Es fehlt dem Rentier durchaus nicht an originellen Zügen. Sie täuschen sich, wenn Sie ihn für eine verwischte, wenig ausgeprägte Gestalt halten. Paris ist ein so mächtig geheizter Herd, Paris flammt mit einer so vulkanischen Energie, dass die Reflexe seiner Flammen allem Farbe geben, selbst den Gestalten, die im Hintergrunde stehen.
Der Rentier wendet ein Zehntel seines Einkommens an seine Miete, nach den Regeln eines unbekannten Code, dessen er sich bei allen nur möglichen Gelegenheiten bedient.
So hören Sie ihn die folgenden Axiome verkünden: »Man muss grüne Erbsen mit den Reichen und Kirschen mit den Armen essen. Man darf Austern nur in den Monaten mit r essen etc.«
Er überschreitet niemals die Summe von hundert Ecus für seinen Mietzins. Daher gedeiht die Gattung der Rentiers vielfach in der Gegend von Marais, in den von der großen Gesellschaft aufgegebenen Straßen des Faubourg Saint-Germain. Am häufigsten findet man ihre Exemplare aber in der rue du Roi-Doré, rue Saint-François, rue Saint-Claude, um die Place Royale herum, in der Umgebung des Luxemburg, in gewissen Vororten; die neuen Stadtviertel scheut er.
Nach dreißigjährigem Vegetieren solcher Art hat in der Regel jeder Vertreter dieser Gattung sich das Schneckenhaus geschaffen, in dem er sein Leben zubringt. Stück um Stück seiner Einrichtung hat er seinem Wesen assimiliert, und er hält viel auf jedes einzelne Ding: so die Uhr in Lyra- oder Sonnenform in einem kleinen, bunt tapezierten Salon mit glänzend gebohnertem Parkett, häusliche Harmonie ausstrahlend. Da gibt es ausgestopfte Zeisige unter Glasstürzen, Kreuze aus schön gefaltetem Papier, weiche Fußschemel, vor allem Fauteuils, einen alten Spieltisch. Das Mobiliar des Speisezimmers ist ein Barometer, rötliche Vorhänge, altersschwache »antike« Stühle. Auf dem Tisch, wenn er gedeckt ist, liegen Servietten in Ringen, auf denen in blauen Glasperlen Monogramme gestickt sind. Die Küche zeichnet sich durch übertriebene Reinlichkeit aus. Dem Dienstbotenzimmer schenkt er wenig Beachtung, aber mit seinem Keller beschäftigt sich der Rentier angelegentlich. Er hat lange gekämpft, um sich einen Holzkeller und einen Weinkeller zu sichern, und wenn man ihn über dieses Detail befragt, sagt er nicht ohne Nachdruck: »Ich habe meinen Holzkeller und meinen Weinkeller; es hat Zeit gekostet, ehe ich meinen Hausherrn soweit gebracht habe, aber schließlich hat er doch nachgeben müssen!«
Der Rentier besorgt seinen Holzvorrat im Monat Juli. Immer verwendet er dieselben Leute, um das Holz zu spalten und zu schneiden, dessen Vermessung auf dem Holzplatz er persönlich überwacht. Alles wird bei ihm mit methodischer Genauigkeit ausgeführt und berechnet. Er erwartet mit Entzücken die Wiederkehr derselben Dinge zu denselben Jahreszeiten. Er nimmt sich vor, eine Makrele zu essen, man erörtert des langen und breiten den Preis, der dafür angelegt werden soll, er lässt sich den Fisch bringen und scherzt mit der Marktfrau. Die Melone bewahrt in seiner Küche eine gewisse aristokratische Haltung; er behält sich die Auswahl vor und trägt sie selbst nach Hause. Um die Tafel bekümmert er sich wirklich und ernsthaft; denn das Essen ist ihm die wichtigste Lebensangelegenheit. Er prüft die Milch für den Morgenkaffee, den er aus einem silbernen Becher in Kelchform trinkt.
Der Rentier steht in allen Jahreszeiten früh zur selben Stunde auf. Er rasiert sich, kleidet sich an und frühstückt. Vom Frühstück bis zum Diner ist er beschäftigt. Bitte, lachen Sie nicht. Nun setzt jene großartige und poetische Existenz ein, von der die Leute, die sich über diese harmlosen Wesen lustig machen, eben keine Ahnung haben. Der Rentier gleicht einem Goldschläger, er versteht es, ein Nichts auszuwalzen, er dehnt und streckt es, er wandelt es in ein Ereignis von gigantischer Ausdehnung. Das Feld seiner Tätigkeit erstreckt sich über ganz Paris; er vergoldet jeden Moment des Tages mit einer bewunderungswürdig unbegründeten Glückseligkeit. Der Rentier lebt mit den Augen, und die unausgesetzte Anstrengung dieses Organs macht die Stumpfsinnigkeit ihres Ausdrucks begreiflich. Die Neugierde des Rentiers macht seine Lebensführung verständlich; er könnte ohne Paris nicht existieren, an allem hat er genussreichen Anteil. Es würde schwer halten, ein schöneres Poem als dies Leben zu erfinden; nur gehört es zu den ein wenig eintönigen, moralisierenden Lehrgedichten.
Der Rentier geht zu allen Seelenmessen und Trauungen, er läuft zu allen Sensationsprozessen, und wenn er keinen Platz im Auditorium ergattern kann, hat er wenigstens die Menge gesehen, die hinströmt. Er inspiziert persönlich die neue Pflasterung auf der Place Louis XV., er kennt den Platz jeder Statue und jedes Springbrunnens. Er ist ein aufrichtiger Bewunderer aller jener Denkmäler, die man Literaten gesetzt hat, weil das für die Grundstücksspekulation der neuen Bezirke vorteilhaft ist. Dann besucht er die Erfinder, die Annoncen auf der vierten Seite der Zeitungen erscheinen lassen. Er lässt sich die Vervollkommnungen und neuen Errungenschaften demonstrieren, die sie ausgedacht haben, beglückwünscht sie zu ihrem Erfolge und verlässt sie, stolz auf sein Land, mit dem Versprechen, ihnen Abnehmer, Käufer zu verschaffen. Am Tage nach einem großen Brande geht er das Gebäude besichtigen, das nicht mehr dasteht.
Seine festlichsten Tage sind die, wo er einer Sitzung in der Kammer beiwohnt. Die Tribünen sind leer; er glaubt zu früh gekommen zu sein; die Leute werden schon noch kommen. Aber er vergisst bald das abwesende Publikum, er ist ganz im Banne der unbekannten Redner, deren zweistündige oratorische Leistung die Zeitungen dann mit zwei Zeilen abtun werden. Am Abend – in Gesellschaft anderer Rentiers – preist er Monsieur Guérin (de l'Eure) oder den Kommissar des Königs, der ihm geantwortet hat. Diese großen Unbekannten haben ihn an den General Foy erinnert, diesen Heiligen des Liberalismus, den man so schmählich hingeopfert hat. Durch mehrere Jahre wird er nun von Monsieur Guérin (de l'Eure) sprechen und sich darüber wundern, der einzige zu sein, der es tut. Ab und zu fragt er:
»Was macht Monsieur Guérin (de l'Eure)?«
»Der Arzt?«
»Nein, der große Redner.«
»Ich kenne ihn nicht.«
»So so? Immerhin, ich würde ihm mein Vertrauen schenken, und ich staune, dass der König (›le roâ‹) ihn noch nicht zum Minister ernannt hat.«
Wenn es ein Feuerwerk gibt, dann nimmt der Rentier um neun Uhr ein Dejeuner dinatoire, zieht seine schlechtesten Kleider an, stopft das Schneuztuch in die Tasche seines Gehrocks, entledigt sich aller Gegenstände aus Gold und Silber und macht sich gegen Mittag ohne Spazierstock auf den Weg nach den Tuilerien. Zwischen ein und zwei Uhr können Sie ihn dann friedlich an der Seite seiner Frau auf Stühlen in der Mitte der Terrasse sitzen sehen; und dort bleibt er bis neun Uhr mit der Geduld eines – Rentiers. Die Stadt Paris oder Frankreich hat für zwanzigtausend typische Bourgeois dieses Wertes die hunderttausend Franken für Feuerwerk ausgegeben. Das Feuerwerk hat immer hunderttausend Franken gekostet. Der Rentier hat jedes Feuerwerk gesehen, er erzählt seinen Nachbarn alle Geschichten jedes einzelnen, ruft seine Frau als Zeugin herbei; er beschreibt das Feuerwerk von 1815 bei der Rückkehr des Kaisers.
»Dieses Feuer, Monsieur, hat eine Million gekostet. Leute sind dabei zugrunde gegangen. Aber damals, Monsieur, hat man sich um derlei ›soviel‹ gekümmert«, sagt er und klappt seine Tabatière zu, dass es einen kleinen trockenen Ton gibt. »Batterien von Geschützen waren aufgefahren worden. Alle Trommler der Garnison waren ausgerückt. Dort (er deutet auf den Quai) gab es ein Schiff in Lebensgröße und dort (er weist auf die Kolonnaden) stand ein Felsen. Und in einem gewissen Moment sah man alles in Flammen stehen: da war Napoleon, sprechend ähnlich, von der Insel Elba zurückgekehrt, wie er französischen Boden betrat. Mein Gott, dieser Mann verstand es, sein Geld richtig auszugeben! Monsieur, ich habe ihn gesehen, als es mit der Revolution anfing; Sie müssen bedenken, ich bin nicht mehr jung ...«
Für ihn veranstaltet man die Monstrekonzerte und die Te Deums. Wenn er auch für tolerante Teilnahmslosigkeit in religiösen Angelegenheiten ist, die Ostermesse in Notre-Dame versäumt er doch nie. Die Giraffe, die Neuerwerbungen des Museums, Industrie- oder Gemäldeausstellungen, das alles bedeutet für ihn ein Fest, Gegenstand des Erstaunens, Objekt der Prüfung. Die durch ihre luxuriöse Einrichtung berühmt gewordenen Cafés sind nur für seine immer gierigen Augen geschaffen. Sein schönster Tag – nie kam mehr ein gleicher – war jener, als die Eisenbahn eröffnet wurde. Viermal in einem Tag hat er die Fahrt hin und zurück gemacht. Trotzdem, es geschieht gelegentlich, dass er sterben muss, ohne gesehen zu haben, was er am heißesten ersehnt: eine Sitzung der Académie française!
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