Nase saß eine große, runde “Oma-Brille”.
Jenn musste ein Kichern unterdrücken. Scoville war ungefähr Mitte Zwanzig, sah aber so aus, als würde er alles dafür geben wie ein Hippie aus den 60-er Jahren auszusehen. Das Zimmer war mit Perlen, billigen Wandteppichen und Vorlegern mit persischen Motiven und Kerzen dekoriert und war in einer allgemeinen Unordnung gehalten. Einige Poster an den Wänden hatten psychedelische Motive, andere stellten Rock Musiker und Schauspieler dar, die lange vor Jenns Zeit beliebt gewesen waren.
In der Luft hing ein starker Geruch von Räucherstäbchen und…
Noch etwas anderem, begriff Jenn.
Duane Scoville saß da und starrte mit glasigen Augen ins Leere, so als wären sie alle gar nicht da. Er war offensichtlich ziemlich high, obwohl Jenn keinerlei Hinweise auf Drogen in der Wohnung sehen konnte.
Chief Brennan sagte zu ihm: “Duane, das hier sind FBI Agenten Paige, Jeffreys und Roston. Wie gesagt, sie haben noch ein paar Fragen an Dich.”
Duane sagte nichts und bot seinen Besuchern auch nicht an irgendwo Platz zu nehmen.
Jenn war perplex, als sie daran dachte, wie tadellos sauber und ordentlich das kleine Häuschen des Opfers gewesen war. Sie konnte sich schwer vorstellen, dass Robin Scoville diesen Mann jemals gekannt hatte, ganz zu schweigen, dass sie einmal mit ihm verheiratet gewesen sein sollte.
Und dann war da diese Musik…
Statt den Doors oder Jefferson Airplane oder Jimi Hendrix oder sonst irgendeiner anderen Musik, die in diesen Wänden angemessener wäre, hörte Duane irgendeine leise barocke Kammermusik, die ein bewegendes Holzbläser-Solo präsentierte, dass wie ein piepsender, trauriger Vogelgesang klang.
Plötzlich erkannte Jenn das Stück und fragte Duane: “Das ist Vivaldi, oder? Der langsame Satz eines Concertos für die Piccoloflöte.”
Obwohl er Jenn oder ihre Kollegen immer noch nicht ansah, fragte Duane: “Woher wissen Sie das?”
Die Frage wühlte Jenn auf. Sie konnte sich nun genau daran erinnern, wo sie diese Musik früher einmal gehört hatte.
Es war in Tante Coras Pflegefamilie, wo sie aufgewachsen war.
Tante Cora hatte immer klassische Musik im Hintergrund laufen lassen, wenn sie den Kindern die Kunst des kriminellen Lebens beibrachte.
Jenn fuhr zusammen. Es war gruselig und beunruhigend dieses melancholische Melodie nach so vielen Jahren erneut zu hören. Es brachte merkwürdige und verstörende Erinnerungen an frühere Zeiten zurück, die Jenn mit aller Kraft versucht hatte zu verdrängen.
Doch sie wusste, dass sie sich nicht ablenken lassen durfte.
Bleib am Ball, ermahnte sie sich streng.
Statt Duanes Frage zu beantworten, sagte sie…
“Ich hätte Sie nicht für einen Vivaldi Fan gehalten, Duane.”
Duane schaute sie endlich an und ihre Blicke trafen sich.
Er sagte in einer dumpfen Stimme: “Wieso nicht?”
Jenn antwortete nicht. Aus ihrem Studium an der Academy und ihren Erfahrungen mit Riley und Bill wusste sie, dass sie zumindest ein kleines bisschen an Boden gewonnen hatte, indem sie ihn dazu gebracht hatte, sie anzusehen. Nun hatten sie zumindest eine vorübergehende Verbindung hergestellt. Jenn beschloss abzuwarten und Duane als nächstes sprechen zu lassen.
Zuerst sagte er nichts.
Der langsame, traurige Satz kam zu einem Ende und ein funkelnder, schneller Satz erklang.
Duane betätigte einen Knopf an seinem Tonspieler und der langsame Satz begann von vorne.
Endlich sagte er: “Robin mochte dieses Stück sehr. Und dieses war ihr Lieblingssatz. Sie konnte es nicht oft genug hören.”
Dann fügte er mit einem leichten Schnauben hinzu…
“Ich hoffe sie spielen es auf ihrer Beerdigung.”
Jenn erschrak über die aussagekräftige Note der Wut und Bitterkeit in seiner Stimme. Sie fragte sich –– was verbarg sich hinter diesen düsteren Emotionen?
Sie blickte zu Riley und Bill. Sie nickten ihr leicht zu und ermunterten sie somit weiter ihren Instinkten zu folgen.
Sie machte einen Schritt auf Duane zu und fragte: “Gehen Sie zu Robins Beerdigung?”
Duane sagte: “Nein, ich weiß nicht einmal wann oder wo sie begraben wird. Drüben in Missouri, nehme ich an. Dort ist Robin aufgewachsen, ihre Familie lebt immer noch dort. St. Louis, Missouri. Ich nehme nicht an, dass ich eingeladen bin.”
Dann fügte er mit einem kaum hörbaren Kichern hinzu: “Und ich denke kaum, dass ich dort willkommen sein würde, auch wenn ich kommen würde.”
“Wieso nicht?”, wollte Jenn wissen.
Duane zuckte mit den Schultern. “Was meinen Sie? Ihre Familie kann mich nicht besonders leiden.”
“Wieso mögen sie Sie nicht?”
Duane schaltete plötzlich die Musik aus. Sein Gesicht verzog sich ein wenig in was Jenn wie Anwiderung vorkam.
Dann wandte er sich an die drei Agenten. “Schauen Sie, lassen Sie uns eins klarstellen, ok? Sie meinen, dass ich sie ermordet habe. Habe ich nicht. Ich bin das alles schon mit Chief Brennan hier durchgegangen. Es ist so, wie ich ihm gesagt habe –– ich war in Rhode Island, habe dort einen Gig mit meiner Band gespielt. Wir haben dort übernachtet.”
Er kramte in seiner Hosentasche und zog ein Stück Papier hervor, dass er Jenn entgegenhielt.
“Muss ich das noch einmal vorzeigen?”, fragte er. “Das ist unsere Motelrechnung.”
Jenn verschränkte die Arme vor der Brust und ließ ihn mit ausgestreckter Hand dasitzen.
Was auch immer dort drauf stand, sie bezweifelte, dass sie es überzeugend finden würde. Es bewies bestenfalls, dass einige der Bandmitglieder dort übernachtet hatten.
Sie sagte: “Können ihre Bandkollegen dafür bürgen, dass sie die ganze Nacht bei ihnen gewesen waren?”
Darauf antwortete er nicht. Doch sein Blick verriet, dass die Frage Unbehagen in ihm auslöste. Jenns Misstrauen stieg mit jedem Moment an.
Sie fragte ihn: “Können Sie uns sagen, wie wir ihre Kollegen kontaktieren können?”
“Das kann ich schon”, erwiderte Duane. “Aber ich würde es lieber nicht tun.”
“Wieso nicht?”
“Wir haben uns nicht in bester Freundschaft getrennt. Sie hatten mich gerade aus der Band geschmissen. Möglicherweise sind sie nicht gerade kooperativ.”
Jenn begann nun auf und ab zu laufen.
“Es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn Sie kooperieren”, sagte sie.
Duane sagte: “Ach ja? Ist das, was ein Anwalt mir sagen würde? Brauche ich einen Anwalt?”
Jenn antwortete ihm nicht sofort. Doch als sie an einem Wohnzimmerschrank, dessen Türen verschlossen waren, vorbeilief, bemerkte sie, dass Duane sich leicht anspannte. Sie schaute die Tür an und schritt näher heran, drehte sich zu ihm und bemerkte, dass seine Nervosität nur zu wachsen schien.
Sie sagte: “Ich weiß nicht, Duane. Brauchen Sie einen Anwalt?”
Duane sank wieder in seinen Sitzsack und versuchte eine entspannte Miene zu machen.
Er sagte: “Schauen Sie, ich möchte jetzt wirklich dass Sie gehen. Es ist eine ziemlich schlimme Zeit für mich, verstehen Sie? Und Sie machen es nicht einfacher. Und ich habe Rechte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Ihre Fragen nicht beantworten muss.”
Jenn stand nur da und schaute auf Duane, dann auf den Schrank und wieder auf Duane. Sie konnte spüren, dass sie richtig nah dran war, das herauszufinden, was