seine Krawatte zu binden hat, aus welchem Gewebe sie sein soll und welchen psychischen Charakter so eine Äußerlichkeit ausdrückt, – überall bemerkt man, dass die Stoffe Banalitäten sind, die Art der Behandlung aber jenes sonderliche Gemisch von tiefer Anteilnahme und Ironie, das schon als Ton des ersten Bandes zu bemerken Gelegenheit war. Dies Gemisch von Ironie und Anteilnahme ist vielleicht das Schönste, jedenfalls das Einprägsamste an dem Balzacschen Stile dieser Bücher. Selbst der Spott und Hohn, der da und dort zutage tritt, ist Liebe zu den ironisierten Typen, den ironisierten Zuständen. Gewiss, sentimental, empfindsam ist Balzac seinen Gestalten gegenüber nicht. Seine Beziehung zu ihnen ist manchmal die des Botanikers zu den Pflanzen im Herbarium, des Zoologen zu den aufgespießten Käfern. Ja, man kann schon manchmal an Vivisektion denken, so scharf ist das Messer der Dialektik, so nahe rückt der Betrachter seinen Subjekten als Objekten an den Leib. Nur – die Untersuchung mag noch so scharf sein, sie tötet nicht. Unter Balzacs Feder wachsen die Figuren in eine Wirklichkeit, die größer, stärker ist als jene, die sie hatten, bevor er Lupe und Mikroskop nahm. Und darum glauben wir, Kinder eines späteren Jahrhunderts, in Leuten, denen wir auf der Strasse begegnen, die Modelle zu erkennen, die er vor Augen gehabt hat. Das Büro, das er schildert, scheint das, in dem wir uns gestern den Pass geholt haben, unser Sektassessor ist ein Enkel des Ministerneffen, dem Balzac lächelnd die Hand geschüttelt hat, indes er ihn für die Sektion vormerkte. Die Anteilnahme, die der Balzacschen Kleinkunst, wie wir sie hier vor uns haben, Leuchtkraft gibt, ist die Anteilnahme eines Dichters, dem nichts im Leben gleichgültig ist, sowie es in die Sphäre seiner Spiegelung gerät. Balzac kümmert sich um diese Dinge, Beamte, Rentiers, Tabak und Krawatten, weil er über sie schreiben will. Er hat vielleicht vorher noch nie darüber nachgedacht, wann die Leute angefangen haben, Krawatten zu tragen, wenn er wahrscheinlich auch früher schon darüber nachgedacht hat, wie der Kaffee auf seine Nerven wirkt, wenn er arbeiten will. Aber in dem Augenblick, wo er anfängt, darüber zu schreiben, ob nun der Anstoß die Aufforderung einer Redaktion – heute würde man sagen, der telephonische Anruf eines Zeitungsverlages – ist oder irgendein anderer zufälliger Grund, – von diesem Augenblick an gehört seine ganze Seele diesen Menschen oder Dingen.
Man lese einmal in seinen Briefen an Madame de Hanska nach, wie er schreibt, wie er Korrekturen liest, und man wird wiederum finden, dass durch allen Hass und alle Ironie, mit der er sich selbst, seinen »Schriftstellereibetrieb« – um ein neues Wort aufzunehmen – verspottet, jener Eifer, jenes Fieber sozusagen durchschlägt, das ihn befällt von dem Augenblicke an, wo ein belangloses Thema plötzlich Materie, Stoff, Anlass zu seinen Gedanken und Gefühlen, Bemerkungen geworden ist.
Er hat eine sonderbare Methode. Er fängt historisch an, macht lange Einleitungen, wird dann ungeduldig und bricht ab. Das scheint wie Nachlässigkeit eines Vielschreibers. Hat man aber erst eine Reihe dieser Aufsätze gelesen, so merkt man, dass es doch nicht so ist. Er könnte sich ja seine Einleitungen schenken, wenn es ihm nur um das Füllen von ein paar Seiten, das Einstreichen eines Honorars zu tun wäre. Dieser Mann hat es ja wahrhaftig nicht notwendig gehabt, Zettelkasten auszuräumen, um den Platz zu füllen. Er könnte sicher sein, auch ohne historische Hinweise, auch ohne Erzählen von Anekdoten sein Kapitel fertigzubringen. Es fällt ihm ja wahrhaftig genug ein, und wenn es einmal so aussieht, als hätte er keine eigene Beziehung zu einem Stoff, so fällt ihm eine sonderbare Gruppierung von Worten ein, seine Sätze werden zu Pointen, zu Bitterkeiten, zu Witzen, zu Spötteleien, zu Wehmut, zu Schmerz, ohne dass er mühselig darum ringen muss. Weil ihm eben das Schreiben die Lebensform ist.
Dennoch aber lässt er sich nicht abhalten, historisch zu werden, fast philologisch. Er erzählt, wie das mit der Seide ist, aus der man dann melancholisch wirkende Halstücher macht, er erzählt, wie das mit dem Kaffee ist, vom Ursprung, von den Zeiten der ersten Verwendung oder von den Persönlichkeiten, die auf die oder jene Mode Einfluss gehabt haben. Man merkt den Reflex der Lektüre anderer Bücher oder manches Weges in die Bibliothek, die damals noch keine Bibliothek nationale, sondern eine Bibliothek royale war. Aber wie oft er das auch tut, immer kommt ihm der Spott dazwischen. Jener Spott über sich selber, der dann manchmal zu einem Spott über die Gegenstände wird, an denen er doch tiefen Anteil nimmt. Natürlich ist der Rentier, den er schildert, lächerlich, weil er gesehen ist mit den scharfen Augen Balzacs, die Distanz des Dichters vor seiner Figur diese grotesk erscheinen lässt. Aber derselbe Rentier ist auch durch Balzac ein Mensch, den wir als Bruder fühlen mit all seinen grotesken und schrullenhaften Eigenschaften, weil er gesehen und geschildert ist von Balzac, dessen Herzschlag den Rhythmus seiner Darstellungen schafft. Auch der Beamte, dessen Monographie Balzac in diesem Bande gibt, ist ja eigentlich ein kläglicher und armer Mensch. Im Grunde genommen hat Balzac eine furchtbare Wut auf ihn. Die Wut gegen die Bürokratie, die Wut gegen die Kleinlichkeit, wahrscheinlich auch oft die Erinnerung – bewusste oder latente Erinnerung – an Begegnungen mit hochmütigen, mit törichten Beamten, mit denen er sich herumschlagen musste. Aber indes er sich in die Seele dieser Menschen hineinfühlt, vergisst er zwar nicht zu notieren, wie es kommen musste, und immer wieder kommen muss, dass dieser Beamte und so ziemlich alle Beamten so oder so Narren oder arme, gehetzte Sklaven mit niedrigen Instinkten sind, aber er entdeckt auch, warum sie es sind, versteht sie. Er verzeiht ihnen nicht, denn eine solche törichte Überheblichkeit fehlt dem Darsteller der menschlichen Komödie ja überhaupt, sondern er weiß sie uns nahezubringen. Wir erinnern uns plötzlich, dass wir alle die Beamten kennen, dass wir alle diese Rentiers kennen, dass wir sie nicht nur in ihren lächerlichen Augenblicken kennen, sondern auch in jenen sonderbaren Momenten, wo sich plötzlich die Tragikomödie ihres Lebens enthüllt, wo wir auch die andere Seite sehen, das Elend, das persönliche Elend, das Elend des Standes. Und wir sehen, woher dieses Elend kommt und wir fühlen, dass diesem Elend wohl noch lange nicht abzuhelfen sein wird. Das hat auch Balzac gefühlt. Und deshalb ist fast Herzlichkeit hinter seinem Zorn, und aus all seiner Ironie spricht wirkliches Gefühl, wenn es auch Balzac nicht selbst hinausschreien möchte, neben allen Scherzen über die Torheiten des Rentiers, über die Torheiten des Beamten, über die Torheiten des »Fashionablen«.
In einem einzigen Kapitel dieses Buches scheint Balzac eigentlich nur lehrhaft, seriös zu sein. Das ist das Kapitel über die modernen Reizmittel. Modern sind nun diese Reizmittel für uns leider seit langem nicht mehr; es sind Kaffee, Tee, Tabak, und wir sind alle diese Dinge längst gewöhnt. Hier wird Balzac ernster, als er sonst ist. Natürlich, er macht von Zeit zu Zeit einen Scherz, erzählt irgendeine phantastisch-groteske englische Geschichte, die man aufs Wort glauben soll, oder verhöhnt einen gerade berühmten Zeitgenossen, wie denn alle diese Schriften journalistischen Charakter haben, der ihnen auch durch die Übersetzung nicht genommen werden sollte. Aber bei diesem Kapitel bleibt er ernst und es ist, so sonderbar das scheint, das persönlichste Kapitel dieses Buches, wenn es auch nicht das amüsanteste ist. Denn es zeigt den Balzac, der seine Maschine heizt. Nur so kann ich es deuten. Seine Maschine heizen. Er hat in dieser Schrift ausgesprochen, was erst Generationen nach ihm klar und scharf formuliert haben, den Zusammenhang zwischen den Reizmitteln und dem geistigen Schaffen.
Er weiß ganz genau, was wir heute erst nach biologischen, nach physiologischen, nach medizinischen Experimenten und Erfahrungen wissen, dass jeder Reiz sich mit der Zeit abstumpft, dass, wenn man die Wirkung des Reizes erhalten will, man sorgfältig mit dem Reizmittel umgehen muss, in seiner Dosierung, in seiner Verwendung, mit den Surrogaten, mit der Zeit der Anwendung usw. klug sein. Das alles weiß Balzac schon. Es steht nicht nur zwischen den Zeilen, sondern manchmal auch in so deutlichen Sätzen, als wären sie aus einem Lehrbuch der Psychiatrie vom Jahre 1912. Moral fehlt natürlich in der Abhandlung vollständig; es sei denn die eine Moral, dass wir uns keinen Reiz entgehen lassen sollen, und dass wir trotzdem schauen müssen, nie dahin zu kommen, dass die Fülle der Unlustgefühle, die uns der Gebrauch eines Reizmittels einbringt, größer wird als die Fülle der Lustgefühle, die er uns verschafft. In diesem Sinne soll man die paar Seiten über den Kaffee oder Tee eigentlich zwei- oder dreimal lesen. Man könnte sie ebensogut auch auf den Alkohol und ebensogut auf das Opium anwenden, man könnte sie ebensogut auf das Spazierengehen und ebensogut auf die Erotik anwenden, und man könnte schematisch, wie Balzac es gelegentlich ist, aus ihnen ein ganzes System der Lebenstechnik entwickeln.
Heißt das aber nicht, diese Aufsätze, Früchte gelegentlicher Stunden, fast möchte man sagen toter Stunden, oder Zwischenpausen zwischen großen Arbeiten etwas zu schwer, etwas zu tragisch, etwas zu pathetisch nehmen? Vielleicht. Balzac selbst