Лев Толстой

Krieg und Frieden


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beschreibenden Teil des Briefes las. »Und was für eine herrliche Seele! Über sich selbst schreibt er nichts ... gar nichts. Da schreibt er von einem gewissen Denisow, und dabei ist er selbst doch gewiß tapferer als all diese Leute. Von seinen Leiden und Schmerzen schreibt er nichts. Was für ein gutes Herz! Daran erkenne ich ihn ganz wieder! Und wie er an alle denkt! Niemanden hat er vergessen. Ich habe es aber immer gesagt, immer, schon als er noch so klein war; ich habe es immer gesagt ...«

      Mehr als eine Woche lang wurden von allen Hausgenossen Briefe an Nikolai zuerst im Konzept hergestellt und dann ins reine geschrieben. Unter Oberleitung der Gräfin und geschäftiger Mitwirkung des Grafen wurden mancherlei zur Equipierung und Ausstattung des neugebackenen Offiziers nötige Dinge, namentlich auch Geld, beschafft und zusammengepackt. Anna Michailowna, als praktische Frau, hatte es verstanden, sich und ihrem Sohn bei der Feldarmee Protektionen wie in anderer Hinsicht so auch sogar für die Korrespondenz zu verschaffen; sie hatte die Möglichkeit, ihre Briefe an den Großfürsten Konstantin Pawlowitsch zu schicken, der die Garde kommandierte. Rostows waren nun der Ansicht, eine Angabe auf der Adresse wie: »Russische Garde im Ausland« sei hinreichend klar, und wenn der Brief auf diese Art an den Großfürsten gelange, der die Garde kommandierte, so werde er mit Sicherheit auch weiter an das Pawlograder Regiment gelangen, das da in der Nähe sein müsse; es wurde daher beschlossen, die Briefe und das Geld durch einen Kurier des Großfürsten an Boris zu schicken, und Boris sollte dann alles Nikolai zustellen. Die Briefe waren von dem alten Grafen, von der Gräfin, von Petja, von Wjera, von Natascha und von Sonja; beigefügt waren sechstausend Rubel zur Equipierung und allerlei Sachen, die der Graf seinem Sohn sandte.

      VII

      Am 12. November machte sich die Kutusowsche Armee, die bei Olmütz lagerte, zu einer Truppenschau vor den beiden Kaisern, dem russischen und dem österreichischen, für den nächsten Tag zurecht. Die Garde, die soeben aus Rußland eingetroffen war, übernachtete fünfzehn Werst von Olmütz entfernt und sollte sich am andern Tag direkt von dort zu der auf zehn Uhr angesetzten Truppenschau nach dem Olmützer Feld begeben.

      Nikolai Rostow erhielt an diesem Tag von Boris eine kurze Zuschrift, worin er benachrichtigt wurde, daß das Ismaïler Regiment fünfzehn Werst vor Olmütz übernachten werde, und daß er ihn dort erwarte, um ihm einen Brief und Geld einzuhändigen. Geld brauchte Rostow jetzt besonders nötig; denn das Lager, in welchem das Heer nach der Rückkehr vom Feldzug jetzt bei Olmütz lag, war voll von Marketendern, die mit allerlei Gaumengenüssen wohlversehen waren, und von österreichischen Juden, welche verführerische Dinge aller Art anboten. Bei den Pawlograder Husarenoffizieren folgte ein Gelage auf das andere, da doch die im Feldzug erhaltenen Dekorationen und stattgefundenen Avancements nachträglich gefeiert werden mußten; oft ritten sie auch nach Olmütz zu der Ungarin Karoline, die dort kürzlich angekommen war und ein Restaurant mit weiblicher Bedienung eröffnet hatte. Rostow hatte vor kurzem seine Beförderung zum Kornett gefeiert, hatte von Denisow ein Pferd, den »Beduinen«, gekauft und steckte bei seinen Kameraden und bei den Marketendern tief in Schulden. Nachdem er das Briefchen von Boris erhalten hatte, ritt er mit einem Kameraden nach Olmütz, aß dort zu Mittag, trank eine Flasche Wein und ritt dann allein weiter nach dem Lager der Garde, um dort seinen Jugendfreund aufzusuchen. Rostow hatte noch nicht die Möglichkeit gefunden, sich zu equipieren. Er trug eine schon stark abgenutzte Junkerjacke, an welcher das Georgskreuz derjenigen Klasse hing, die den Unteroffizieren und Gemeinen verliehen wird, ferner ebensolche, mit abgescheuertem Leder besetzte Reithosen und einen Offizierssäbel mit Troddel; das Pferd, auf dem er ritt, war ein donisches, das er während des Feldzuges von einem Kosaken gekauft hatte; seine zerdrückte Husarenmütze hatte er keck nach hinten und zur Seite geschoben. Als er sich dem Lager des Ismaïler Regiments näherte, freute er sich darauf, wie er Boris und dessen sämtliche Kameraden von der Garde durch seine kriegerische Erscheinung, die von manchem mitgemachten Kampf zeugte, in Erstaunen versetzen werde.

      Die Garde hatte den ganzen Marsch wie einen Spaziergang zurückgelegt und sich dabei auf ihre Sauberkeit und ihre Manneszucht nicht wenig zugute gehalten. Die Tagesmärsche waren klein gewesen; die Tornister waren auf Fuhrwerken mitgeführt worden; für die Offiziere hatten die österreichischen Behörden an allen Orten, wo übernachtet wurde, schöne Diners veranstaltet. Die Regimenter waren mit klingendem Spiel in die Städte eingerückt und ebenso wieder ausmarschiert, und während des ganzen Marsches waren die Soldaten (darauf war die Garde besonders stolz) auf Befehl des Großfürsten im Tritt gegangen, die Offiziere zu Fuß an ihren Plätzen. Boris war die ganze Zeit über mit Berg, der jetzt bereits Kompaniechef war, zusammen marschiert und hatte mit ihm zusammen gewohnt. Berg, der während des Marsches seine Kompanie bekommen hatte, hatte sich seitdem schon durch seine Pünktlichkeit und Sorgfalt das Vertrauen seiner Vorgesetzten erworben und seine finanzielle Lage auf das vorteilhafteste geordnet; und Boris hatte während des Marsches die Bekanntschaft vieler Leute gemacht, die ihm nützlich sein konnten, und war unter andern auch durch einen Empfehlungsbrief, den ihm Pierre geschickt hatte, mit dem Fürsten Andrei Bolkonski bekanntgeworden, durch dessen Vermittlung er eine Stelle in dem Stab des Oberkommandierenden zu erhalten hoffte.

      Berg und Boris, die sich von dem letzten Tagesmarsch schon erholt hatten, saßen sauber und ordentlich gekleidet in dem reinlichen Quartier, das ihnen angewiesen war, an einem runden Tisch und spielten Schach. Berg hielt eine lange, brennende Pfeife zwischen den Knien. Boris stellte mit der ihm eigenen Akkuratesse die bereits genommenen Schachfiguren mit seinen weißen, schlanken Fingern in Form einer Pyramide auf und wartete auf Bergs Zug; er blickte nach dem Gesicht seines Partners hin und dachte offenbar über das Spiel nach, wie er denn immer nur an das dachte, womit er gerade beschäftigt war.

      »Wollen mal sehen, wie Sie sich aus dieser Klemme ziehen«, sagte er.

      »Ich will es versuchen«, antwortete Berg und berührte einen Bauer, zog aber die Hand schnell wieder zurück.

      In diesem Augenblick öffnete sich die Tür.

      »Da ist er ja endlich!« rief der eintretende Rostow. »Und Berg auch hier! Weißt du noch: ›Petits enfants, allez coucher dormir‹?« rief er, indem er den allabendlichen Satz der Kinderfrau wiederholte, über den er ehemals mit Boris zusammen oft gelacht hatte.

      »Herr Gott, wie du dich verändert hast!« rief Boris.

      Boris stand auf und kam Rostow entgegen, vergaß aber beim Aufstehen nicht, einige umgefallene Schachfiguren, die hinunterzurollen drohten, festzuhalten und wieder auf ihre Plätze zu stellen. Er wollte seinen Freund umarmen; aber Nikolai wich von ihm zurück. Es ist ja eine bekannte Eigenheit der Jugend: sie scheut die ausgefahrenen Geleise und möchte, statt anderen Leuten nachzuahmen, lieber auf eine neue, ihr eigene Weise ihre Gefühle zum Ausdruck bringen, nur nicht so, wie es, zum Teil heuchlerisch, ältere Leute tun; und so wollte auch Nikolai bei dem Wiedersehen mit seinem Freund gern irgend etwas Besonderes tun: er hatte Lust, Boris zu kneifen, ihm ein paar Püffe zu versetzen, aber nur nicht sich mit ihm zu küssen, wie das alle Leute tun. Boris hingegen umarmte seinen Freund ruhig und freundschaftlich und küßte ihn dreimal.

      Sie hatten einander fast ein halbes Jahr nicht gesehen, und wie das in jenem Alter natürlich ist, in welchem junge Leute die ersten Schritte auf dem Lebensweg unternehmen, entdeckte jeder von ihnen an dem andern gewaltige Veränderungen und fand zu seiner größten Überraschung, daß der andere in gar manchen Punkten sich der gesellschaftlichen Umgebung angeglichen hatte, die der Schauplatz seiner ersten Schritte geworden war. Beide hatten sich seit ihrem letzten Zusammensein sehr verändert, und beide empfanden das Bedürfnis, sich möglichst schnell gegeneinander über die mit ihnen vorgegangenen Veränderungen auszusprechen.

      »Ach, ihr verdammten Salonmenschen! Sehen die Kerle nicht so sauber und frisch aus, als ob sie von der Promenade kämen? Anders als wir armseligen Linienoffiziere!« sagte Rostow, auf seine mit Schmutz bespritzte Reithose weisend; seine Stimme hatte einen Baritonklang, der seinem Freund Boris neu war, und seine Gebärden beim Sprechen waren von der Art, wie sie wohl bei der Linie üblich sein mochten.

      Die deutsche Hauswirtin steckte infolge von Rostows lautem Sprechen den Kopf durch die Tür.

      »Wie steht's? Ist sie hübsch?« fragte er, mit den Augen zwinkernd.

      »Schrei doch nicht so! Du jagst ja den Leuten einen Schreck ein«,