberei in der Kabbalistik eine große Rolle nennen.«
»Sie kennen es also?« fragte der Händler und stieß zwei- oder dreimal die Luft durch die Nase, was mehr besagte als die kräftigsten Worte.
»Ob es auf der Welt wohl einen Menschen gibt, der so einfältig wäre, an dieses Hirngespinst zu glauben?« rief der junge Mann, gereizt von diesem stummen Lachen voll bitteren Hohns.
»Wissen Sie denn nicht, dass der Aberglaube des Orients die mystische Form und die lügnerischen Schriftzeichen dieses Symbols geschaffen hat, das eine fabelhafte Macht vorstellen soll? Ich glaube, dass man mich diesbezüglich nicht minder der Albernheit bezichtigen müsste, als spräche ich von Sphinxen oder Greifen, deren Existenz ja auch mythologisch gewissermaßen beglaubigt ist.«
»Da Sie Orientalist sind, können Sie vielleicht diese Inschrift lesen?«
Er hob die Lampe dicht an den Talisman, den der junge Mann verkehrt herum hielt, und machte ihn auf die Schriftzeichen aufmerksam, die in das Zellgewebe dieser Wunderhaut eingekerbt waren, als ob sie das Tier, dem sie vormals angehört hatte, selbst hervorgebracht hätte.
»Ich gestehe«, rief der Unbekannte, »dass mir das Verfahren, dessen man sich bediente, um diese Buchstaben so tief in die Haut eines wilden Esels einzugravieren, unbekannt ist.«
Er kehrte sich lebhaft den mit Kuriositäten beladenen Tischen zu, und seine Augen schienen dort etwas zu suchen.
»Was wünschen Sie?« fragte der Alte.
»Ein Instrument, um das Chagrin anzuschneiden, damit ich sehen kann, ob die Buchstaben eingeprägt oder eingelegt sind.«
Der Alte reichte dem Unbekannten sein Stilett; der nahm es und begann das Leder an der Stelle, wo die Worte geschrieben standen, einzuschneiden; als er aber eine dünne Schicht Leder abgehoben hatte, traten die Buchstaben darunter wieder so deutlich und denen, die auf die Oberfläche eingekerbt waren, so völlig gleich, hervor, dass er einen Augenblick lang wähnte, nichts weggenommen zu haben.
»Die Kunst des Morgenlandes kennt Geheimnisse, um die tatsächlich nur sie allein weiß«, sagte er und betrachtete den orientalischen Spruch mit einer gewissen Unruhe.
»Ja«, erwiderte der Greis, »man tut besser daran, sich an die Menschen zu halten als an Gott.«
Die mysteriösen Worte waren folgendermaßen angeordnet:
Was in der Übersetzung heißt:
Wenn du mich besitzest, wirst du alles besitzen. Aber dein Leben wird mir gehören. Gott hat es so gewollt. Wünsche, und deine Wünsche werden erfüllt werden. Aber richte deine Wünsche nach deinem Leben.
Es ist in mir.
Bei jedem Wunsch werde ich abnehmen wie deine Tage.
Willst du mich? Nimm.
Gott wird dich erhören.
Sei es!
»Ah! wie fließend Sie das Sanskrit lesen!« sagte der Alte. »Haben Sie vielleicht Persien oder Bengalen bereist?«
»Nein, Monsieur«, erwiderte der junge Mann und betastete neugierig das symbolträchtige Leder, das sich wegen seiner geringen Geschmeidigkeit wie ein Metallblatt anfühlte.
Der alte Händler setzte die Lampe wieder auf die Säule, von der er sie genommen hatte, und warf dem jungen Mann einen Blick kalter Ironie zu, der zu sagen schien: ›Er denkt schon nicht mehr ans Sterben.‹
»Ist es ein Scherz? Ist es ein Geheimnis?« fragte der junge Unbekannte.