ohne einander ins Gesicht zu fahren.
Unterdessen ist es doch möglich, daß Alwerth genug sah, um ihn ein wenig unruhig zu machen, denn man muß nicht allemal schließen, ein weiser Mann fühle nichts, wenn er nicht so klagt und winselt, wie andre Leute von einem kindischen oder weibischen Gemüte. In der That aber ist es möglich, daß er einige Fehler an dem Kapitän entdeckte, ohne sich im geringsten darüber zu beunruhigen, denn Menschen wahrer Weisheit begnügen sich, Personen und Sachen so zu nehmen wie sie sind, ohne sich über ihre Unvollkommenheiten zu beklagen, oder ohne sich zu bemühen, sie zu bessern. Sie können an einem Freunde, einem Verwandten oder Bekannten einen Fehler bemerken, ohne dessen gegen die Personen selbst oder gegen andre zu erwähnen, und dieses oft, ohne daß ihr Wohlwollen darunter leide. Wirklich, wenn nicht ein heller Verstand mit dieser duldsamen Nachsichtigkeit vermischt ist, so sollten wir lieber mit Leuten von einem gewissen Grade von Dummheit Freundschaft eingehen, die wir betrügen können: denn ich hoffe, meine Freunde werden mir's verzeihen, wenn ich's frei gestehe, ich kenne niemand unter ihnen ohne einen Fehler, und es sollte mir leid thun, zu denken, ich hätte einen Freund, der die meinigen nicht sehen könnte. Wir geben und fordern hierüber wechselseitige Nachsicht. Es ist eine Uebung in der Freundschaft, und vielleicht keine von den unangenehmsten. Und diese Verzeihung müssen wir erteilen ohne Besserung zu fordern. Es gibt vielleicht kein sichres Kennzeichen von Thorheit als das Bestreben, die natürlichen Schwachheiten einer Person zu verbessern, die wir lieben. Die feinste Komposition in der menschlichen Natur sowohl, als das feinste Porzellan, kann einen kleinen Makel haben und dieser, fürchte ich, läßt sich in beiden nicht ändern, obgleich dabei übrigens das Stück von der höchsten Kostbarkeit sein kann.
Im Allgemeinen also sah Herr Alwerth zwar gewiß einige Gebrechen an dem Kapitän, allein weil er ein verschlagener Mann und in Alwerths Beisein unablässig auf seiner Hut war, so erschienen ihm diese Mängel nichts mehr zu sein, als Schattenstriche in einem guten Charakter, die ihn seine Güte übersehen und seine Weisheit sich abhalten ließ, sie nur dem Kapitän selbst bemerklich zu machen. Ganz verschieden würde seine Empfindung gewesen sein, wenn er den ganzen Zusammenhang gewußt hätte, wozu es vielleicht mit der Zeit gekommen sein möchte, hätten Mann und Frau dieses Benehmen gegeneinander so fortgetrieben; aber dies zu verhindern wendete das gute Glück die zweckmäßigsten Mittel an, indem es den Kapitän zwang, dasjenige zu thun, was ihn seiner Gattin wieder sehr teuer machte und ihm alle ihre Liebe und Zärtlichkeit von neuem erwarb.
Achtes Kapitel.
Eine Universalmedizin, die verlorene Liebe einer Ehefrau wieder zu gewinnen, welche in allen, auch in den desperatesten Fällen als probat befunden werden wird.
Für die angenehmen Minuten, die der Kapitän im Umgang seiner Ehegattin zubrachte, und deren er so wenige machte, als er es mit seiner List und Kunst bewirken konnte, ward er durch die ergötzlichen Betrachtungen reichlich schadlos gehalten, denen er sich überließ, wenn er allein war.
Diese Betrachtungen beschäftigten sich ganz allein mit Herrn Alwerths Vermögen; denn erstlich übte er seine Gedanken fleißig daran, so genau, als durch Zahlen möglich, den Belauf des ganzen zu berechnen; welche Berechnung er oft zu seinem Vorteil zu verändern Ursache fand, und zweitens und vornehmlich that er sich gütlich mit Entwürfen zu Veränderungen im Hause und Garten, und mit Durchdenkung mancher andern Plane, zur Verbesserung der Güter sowohl, als zur Vergrößerung und Verschönerung der Gebäude. Zu diesem Endzwecke legte er sich auf das Studium der Bau- und Gartenkunst und las in beiden Wissenschaften manches Buch durch; denn diese Wissenschaften nahmen ihm wirklich alle Stunden weg und machten seinen ganzen Zeitvertreib aus. Endlich brachte er einen gar vortrefflichen Plan ins reine. Und sehr leid thut es uns, daß es nicht in unsrem Vermögen steht, solchen dem Leser vorzulegen, weil selbst die Ueppigkeit und Prachtsucht unsrer Tage schwerlich, wie ich glaube, seinesgleichen würde aufweisen können. Dieser Plan hatte in der That in einem sehr hohen Grade zwei der vorzüglichsten Eigenschaften, welche erforderlich sind, um alle großen und edlen Entwürfe zu empfehlen, denn es gehörte ein unmäßiger Aufwand dazu, ihn auszuführen, und eine Zeit von vielen Jahren, bevor er nur einigermaßen vollendet werden konnte. Das erste von diesen beiden, den Aufwand an Geld, versprach sich der Kapitän mit dem unermeßlichen Reichtum des Herrn Alwerth, den er ganz sicher zu erben dachte, ganz gemächlich zu bestreiten, und in Ansehung des zweiten setzten ihn sein guter Gesundheitszustand und sein Alter, das nicht höher ging, als was man das mittlere zu nennen pflegt, außer alle Sorgen, daß er nicht die Ausführung erleben sollte.
Nichts fehlte weiter, um ihn instandzusetzen, das Werk von Stund an in Gang zu bringen, als der Tod des Herrn Alwerths; diesen auszurechnen hatte er manchen Abend auf seine eigne Hand algebraisirt und überdem noch jedes Buch gekauft und gelesen, das über die Wahrscheinlichkeit der Lebensjahre, zum Behufe der Lebensversicherungen, Witwenkassen, Leibrenten u.s.w. zu haben war. Vermittelst dessen allem er sich überzeugte, daß, sowie er Wahrscheinlichkeit für sich hätte, daß sein Erblasser jeden Tag sterben könne, so hätte er überwiegende Wahrscheinlichkeit, daß er in wenig Jahren sterben würde.
Unterdessen aber, als der Kapitän eines Tages in tiefem Nachdenken über Sachen dieser Art begriffen war, begegnete ihm einer der unglücklichsten und zugleich unzeitigsten Zufälle. Die tückischste Bosheit des Glücks hätte wirklich nichts so Grausames, so Mal-à-propos, so Grundstürzendes für alle seine Projekte herausgrübeln können. Kurz, um den Leser nicht lange in Zweifel zu lassen, gerade in demselben Augenblicke, da sein Herz voll Jubels klopfte, in anschaulicher Betrachtung der Glückseligkeiten, die ihm zuwachsen müßten durch Alwerths Tod – starb er selbst dahin am Schlage.
Dieser überfiel den Kapitän beklagenswürdigerweise, als er eben für sich allein seinen Abendspaziergang im Garten that, so daß niemand zur Hand war, der ihm hätte Hilfe leisten können, wenn anders Hilfe ihm hätte das Leben retten mögen. Er nahm also Maß von dem Teil des Erdbodens, welches nunmehr für all seine künftigen Bedürfnisse hinlänglich geworden war, und er lag da auf der Erde, ein großes (obgleich nicht lebendes) Beispiel von der Wahrheit jener Bemerkung des Horaz:
»Tu secanda marmora
Locas sub ipsum funus: et sepulchri
Immemor, struis domos.«
Welches ich für den Leser folgender Gestalt übersetzen will:
»Du schaffest kostbaren Vorrat zum bauen herbei, wenn's nur des Spatens und der Hacke bedarf; – bauest Häuser fünfhundert Fuß lang und hundert breit, und vergissest jenes von sechs Fuß zu zwei.«
Neuntes Kapitel.
Ein Beweis von der Unfehlbarkeit der vorhergehenden Universalmedizin in der Jammerklage der Witwe; anbei noch andre schickliche Dekorationen bei Sterbefällen, als Aerzte u. dergl. und ein Epitaphium im echten Stile.
Herr Alwerth, seine Schwester und eine andre Dame hatten sich zur gewohnten Stunde des Abends im Speisesaale versammelt, woselbst sie ziemlich lange über die gewöhnliche Zeit gewartet hatten, als Herr Alwerth der erste war, welcher sagte, er finge an, über des Kapitäns Außenbleiben unruhig zu werden (denn er pflegte sich sehr pünktlich bei den Mahlzeiten einzustellen), und Ordre gab, man sollte die Gartenglocke läuten, besonders nach den Gängen hin, welche der Kapitän gewöhnlich zu nehmen pflegte.
Als man alles Läuten und Rufen vergebens fand (denn der Kapitän hatte den Abend durch einen widrigen Zufall einen ganz neuen Weg genommen), erklärte Madame Blifil, sie wäre ernstlich erschrocken, worauf die andere Dame, die eine von ihren vertrautesten Bekannten war und welche die wahren Umstände ihrer Zärtlichkeit recht gut kannte, that, was sie konnte, um sie zu beruhigen, indem sie ihr sagte, sie könne freilich nicht umhin, bekümmert zu sein, man müsse aber das beste hoffen; – vielleicht habe das schöne Abendwetter den Kapitän weiter als seinen gewöhnlichen Spaziergang vom Hause weggelockt, oder es könne ihn auch ein Nachbar aufhalten. Madame Blifil antwortete: O nein! Sie wäre sicher, ihm müsse etwas zugestoßen sein; denn er würde gewiß nicht ausbleiben, ohne es ihr sagen zu lassen, da er wüßte, welche Besorgnis es ihr machen müsse. Die andere Dame, welche keine Gründe weiter vorrätig hatte, legte sich auf die bei solchen