zur Bekräftigung ihres Herrn anlangte, so hielt er das nicht eben für sehr wichtig. Da nun Grausamkeit und Ungerechtigkeit zwei Ideen waren, deren Verschuldung sich bewußt zu sein, er nicht eine einzige Minute aushalten konnte, so ließ er Tom zu sich rufen und sagte zu ihm nach mancher sanften und freundlichen Vermahnung: »Ich bin überzeugt, mein liebstes Kind, daß ich dir mit meinem Verdachte zu wehe gethan habe; es thut mir leid, daß du darüber so strenge gezüchtigt bist.« Und schenkte ihm zuletzt zum Schmerzensgelde ein kleines Pferd, wobei er nochmals sein Bedauern über das Vorgegangene bezeugte.
Hierdurch ward sein Gewissen zu weit schärfern Bissen gereizt, als durch alle Strenge hätte geschehen können. Er konnte die Hiebe des ehrwürdigen Schwögers leichter ertragen, als die Großmut des Herrn Alwerth. Die Thränen stürzten ihm aus den Augen, und er fiel auf die Kniee und rief aus: »Ach liebster Herr Vater, Sie sind zu gütig gegen mich! Gewiß, das sind Sie! In der That, ich bin's nicht wert.« Und in eben dem Augenblicke hätte er fast aus voller Herzensergießung das ganze Geheimnis verraten. Allein der gute Genius des Wildmeisters flüsterte ihm zu, was es für Folgen über den armen Kerl bringen würde, und diese Rücksicht versiegelte ihm die Lippen.
Schwöger that alles, was er konnte, um Herrn Alwerth auszureden, dem Knaben Güte und Mitleiden zu bezeigen und sagte dabei: »er sei auf einer Unwahrheit bestanden,« und ließ sich soviel merken, eine zweite Geißelung möchte wohl die Wahrheit herausholen können.
Herr Alwerth aber weigerte sich rund aus, zu diesem Versuche seine Einwilligung zu geben. Er sagte, der Knabe habe bereits genug für die Verhehlung der Wahrheit gelitten, wenn er auch schuldig wäre; indem man sähe, er könne dabei keinen andern Bewegungsgrund haben, als eine mißverstandene Ehrliebe.
»Ehrliebe!« rief Herr Schwöger mit einiger Hitze, »klare Hartnäckigkeit! Barer Starrsinn! Kann Ehrliebe jemand lehren, Lügen zu sagen? Kann die geringste Ehre ohne Religion bestehen?«
Dies Gespräch fiel am Tische, zu Ende der Mittagsmahlzeit vor und waren dabei Herr Alwerth, Herr Schwöger und noch ein dritter Herr, der sich nun mit in die Untersuchung mischte und den wir, ehe wir einen Schritt weiter gehen, ganz in der Eile unserm Leser zur nähern Bekanntschaft präsentieren wollen.
Drittes Kapitel.
Charaktere des Herrn Quadrat, des Philosophen und des Herrn Schwöger, des Theologen, mit einer Disputation über – – –
Der Name dieses Herrn, der sich einige Zeit in Herrn Alwerths Hause aufgehalten hatte, hieß Quadrat. Seine Naturgaben waren eben nicht von der ersten Klasse. Sie waren aber durch eine gelehrte Erziehung um ein Großes ausgebildet. Er besaß eine tiefe Belesenheit in den Alten und alle Werke des Plato und Aristoteles wußte er auf den Fingern auswendig. Nach diesen großen Mustern hatte er sich hauptsächlich gebildet und hing zuweilen an der Meinung des einen und zuweilen an der Meinung des andern. In der Moral war er ein offenbarer Platoniker und in der Religion hing er auf die Seite der Aristotelianer.
Allein, ob er gleich, wie wir gesagt haben, das System seiner Moral aus dem Plato abstrahiert hatte, so war er dabei doch einstimmig mit dem Aristoteles, insoferne er diesen großen Mann mehr in dem Lichte eines spekulativen Philosophen als eines Gesetzgebers betrachtete. Diese Meinung trieb er sehr weit; so weit in der That, daß er alle Tugend als einen bloßen Gegenstand der Theorie betrachtete. Freilich sagte er dieses niemals gegen irgend einen Menschen ausdrücklich; wenigstens wüßte ich nicht etwas davon gehört zu haben und gleichwohl kann ich bei der geringsten Aufmerksamkeit auf seine Handlungen nicht umhin, zu glauben, daß es seine wahre Meinung gewesen sei, weil dies verschiedene Widersprüche, die man sonst in seinem Charakter finden würde, auf einmal und völlig aufhebt.
Dieser Herr und Herr Schwöger kamen selten an einem Orte zusammen, ohne zu disputieren, denn ihre Glaubensgrundsätze liefen einander schnurstracks entgegen. Quadrat behauptete, die Natur des Menschen sei der Inbegriff aller Tugend und das Laster sei eine Abweichung von unsrer Natur, ungefähr ebenso, wie die Häßlichkeit des Körpers. Schwöger hingegen bestand darauf, das menschliche Herz sei seit dem Sündenfalle nichts anders als ein tiefer Morast von Bosheit, bis es durch die Gnade wieder gereinigt und erlöset worden. In einem einzigen Punkte trafen sie zusammen. Dieser war, daß sie in allen ihren Gesprächen über die Moral niemals des Wortes Herzensgüte mit einer Silbe gedachten. Der Lieblingsausdruck des erstern war natürliche Schönheit der Tugend; das Steckenpferd des letztern war göttliche Gnadenwirkung. Der erste maß alle Handlungen nach der unveränderlichen Regel des Rechts und der von Ewigkeit her bestimmten Harmonie der Dinge. Der letztere entschied jeden Satz durch Machtsprüche; jedoch führte er dabei allemal biblische Sprüche und ihre Ausleger an, so, wie etwa der Jurist seinen Text und dessen Kommentatoren anführt und die letztern für ebenso entscheidend hält, als den ersten. Nach dieser in kurzem gemachten Bekanntschaft wird der Leser die Güte haben, sich zu erinnern, daß der geistliche Herr seine Rede mit einer triumphierenden Frage beschlossen hatte, welche er für unbeantwortlich halten mochte, nämlich: Kann die geringste Ehre ohne Religion bestehen?
Hierauf antwortete Quadrat: es wäre unmöglich, philosophisch über Worte zu reden, bis ihre Meinung genau bestimmt wäre; es gäbe schwerlich noch zwei andere Worte von einer so ungewissen und schwankenden Bedeutung, als die zwei, die er gebraucht hätte: denn es gäbe fast ebenso verschiedenerlei Meinungen über das Wort Ehre als über das Wort Religion. »Allein,« sagte er, »wenn Sie unter der Ehre die wahre natürliche Schönheit der Tugend verstehen: so behaupte ich, daß sie von allem, was man Religion nennen mag, unabhängig sei. Ja,« fügte er hinzu, »Sie selbst werden mir einräumen, daß sie von allen übrigen unabhängig sei, nur eine einzige ausgenommen; dasselbige thut auch der Mohamedaner, der Jude und alle verschiedenen Sekten in der Welt.«
Schwöger erwiderte, dies hieße mit den gewöhnlichen Tücken aller Feinde der rechtgläubigen Kirche argumentieren. Er sagte, er zweifle nicht, alle Ketzer und Ungläubige in der ganzen Welt würden, wenn sie nur könnten, die Ehre innerhalb ihrer eigenen abgeschmackten Irrtümer und verdammten Ketzereien einschränken; »allein,« sagte er, »deswegen ist die Ehre noch lange nicht vielartig, weil es so manche dumme Meinungen darüber gibt; ebensowenig, wie es deswegen, mehr als eine Religion gibt, weil sich die Sekten und Ketzereien in der Welt vervielfältigt haben! Wenn ich das Wort Religion brauche, so versteh' ich die christliche Religion und nicht bloß die christliche Religion, sondern die protestantische Religion, und nicht bloß die protestantische Religion, sondern die in den neununddreißig Artikeln, als unsern symbolischen Büchern enthaltene Religion. Und wenn ich Ehre sage, so meine ich die Bestimmung von göttlicher Gnade, welche nicht nur konsistent ist mit, sondern dependent von dieser Religion, und weder konsistent ist mit, noch dependent von irgend einer andern Religion. Nun aber sagen wollen, die Ehre, welche ich hier meine, und welche, wie ich dachte, alle die Ehre wäre, die man mir zutrauen könnte, zu meinen, sei fähig, eine Unwahrheit zu unterstützen oder gar einzuflößen, das wäre eine Behauptung, deren Dummheit unbegreiflich wäre.«
»Ich vermied mit Fleiß,« sagte Quadrat, »eine Folgerung zu ziehen, weil ich glaubte, sie wäre an sich schon, aus dem was ich gesagt hatte, evident; allein wenn Sie solche wahrgenommen haben, so seh' ich doch wohl, Sie haben nicht rätlich erachtet, darauf eine Antwort zu versuchen. Jedoch, beiseite gesetzt den Artikel der Religion, ist es hell und klar, denke ich, daß wir mit dem Worte Ehre ganz verschiedene Ideen verbinden; wie könnten wir sonst über ihre nähere Definition von entgegengesetzter Meinung sein? Ich habe behauptet, daß wahre Ehre und wahre Tugend beinahe gleichbedeutende Ausdrücke und beide auf die unveränderliche Regel des Rechts und die ewig vorherbestimmte Harmonie der Dinge gegründet sind, und weil sich nun platterdings damit keine Unwahrheit vereinigen läßt, so ist es klar, daß wahre Ehre keine Unwahrheit unterstützen kann. Hierin also, dünkt mich, sind wir beide einerlei Meinung. Daß man aber von dieser Ehre sagen könne, sie gründe sich auf Religion, da sie doch älter ist, als diese, wenn Religion so viel sagen soll als irgend ein positives Gesetz –«
»Einerlei Meinung?« fiel Schwöger mit großer Wärme ein, »mit einem Manne, welcher behaupten kann, die Ehre sei älter als die Religion! Herr Alwerth, war ich mit ihm einerlei Meinung?«
Er stand im Begriff fortzureden, als sich Herr Alwerth ins Mittel legte und ihnen kaltblütig sagte: sie hätten ihn mißverstanden,