der Teufel, er hat recht!« schrie Denisow aufspringend. »Na also, Rostow! Na!«
Abwechselnd errötend und erbleichend, sah Rostow bald den einen, bald den andern der Offiziere an.
»Nein, meine Herren, nein ... Glauben Sie das nicht von mir ... Ich sehe sehr wohl ein ... Sie tun mir mit Ihrem Urteil über mich unrecht ... Ich ... um meinetwillen ... ich werde für die Ehre des Regiments ... Nein, ich werde es im Kampf zeigen, daß auch für mich die Ehre der Fahne ... Nun ja, ich gebe es zu, es ist richtig, ich habe einen Fehler begangen ...!« Die Tränen standen ihm in den Augen. »Ich habe einen Fehler begangen, einen argen Fehler ...! Nun, was verlangen Sie noch weiter?«
»Sehen Sie, so ist's recht, Graf!« rief der Vizerittmeister, indem er sich wieder zu ihm umdrehte und ihm mit seiner großen Hand auf die Schulter schlug.
»Ich habe es dir ja gesagt«, schrie Denisow, »er ist ein prächtiger Bursche!«
»Das ist brav von Ihnen, Graf«, sagte der Vizerittmeister noch einmal, wie wenn er Rostow für sein Eingeständnis durch die Anrede mit dem Titel belohnen wollte. »Gehen Sie hin und bitten Sie um Entschuldigung, Euer Erlaucht; vorwärts!«
»Meine Herren, ich werde alles tun, niemand soll von mir auch nur ein Wort weiter über diese Sache hören«, sagte Rostow in flehendem Ton, »aber um Entschuldigung bitten kann ich nicht; bei Gott, das kann ich nicht; machen Sie mit mir, was Sie wollen! Ich kann doch nicht wie ein Knabe um Entschuldigung und um Verzeihung bitten!«
Denisow fing an zu lachen.
»Sie werden den Schaden davon haben«, sagte Kirsten. »Bogdanowitsch trägt einem dergleichen nach; Sie werden für Ihren Eigensinn büßen.«
»Bei Gott, es ist von mir nicht Eigensinn! Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was es für ein Gefühl ist; aber ...«
»Na, tun Sie, was Sie wollen«, sagte der Vizerittmeister. »Wo ist denn aber dieser schändliche Mensch geblieben?« fragte er Denisow.
»Er hat sich krank gemeldet; es ist Order da, ihn morgen aus der Liste zu streichen«, antwortete Denisow.
»Es muß bei ihm Krankheit gewesen sein; anders ist es gar nicht zu erklären«, meinte der Vizerittmeister.
»Krankheit oder nicht, aber mir soll er nicht unter die Augen kommen ... ich schlage ihn tot ...«, schrie Denisow blutdürstig. Da trat Scherkow ins Zimmer.
»Wie kommst du hierher?« fragten die Offiziere sofort den Ankömmling.
»Es geht los, meine Herren. Mack mit seiner ganzen Armee hat kapituliert.«
»Du schwindelst uns etwas vor!«
»Ich habe ihn selbst gesehen.«
»Wie? Du hast Mack lebendig gesehen? Mack in eigener Person?«
»Es geht los! Es geht los! Gebt ihm eine Flasche Wein für diese Nachricht. Wie kommst du aber eigentlich hierher?«
»Wegen dieses dummen Kerls, des Mack, bin ich wieder zum Regiment zurückgeschickt worden. Ein österreichischer General hat sich über mich beschwert. Ich hatte ihm zu Macks Ankunft Glück gewünscht ... Was ist denn mit dir, Rostow? Du siehst ja so rot aus, als ob du eben aus dem Schwitzbad kämst?«
»Hier ist eine sehr widerwärtige Geschichte passiert, Bruder.«
Der Regimentsadjutant trat ein und bestätigte die von Scherkow gebrachte Nachricht. Für morgen war der Aufbruch befohlen.
»Es geht los, meine Herren!«
»Nun, Gott sei Dank! Wir haben schon zu lange stillgelegen.«
VI
Kutusow zog sich in der Richtung auf Wien zurück und brach dabei die Brücken über den Inn bei Braunau und über die Traun bei Linz hinter sich ab. Am 23. Oktober überschritten die russischen Truppen die Enns. Der russische Train, die Artillerie und die Truppenkolonnen zogen am Mittag durch die Stadt Enns, die auf beiden Seiten des überbrückten Flusses liegt.
Es war ein warmer, regnerischer Herbsttag. Die weite Aussicht, die sich von der Anhöhe erschloß, wo die zum Schutz der Brücke dienenden russischen Batterien standen, wurde bald unvermutet von dem dünnen Schleier eines schräg fallenden Regens verhüllt, bald eröffnete sie sich wieder ebenso unvermutet, und beim hellen Schein der Sonne wurden bis in weite Ferne die wie lackiert aussehenden Gegenstände deutlich sichtbar. Unten zu ihren Füßen sahen die Artilleristen das Städtchen mit seinen weißen Häusern und roten Dächern, mit der Kirche und mit der Brücke, auf deren beiden Seiten die russischen Truppen in dichtgedrängten Massen einherzogen. An einer Krümmung der Donau sah man Schiffe und eine Insel und ein Schloß mit einem Park, bespült von den Gewässern der dort in die Donau sich ergießenden Enns. Man sah das felsige, mit Fichtenwald bedeckte linke Donauufer und darüber hinaus in geheimnisvoller Ferne grüne Berghöhen und bläuliche Schluchten. Auch die Türme eines Klosters waren sichtbar; sie ragten aus einem anscheinend von keinem Menschen betretenen, wilden Fichtenwald hervor. Und in der Ferne nach vorn zu, auf dem Berg jenseits der Enns, erblickten die Artilleristen die Tirailleure des Feindes.
Auf der Anhöhe stand zwischen den Geschützen ganz vorn der die Arrieregarde befehligende General mit einem Offizier à la suite und betrachtete die Gegend durch ein Fernglas. Etwas weiter zurück saß auf einer Lafette Neswizki, der vom Oberkommandierenden mit einem Auftrag zur Arrieregarde geschickt worden war. Von dem Kosaken, der ihn begleitete, hatte er sich eine Tasche und eine Flasche reichen lassen und traktierte nun die Offiziere mit Pastetchen und echtem Doppelkümmel. Die Offiziere umgaben ihn fröhlich; die einen knieten, andere saßen mit untergeschlagenen Beinen auf dem feuchten Rasen.
»Ja, dieser österreichische Fürst war kein Dummkopf, daß er sich hier ein Schloß gebaut hat«, sagte Neswizki. »Eine herrliche Lage ...! Aber warum essen Sie nicht, meine Herren?«
»Ich danke gehorsamst, Fürst«, antwortete einer der Offiziere, dem es ein besonderes Vergnügen war, sich mit einem so hohen Offizier vom Stab unterhalten zu dürfen. »Es ist eine wunderschöne Lage. Wir sind dicht am Park vorbeigekommen. Wir haben zwei Hirsche gesehen; und das Gebäude ist großartig!«
»Sehen Sie nur, Fürst«, sagte ein anderer, der die größte Lust hatte, noch ein Pastetchen zu nehmen, sich aber genierte und deshalb tat, als betrachte er die Gegend. »Sehen Sie nur, unsere Infanterie ist da schon eingedrungen. Da, da, auf der kleinen Wiese hinter dem Dorf, da schleppen drei Mann etwas. Die werden sich das Schloß gehörig vornehmen«, sagte er mit sichtlicher Billigung.
»Wahrhaftig, Sie haben recht«, antwortete Neswizki. »Aber, wissen Sie, ich würde mir etwas anderes wünschen«, fügte er hinzu, während er, die hübschen, feuchten Lippen bewegend, an einem Bissen Pastete kaute; »daß wir das Gebäude da gehörig vornehmen könnten.«
Er zeigte auf das Kloster mit den Türmen, das auf dem Berg sichtbar war. Er lächelte, seine Augen zogen sich zusammen und fingen an zu blitzen.
»Das wäre fein, meine Herren!«
Die Offiziere lachten.
»Wenn wir nur diesen Nönnchen ein bißchen angst machen könnten. Es heißt, es wären junge Italienerinnen darin. Wahrhaftig, fünf Jahre meines Lebens gäbe ich darum!«
»Die langweilen sich doch gewiß dadrin«, meinte lachend ein andrer Offizier in noch dreisterem Ton.
Unterdessen zeigte der weiter vorn stehende Offizier à la suite dem General etwas; der General blickte durch das Fernrohr.
»Na ja, es ist so, es ist so«, sagte der General zornig, indem er das Fernrohr von den Augen nahm und die Achseln zuckte. »Es ist so; sie werden den Brückenübergang beschießen. Warum sich unsere Leute nur nicht mehr beeilen?«
Auf der anderen Seite des Flusses war schon mit bloßem Auge der Feind und eine feindliche Batterie zu sehen, aus der sich ein milchweißes Wölkchen loslöste. Nach dem Erscheinen des Wölkchens ertönte ein ferner Schuß, und man konnte sehen, wie unsere Truppen an der Brücke auf einmal zu eilen anfingen.
Neswizki