Oliver Schütte

Die Netflix-Revolution


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zunächst anders, da sie sich hauptsächlich durch die Beiträge der deutschen Haushalte finanzieren. Trotzdem war dem Programm anzumerken, dass die Macher wie bei den Privaten die Quote, also die Anzahl der Zuschauer als wesentliches Kriterium ansehen. Dabei hatten (und haben) ARD und ZDF damit zu kämpfen, dass das Durchschnittsalter der Menschen, die sich für sie entscheiden, weit über 60 Jahre ist. Um dieses treue Publikum nicht zu verschrecken, musste das Programm auch für die Senioren Deutschlands akzeptabel sein. Frischer und moderner Inhalt war daher nicht angesagt. Um aus dem Teufelskreis herauszukommen, gründete das ZDF seinen Spartenkanal ZDFneo. Der war angetreten, das »junge« Publikum anzusprechen, was bei dem Sender aus Mainz bedeutet, dass die Zielgruppe bei den 49-Jährigen endet. Wer damals den großen Auftritt erwartete, wurde enttäuscht, bestand doch das Programm aus Wiederholungen, die sich dadurch kennzeichneten, dass sie im ZDF (also bei den über 60-Jährigen) nicht gut gelaufen waren. Das änderte sich erst im Laufe der Zeit, als auch eigene neo-Sendungen produziert wurden.

      Dennoch strahlten die beiden Hauptprogramme immer noch ein Programm aus, das den größtmöglichen Konsens anstrebte. Anspruchsvolle Dokumentarfilme, komplexe Serien und innovative Formate hatten keinen Raum bei ARD oder ZDF.

      Auf diesen Markt der klassischen, linearen Sender trafen die Streamingplattformen Netflix und Amazon, als sie in Deutschland 2014 an den Start gingen.

       Vom Flimmern zum Kinoerlebnis

      Nicht nur inhaltlich durchlief das Fernsehen innerhalb der letzten 70 Jahre eine außerordentliche Veränderung.

      Die ersten Röhrengeräte, die ab den 50ern in den Haushalten standen, basierten auf dem sogenannten 4:3 Standard, der das Verhältnis von Höhe und Breite beschrieb. Die Flimmerkiste war im Vergleich zum breiten Kinobild also schon fast quadratisch. Der Bildschirm war schwarz-weiß, und die Sendungen wurden in Deutschland, der Schweiz und in Österreich mit 625 Zeilen ausgestrahlt. Um es weniger technisch – und nach heutigen Maßstäben – zu sagen: Das Bild war schlecht. Wer Vom Winde verweht zuhause sehen wollte, musste entweder auf den rechten und linken Bildrand verzichten (weil er vom Sender einfach abgeschnitten wurde) oder oben und unten mit schwarzen Balken leben. Von der Qualität des Bildes her waren Kino und Fernsehen in diesen Jahren somit keine Konkurrenz. Oftmals war auch der Empfang schwierig und von äußeren Umständen abhängig, sodass es zu Bildausfällen und Störungen kam.

      Diesen Nachteil der neuen Konkurrenz versuchten die Produzenten von Kinofilmen zu nutzen, und sie überboten sich mit immer besseren Farben und breiteren Filmen. Das amerikanische CinemaScope und auch andere Formate präsentierten den Kinozuschauern eine enorme Bildgröße und führte zu Epen, deren Erzählungen sich auf die eigenen Stärken gegenüber dem Fernsehen besann. Ben Hur, Jenseits von Eden und Der Schatz im Silbersee spielten mit opulenten Landschaften und großen Bildern, die so im »Pantoffelkino« nicht möglich waren. Das Kino reagierte somit gezwungenermaßen und veränderte sich, nicht nur in der Form, sondern auch in seinem Inhalt: Epische Geschichten, dunkle Figuren und knallharte Fiktion kennzeichneten den Kampf gegen das Pantoffelkino.

      Der Umstand, dass der Bildschirm seine Filme und Sendungen in schwarz-weiß präsentierte, änderte sich erst, als 1967 der Regierende Bürgermeister von Berlin und spätere Bundeskanzler Willy Brandt während der Funkausstellung auf die moderne Technik wechselte, und er die Ära des Farbfernsehens einläutete. Die neue Epoche begann allerdings mit einer Panne. Brandt stand vor einem großen roten Knopf, der angeblich das Bild auf Farbe umschaltete. Was die Millionen von Zuschauern nicht wussten, war, dass es sich dabei lediglich um eine Attrappe handelte. Ein Techniker im Studio musste die Umschaltung vornehmen. Und als Brandt seine Hand zu dem Knopf führte, war er zu voreilig. Für die wenigen, die eines der neuen Geräte besaßen, schaltete sich das Bild um, bevor der Bürgermeister von Berlin überhaupt den Knopf drückte. In der Schweiz startete die farbige Übertragung ein Jahr später, und 1969 folgten Österreich und die DDR.

      Es dauerte noch einige Jahre, bis alle Sendungen in Farbe produziert wurden und auch in den meisten Wohnzimmern ein passendes Gerät stand. Aber zumindest auf diesem Gebiet hatte das Fernsehen den Vorsprung des Kinos aufgeholt. Die Technik entwickelt sich ständig weiter, sodass die anfänglichen Fehler (z. B. falsch dargestellte Farben) behoben wurden und das Erlebnis zunehmend überzeugender wurde.

      Nur das Format sollte mehr als 30 Jahre lang weiterhin bei 4:3 bleiben und immer noch auf der Technik beruhen, dass das Bild mithilfe einer Röhre erzeugt wurde. Erst nach der Jahrtausendwende setzten sich die ersten Flachbildschirme durch und mit ihnen eine andere Darstellung. Das sogenannte 16:9 Format ähnelte dem Kino und entspricht dem menschlichen Gesichtsfeld eher als das in der Breite eingeschränkte alte 4:3 Verhältnis. Es dauerte nur wenige Jahre, dann wurden sämtliche Produktionen auf dieses Format angepasst. Die Tagesschau stellte Mitte 2007 ihre Ausstrahlungen auf die neue Größe um. Ungefähr zur gleichen Zeit drehten die Sender auch ihre Fernsehspiele und TV-Movies nur noch in 16:9.

      Die ersten Flachbildschirme wurden in der sogenannten SDQualität (Standard Definition) verkauft. Das Bild besteht aus einer Auflösung von etwas mehr als 400.000 Bildpunkten. Wenig später kamen die Geräte in HD-Qualität (High Definition) auf den Markt. Dies entsprach eine Auflösung von bis zu zwei Millionen Bildpunkten. Um es weniger technisch auszudrücken: Für die Zuschauer, die jahrzehntelang an das Bild der Röhrenfernseher gewohnt waren, zeigten sich die ersten SD-Geräte als enormer Qualitätssprung, und der nächste Schritt zu HD bot noch einmal an klareres und detaillierteres Bild.

      Derzeit wird die neue Generation, das UHD (Ultra High Definition), angeboten. Eine ähnliche Bildschärfe wird mit dem Begriff 4K beschrieben. Er stammt aus dem digitalen Kinobereich und beschreibt eine Auflösung von sagenhaften 4096 x 2160 Pixeln. Viele der heute verkauften Geräte verfügen schon über diese Qualität.

      Die Zukunft wird noch schärfer. Mit 8K wird eine Auflösung von 7680 x 4320 Pixeln erreicht. Damit liegt die Zahl der Pixel bei ca. 33 Millionen. Allerdings werden bisher kaum Produktionen in 8K hergestellt. Bevor der Einsatz von solchen Geräten sinnvoll ist, werden einige Jahre ins Land gehen.

      Die Steigerung der Pixelzahl stößt in seiner Sinnhaftigkeit allerdings an Grenzen, denn auf einem kleinen Bildschirm ist der Unterschied nicht mehr auszumachen. Darum stellen die Hersteller immer größere Fernseher her, die durchaus eine Bildschirmdiagonale von zwei Metern haben. Zwar können die flacher gewordenen Geräte auch an die Wand gehängt werden, trotzdem müssen die heimischen Zuschauer eine freie Fläche haben und den notwendigen Abstand ermöglichen, damit sie nicht direkt vor dem Bildschirm kleben und ihre Nackenmuskulatur erstarrt.

      Die Tendenz ist seit 20 Jahren klar: Da in der westlichen Welt eine Marktsättigung eingetreten war (mindestens ein Fernsehgerät in jedem Haushalt), war den Unternehmen daran gelegen, durch modernere Technologien die Kunden möglichst häufiger zum Kauf eines neuen Geräts zu bringen. Dabei stellten sich einige hoffnungsvolle Erfindungen schon bald als Rohrkrepierer heraus. Das 3D-Fernsehen hatte sich aus mehreren Umständen nicht durchgesetzt. Einerseits fehlte es an genügend Filmen oder Sendungen, die überhaupt zur Verfügung standen, andererseits zwang die Technik die Zuschauer zum Tragen von unbequemen Brillen. Immer wieder werden neue Technologien ausprobiert, und dies wird sich aus wirtschaftlichen Gründen in der nahen Zukunft nicht ändern. Aber die wenigsten werden sich durchsetzen. Leicht gebogene Bildschirme finden sich wahrscheinlich in fünf Jahren eher in technischen Museen als Ausstellungsstück als in heimischen Wohnzimmern. Auch die Steigerung der Pixelzahl wird sich zwar fortsetzen, da der Unterschied für die meisten Geräte kaum wahrnehmbar sein wird, fällt für die überwiegend Teil der Kunden das Kaufargument weg. Ebenso wird die Qualitätssteigerung durch neue Bildschirmtechnologien (OLED oder HDR) das Fernseherlebnis nicht weiter revolutionieren.

      Sicherlich wird der Trend eher darin liegen, dass die Smart TVs noch intelligenter und ‚smarter‘ werden. Künstliche Intelligenz wird Einzug halten in den Fernsehgeräten unserer Wohnzimmer. Die Vernetzung mit anderen Geräten wird dabei zunehmend wichtiger.

       KAPITEL