Oliver Schütte

Die Netflix-Revolution


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um die neuesten Blockbuster illegal zum Anschauen anzubieten.

      Je schneller das Internet wurde, desto attraktiver wurde eine andere Art Filme auf dem Computer anzuschauen. Beim Streaming werden die Daten nicht auf dem Rechner gespeichert, sondern sofort, wenn sie den Empfänger erreicht haben, abgespielt. Es bedarf lediglich die Zwischenspeicherung von wenigen Daten, damit es bei schwankender Geschwindigkeit der Übertragung zu keinen Ausfällen kommt. Während beim Herunterladen der Nutzer erst einmal abwarten muss, bevor alle Informationen auf dem Computer sind, beginnt ein gestreamter Film mehr oder weniger sofort.

      Das Material liegt auf den Servern der Anbieter und kann dort jederzeit abgerufen werden. So wie wir seit langer Zeit daran gewöhnt sind, dass wir den Wasserhahn aufdrehen und uns augenblicklich das kühle Nass zur Verfügung steht, können wir nun den Play-Button drücken, und der Film wird abgespielt.

      Wasser und Strom waren vor zweihundert Jahren noch keine Selbstverständlichkeit. Und auch das Telefon gehörte erst ab den 60ern mehr oder weniger in jeden Haushalt. Das Radio und das Fernsehen besaßen von Anfang an diese Qualitäten. Mit dem Drücken eines Knopfes stand es uns zur Verfügung. Einmal abgesehen davon, dass zumindest das Fernsehen in der Anfangszeit nicht rund um die Uhr ausgestrahlt wurde (die Älteren werden sich an das Testbild erinnern, das das Publikum in der Nacht begrüßte), verfügte auch das lineare Programm spätestens ab den 70er Jahren die gleiche Selbstverständlichkeit, wie sie der Wasserhahn besaß. Doch das klassische Fernsehen war und ist fremdbestimmt. Zwar beeinflusst der Zuschauer, wann er den Knopf drückt, aber er kann nicht festlegen, was er zu sehen bekommt. Das Streamen gibt dem Nutzer dies sehr wichtige Element in die Hand: die eigene Entscheidung, was er wann schauen will. Dafür steht ihm der Film nur so lange zu Verfügung, wie er ein Abonnement abgeschlossen hat, denn die Daten befinden sich nicht mehr auf seinem eigenen Computer.

       YouTube

      Als das Internet in den Kinderschuhen steckte und der iTunes Music Store noch keine Filme im Angebot hatte, gründeten drei frühere Angestellte von PayPal eine neue Plattform, auf der Nutzer ihre Videos hochladen konnten. Der erste Clip, der im Frühjahr 2005 auf der Seite zur Verfügung gestellt wurde, war der Zoobesuch eines der Gründer des Unternehmens im Silicon Valley. Mit diesem unscheinbaren privaten Filmchen war YouTube geboren. Allerdings kam kaum jemand außer den Initiatoren selbst auf die Idee, ein Video im Internet zu posten. Erstens war die Übertragungsgeschwindigkeit langsam und zum anderen war es eher selten, dass eigene Filme gedreht wurden. Lange vor dem iPhone mussten die Nutzer im Besitz einer digitalen Videokamera sein, um Clips aufnehmen zu können. Aber der Internetgigant Google erkannte das Potenzial des Start-ups aus der Nachbarschaft und öffnete ein Jahr nach dessen Gründung seine Geldbörse. Im Herbst 2006 übernahm die Suchmaschine die Plattform für 1,65 Milliarden Dollar. Mit dem Rückenwind des großen Unternehmens konnte der Service rasant wachsen.

      Von Jahr zu Jahr stieg die Zahl der hochgeladenen Videos. Musikclips gehörten dabei zu den meist gesehenen Angeboten. Was für viele junge Konsumenten im vorherigen Jahrhundert MTV war, wurde nun für die Generation der Millennials YouTube.

      Aber die Plattform entwickelte sich weiter, und im Herbst 2015 startete YouTube Red, ein Bezahldienst, mit dem die Nutzer gegen ein monatliches Entgelt werbefreie YouTube-Videos sowie exklusive Serien und Filme (YouTube Originals) schauen konnten. Der Dienst wurde später in YouTube Premium umbenannt und ging Mitte Juni 2018 in Deutschland auf den Markt. Neben eigenen Serien hatte die Streamingplattform auch einige Filme in ihrer Online-Videothek. Eine dieser Eigenproduktionen war die Science-Fiction Serie Impulse, die in der ersten Staffel mit 10 Folgen von jeweils etwa 45 Minuten 2018 online gestellt wurde.

      Insgesamt mehr als 50 Produktionen hatte das Unternehmen aus dem Süden von San Francisco in seinem Portfolio. Keine konnte aber größere Aufmerksamkeit gewinnen, geschweige denn den Sog erzeugen, den die Serien der anderen Streamingdienste schafften. Es war eher Standardware, die angeboten wurde. Ein Jahr nach dem Stapellauf im November 2016 verzeichnete die Online-Videothek daher lediglich 1,5 Millionen Abonnenten.

      2017 hatte das Unternehmen in den USA YouTube TV an den Start gebracht. Der Dienst bietet für eine monatliche Gebühr von 50 Dollar alle fünf wichtigen Fernseh- (ABC, CBS, The CW, Fox und NBC) ebenso wie ungefähr 40 Kabelsender im Paket. Für die amerikanischen Kunden war es ein durchaus verlockendes Angebot, müssen sie doch sonst für ihren Kabelanschluss mehr zahlen. Die Offerte richtet sich dezidiert an die sogenannten »Cord Cutter«. Der Begriff beschreibt jene Haushalte in den USA, die ihren teuren Kabelzugang zu den Fernsehsendern (der über 100 Dollar liegen kann) kündigen und sich entweder auf die Streamingdienste konzentrieren oder sich ihre Kanäle auf andere Art abonnieren. Außerdem werden ihnen bei YouTube TV einige Zusatzangebote zur Verfügung gestellt. Das System informiert sie darüber, wenn ihre Lieblingsserie läuft, und sie haben die Möglichkeit Sendungen in der Cloud aufzuzeichnen und jederzeit anzuschauen.

      2019 erklärte das Unternehmen einen Strategiewechsel und gab bekannt, aus der Konkurrenz der Abonnentendienste auszusteigen. Sämtliche YouTube Original-Serien und Filme werden fortan allen Nutzern kostenlos zur Verfügung gestellt, allerdings inklusive Werbeeinblendungen. Es ist zu vermuten, dass sich das Angebot gegenüber den großen Playern nicht durchsetzen konnte und die Zahl der Abonnenten nicht zufriedenstellend war.

      YouTube Premium wird seitdem in erster Linie als gegen Bezahlung erhältlicher Dienst ohne Werbung positioniert. Das Konzept besteht darin, dass die zahlenden Kunden alle Clips (und auch die YouTube Originals) werbefrei genießen können. Wahrscheinlich kann YouTube mehr Geld mit Reklame verdienen, als mit dem mühseligen Aufbau eines Abonnentenstamms. In Zukunft wird sich YouTube auf das klassische Kerngeschäft, ihre nutzergenerierte Videoplattform konzentrieren und keine eigenen Formate produzieren.

      Neben den von den privaten Nutzern hochgeladenen Clips hat sich ein weiterer Bereich auf der Plattform entwickelt. Ein wichtiges Element der YouTube Welt sind Videos, die sich der Wissensvermittlung widmen. Was Jane Fonda mit ihren Yogavideos in den 70er Jahren vormachte, hat sich heute auf alle Bereiche erweitert. Das reicht von einfachen Erklärvideos von Profis (»Tomatenzüchten leicht gemacht«) bis hin zu komplexen, professionell produzierten Filmen. Eine der bekanntesten Onlineschulen startete 2008 auf YouTube. Die Khan Academy bietet kurze Clips zu den unterschiedlichsten Themen wie Mathematik, Geschichte oder Wirtschaft an. Das Non-Profit Unternehmen überträgt viele seiner Lektionen inzwischen in mehreren Sprachen, u. a. auch Deutsch. Ebenso auf YouTube findet sich eine der bekanntesten Institutionen der Erwachsenenbildung. Schon 1984 als Konferenz gegründet hat sich TED (Technology, Entertainment, Design) zu einer weltweiten Vortragsreihe im digitalen Bereich entwickelt. Das Format ist festgelegt und besteht aus einem ca. 15 minütigen Vortrag eines Experten auf freier Bühne, in Ausnahmefällen mit visueller Projektion auf einer Leinwand. Voraussetzung ist, dass die Präsentation ohne Pult und schriftliches Manuskript gehalten wird. Der Kanal auf YouTube hat über 18 Millionen Abonnenten, die auf das Angebot zugreifen. Der Claim der Plattform verspricht »ideas worth spreading«. Der Gründer von TED beschreibt in einem eigenen Vortrag die revolutionäre Idee hinter den Onlineschulen: »Lesen und Schreiben sind eigentlich relativ neue Erfindungen. Kommunikation von Angesicht zu Angesicht hat sich in Millionen von Jahren verfeinert. Deshalb ist es zu dieser mysteriösen und mächtigen Sache geworden. Jemand spricht, da ist eine Resonanz in den empfangenden Köpfen, die gesamte Gruppe handelt zusammen. Ich meine, das ist das Bindegewebe des menschlichen Superorganismus in Aktion. Das hat unsere Kultur wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden vorangebracht. Vor 500 Jahren traf es auf eine Konkurrenz mit einem tödlichen Vorteil. Der Buchdruck begann sich auszubreiten. Die ambitionierten Innovativen und die Einflussreichen dieser Welt konnten ihre Ideen nun auf der ganzen Welt verbreiten, und so verblasste die Kunst des gesprochenen Wortes immer mehr. Aber nun, innerhalb eines Wimpernschlags, haben sich die Spielregeln wieder geändert. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das, was Gutenberg für das geschriebene Wort getan hat, kann das Online-Video nun für die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht erreichen. Dieses grundlegende Medium also, für das unser Gehirn so ausnehmend gut geeignet ist … hat sich nun weltweit verbreitet.«8

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