schallten von Reihe zu Reihe wie Rufe eines Echos. Die begeisterte Menge rief: »Es lebe der Kaiser!« Kurz, alles bebte, war in Bewegung, alles brodelte. Napoleon war zu Pferde gestiegen. Diese Bewegung hatte die schweigsamen Massen belebt, den Instrumenten eine Stimme gegeben, die Adler und die Fahnen zum Schwingen gebracht und auf allen Gesichtern Erregung hervorgerufen. Die Mauern der hohen Galerie dieses alten Schlosses schienen mitzurufen: ›Es lebe der Kaiser!‹ Es war nichts Menschliches mehr, es war ein Zauberwerk, ein Abbild der göttlichen Macht oder vielmehr ein vergängliches Bild dieser so vergänglichen Herrschaft. Der Mann, der von so viel Liebe, Begeisterung, Hingebung, Wünschen getragen wurde, für den die Sonne die Wolken vom Himmel gejagt hatte, saß auf seinem Pferde, drei Schritt vor dem kleinen, goldbetressten Stabe, der ihm folgte, mit dem Großmarschall zur Linken und dem diensttuenden Marschall zur Rechten. Inmitten all der Erregung, die er geweckt hatte, schien jeder Zug in seinem Gesicht völlig ungerührt.
»Bei Gott, ja! Bei Wagram mitten im Feuer, an der Moskwa zwischen den Toten, immer ist er unerschütterlich, der Kaiser!« Diese Antwort auf zahlreiche Fragen gab der Grenadier, der neben dem jungen Mädchen stand. Julie war eine Weile in der Betrachtung dieser Gestalt versunken, deren Ruhe ein so großes, sicheres Machtgefühl anzeigte. Der Kaiser bemerkte Mademoiselle de Chatillonest und neigte sich gegen den Marschall Duroc, um eine Bemerkung zu machen, die ein Lächeln bei diesem hervorrief. Die Heerschau nahm ihren Anfang. Während das junge Mädchen ihre Aufmerksamkeit bisher zwischen der kaltblütigen Miene Napoleons und den blauen, grünen und roten Reihen der Truppen geteilt hatte, beschäftigte sie sich in diesem Augenblick, angesichts der raschen und genauen Bewegungen der alten Soldaten, mit einem jungen Offizier, der zu Pferde durch die Marschkolonnen jagte und mit unermüdlichem Eifer zu der Gruppe zurückkehrte, an deren Spitze der schlichte Napoleon glänzte. Dieser Offizier ritt einen prächtigen Rappen und zeichnete sich, im Gegensatz zu der herausgeputzten Menge, durch die schöne himmelblaue Uniform des Ordonnanzoffiziers des Kaisers aus. Die Goldstickerei seines Rockes und der Reiherbusch seines schmalen, länglichen Tschakos funkelten so lebhaft in der Sonne, dass ihn die Zuschauer mit einem Irrlicht vergleichen mussten. Er war die sichtbar gewordene Seele des Ganzen, auf den Befehl des Kaisers dazu bestellt, die Bataillone zu beleben, zu führen, deren erhobene Waffen Blitze schleuderten, wenn auf einen Wink seiner Augen die Reihen sich teilten, sich wieder vereinigten, sich wie die Wellen eines Strudels im Kreise drehten oder wie die langen, geraden, hohen Wogen, die der empörte Ozean ans Ufer trägt, auf ihn zukamen.
Als die Heerschau zu Ende war, ritt der Ordonnanzoffizier mit verhängtem Zügel heran und hielt vor dem Kaiser, um seine Befehle zu erwarten. In diesem Augenblick war er zwanzig Schritt von Julie entfernt, vor der kaiserlichen Gruppe, in einer Haltung, ähnlich der, wie sie Gérard dem General Rapp auf dem Gemälde ›Die Schlacht von Austerlitz‹ gegeben hat. Es war dem jungen Mädchen vergönnt, den Mann ihres Herzens in seinem vollen militärischen Glanze zu bewundern. Der Oberst Victor d'Aiglemont, der kaum dreißig Jahre zählte, war groß, gut gewachsen, schlank. Sein wohlproportionierter Körper kam nie besser zur Geltung, als wenn er seine Kraft dazu gebrauchte, ein Pferd zu zügeln, dessen geschmeidiger, eleganter Rücken sich dann unter ihm zu biegen schien. Sein männliches, wettergebräuntes Gesicht hatte den unerklärlichen Reiz, den eine vollkommene Regelmäßigkeit der Züge jungen Gesichtern verleiht. Seine Stirn war breit und hoch. Seine feurigen Augen, von dichten Brauen beschattet und langen Wimpern umrandet, bildeten zwei weiße Ovale zwischen zwei schwarzen Linien. Seine Nase hatte die graziöse Biegung eines Adlerschnabels. Das Rot seiner Lippen trat unter den Krümmungen des unvermeidlichen schwarzen Schnurrbarts kräftig hervor. Breite Backen von lebhafter Farbe zeigten braune und gelbe Töne, die auf außerordentliche Kraft deuteten. Es war eins von jenen Gesichtern, denen die Tapferkeit ihr Gepräge verliehen hat, der Typus, auf den der Künstler heute aus ist, wenn er einen der Helden des kaiserlichen Frankreich darstellen will. Das schweißtriefende Pferd, dessen unruhig hin und her gehender Kopf äußerste Ungeduld ausdrückte, stand, die beiden Vorderfüße gespreizt und auf einer genauen Linie gehalten, unbeweglich da und ließ die langen Haare seines dichten Schweifes flattern; seine Hingebung versinnbildlichte auf eine greifbare Art die seines Herrn für den Kaiser. Julie empfand eine Regung von Eifersucht, als sie ihren Geliebten so beflissen sah, die Blicke Napoleons aufzufangen; sie dachte daran, dass er sie noch nicht angesehen hatte. Plötzlich, auf ein Wort des Herrschers, drückt Victor die Flanken seines Pferdes und galoppiert von dannen; aber der Schatten einer Schranke auf dem Sande erschreckt das Pferd; es scheut, weicht zurück und bäumt sich so jäh auf, dass der Reiter in Gefahr scheint. Julie stößt einen Schrei aus, sie erbleicht; alle Augen richten sich auf sie, sie sieht niemand; ihre Augen sind auf das wildgewordene Tier gerichtet, das der Offizier züchtigt, während er davonjagt, um die Befehle Napoleons weiterzugeben. Diese verwirrenden Szenen hatten Julie in solche Spannung versetzt, dass sie sich unbewusst an den Arm ihres Vaters geklammert hatte, dem sie so unwillkürlich durch den mehr oder weniger lebhaften Druck ihrer Finger ihre Gedanken mitteilte. Als Victor nahe daran gewesen war, von dem Pferd abgeworfen zu werden, hatte sie sich noch fester an ihren Vater geklammert, als ob sie selbst in Gefahr wäre zu fallen. Der Greis betrachtete mit finsterer, schmerzlicher Unruhe das liebliche Gesicht seiner Tochter, und über seine wie im Krampf zusammengezogenen Züge glitt ein Ausdruck von Mitleid, Eifersucht und Bedauern. Doch als der ungewohnte Glanz in Julies Augen, der Schrei, den sie ausgestoßen hatte, und die zuckende Bewegung ihrer Finger ihm vollends ihre heimliche Liebe enthüllten, mussten sich ihm wohl traurige Zukunftsbilder offenbaren, denn sein Gesicht spiegelte die Ahnung künftigen Unheils. In diesem Augenblick schien die Seele Julies in die des Offiziers übergegangen zu sein. Unter einem Gedanken, der an Grausamkeit alle bisherigen übertraf, krampfte sich das leidende Gesicht des Greises zusammen, als er d'Aiglemont, der an ihnen vorbeiritt, einen Blick des Einverständnisses mit Julie tauschen sah, deren Augen feucht schimmerten und deren Gesicht von Röte übergossen war. Er führte seine Tochter, ehe sie sich dessen versah, in den Garten der Tuilerien.
»Aber Vater«, sagte sie, »die Regimenter auf der Place du Carrousel werden noch weiter exerzieren.« – »Nein, mein Kind, alle Truppen defilieren.« – »Ich glaube, du irrst dich, lieber Vater, Monsieur d'Aiglemont sollte sie vorrücken lassen.« – »Wenn auch, liebes Kind, ich fühle mich nicht wohl und mag nicht mehr bleiben.«
Julie hätte ihrem Vater das ohne weiteres glauben können, wenn sie auf dieses von väterlichen Kümmernissen bedrückte Gesicht einen Blick geworfen hätte.
»Haben Sie starke Schmerzen?« fragte sie gleichgültig, so ganz war sie mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. »Ist nicht jeder Tag ein Gnadengeschenk für mich!« erwiderte der Greis. »Willst du mich wieder traurig machen, weil du von deinem Tode sprichst? Ich war so heiter. Verjage rasch deine bösen, schwarzen Gedanken!« – »Ach!« rief der Vater mit einem Seufzer, »verwöhntes Kind! Gerade die besten Herzen sind doch oft recht grausam! Dass man euch das Leben weiht, nur an euch denkt, für euer Behagen sorgt, seine Neigungen euren Launen opfert, euch vergöttert, das Blut für euch hingibt, ist das denn gar nichts? Ach ja, ihr nehmt alles unbekümmert hin. Man müsste allmächtig sein wie Gott, damit ihr einem immer euer Lächeln und eure herablassende Liebe zuteil werden lasst. Dann kommt schließlich ein anderer – ein Geliebter, und raubt uns euer Herz!«
Erstaunt sah Julie ihren Vater an, der langsam einherschritt und niedergeschlagen auf sie blickte.
»Ihr versteckt euch sogar vor uns«, fing er von neuem an, »aber vielleicht auch vor euch selber ...« – »Aber wie kannst du das sagen, lieber Vater!« – »Ich meine, Julie, dass du Geheimnisse vor mir hast. Du liebst!« sagte er lebhaft, als er sah, dass seine Tochter errötete; »ach, ich hoffte, du würdest deinem alten Vater treu bleiben bis zu seinem Tode; ich hoffte, dich glücklich und strahlend bei mir zu behalten, dich zu bewundern, so wie du noch eben warst. Solange mir dein Geheimnis unbekannt war, hätte ich an eine ruhige Zukunft für dich glauben können. Aber jetzt ist es unmöglich, dass ich eine Hoffnung auf Glück für dich mit mir fortnehme, denn du liebst noch mehr den Offizier als den Cousin. Ich kann nicht mehr daran zweifeln.« – »Warum soll ich ihn denn nicht lieben dürfen?« rief sie mit lebhafter Neugierde. »Ach, meine Julie, du würdest mich nicht verstehen!« sagte der Vater mit einem Seufzer. »Sage es nur!« erwiderte sie mit leisem Trotz. »Gut also, höre mich an, mein Kind! Die jungen Mädchen machen sich oft edle, berückende Bilder zurecht, ganz ideale Gestalten, und bilden sich phantastische