kommen in ein paar Minuten an”, sagte er beruhigend, als wäre sie ein nervendes Kleinkind. Karina bezweifelte sehr stark, dass er ihre Dinge in seiner Jacke hatte.
Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück oder ließ es zumindest so aussehen, versuchte, so entspannt wie möglich zu erscheinen, als der Geländewagen an einer roten Ampel hielt. Der Geheimdienstagent kramte im Mittelfach nach einer schwarzen Sonnenbrille und zog sie an.
Die Ampel schaltete auf grün um.
Das Auto vor ihnen fuhr los.
Der Agent nahm seinen Fuß von der Bremse und trat auf das Gaspedal.
Mit einer schnellen Bewegung löste Karina Pavlo ihren Sicherheitsgurt mit einer Hand während sie die Tür mit der anderen aufdrückte. Sie sprang aus dem fahrenden Geländewagen, ihre Absätze schlugen gegen den Asphalt. Einer brach entzwei. Sie ließ sich nach vorne fallen, fiel mit den Ellenbogen auf die Straße, rollte sich ab und kam dann taumelnd wieder auf die Beine. Sie zog sich die Schuhe mit einem Tritt aus und rannte dann in ihren Strumpfhosen weiter.
„Was zum Teufel?!” Der Geheimdienstagent trat auf die Bremse und hielt den Wagen direkt auf der Mitte der Straße an. Er rief nicht, dass sie zurückkommen sollte und er ließe sie ganz sicher nicht so einfach gehen - beides waren Anzeichen dafür, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag.
Fahrer hupten und riefen, als der Agent aus dem Auto sprang, doch zu dem Zeitpunkt hatte sie schon mehr als einen halben Häuserblock Vorsprung, rannte praktisch barfuß, da ihre Strumpfhosen rissen, ignorierte den gelegentlichen Stein, der sich in ihre Fußsohlen bohrte.
Sie bog scharf um die Ecke und flitzte in die erste Öffnung, die sie sah. Es war nicht einmal eine Gasse, sondern eher ein Pfad zwischen zwei Geschäften. Dann bog sie links ab, rannte so schnell sie konnte, blickte hin und wieder über ihre Schulter nach dem Agenten, doch sah ihn nicht.
Als sie an der nächsten Straße herauskam, sah sie ein gelbes Taxi.
Der Fahrer spuckte fast seinen Kaffee aus, er hielt einen Styroporbecher an seine Lippen, als sie sich auf den Rücksitz warf und schrie: „Fahren Sie! Bitte fahren Sie!”
„Verdammt, Lady!” schimpfte er. „Sie haben mich zu Tode erschreckt...”
„Jemand verfolgt mich, bitte fahren Sie”, bettelte sie.
Er legte seine Stirn in Falten. „Wer jagt sie?” Der verärgerte Fahrer blickte sich um. „Ich sehe niemanden -”
„Fahren Sie bitte verdammt noch mal los!” Brüllte sie ihn an.
„Ist ja gut!” Der Fahrer lenkte das Taxi in den Verkehr und löste dabei eine Salve von Gehupe aus, die dem Agenten sicherlich verrieten, wo sie sich aufhielt.
Und so war es auch. Als sie sich auf dem Sitz umdrehte, um aus dem Rückfenster zu schauen, sah sie, wie der Agent um die Ecke rannte. Er verlangsamte sein Tempo und ihre Blicke trafen sich. Eine seiner Hände glitt kurz in seine Jacke, doch er schien es sich nochmal zu überlegen, bei helllichtem Tag eine Waffe zu ziehen und legte stattdessen eine Hand an sein Ohr, um jemanden per Funkgerät zu kontaktieren.
„Biegen Sie hier links ab,” wies Karina den Fahrer an. Danach fuhr er einige Häuserblocks weiter und bog rechts ab, bevor Karina wieder heraussprang, während er ihr wegen der Bezahlung hinterherrief. Sie rannte den Häuserblock entlang und wiederholte das noch drei Mal, sprang in und aus Taxis, bis sie ihren Weg durch Washington DC in einer solchen Schlangenlinie gemacht hatte, dass sie sich sicher war, dass Joe der Geheimdienstagent sie nicht mehr finden könnte.
Sie kam wieder zu Atem und glättete sich das Haar, als sie ihr Tempo zu einem schnellen Gang verlangsamte, ihren Kopf dabei geneigt hielt und versuchte, nicht erschöpft zu wirken. Es war am wahrscheinlichsten, dass der Agent die Nummernschilder des Taxis notiert hatte und der unglückselige (doch irgendwie geistesschwache) Taxifahrer angehalten und durchsucht würde, bevor man einen Hintergrundcheck durchführte, um sicherzustellen, dass er nicht Teil eines vorgeplanten Fluchtkomplotts war.
Karina stahl sich in einen Bücherladen und hoffte, dass niemand bemerkte, dass sie barfuß war. Der Laden war ruhig und die Regale hoch. Sie erreichte schnell den hinteren Teil, ging in ein WC, spritzte sich Wasser in ihr Gesicht und kämpfte darum, nicht in Schluchzen und Tränen auszubrechen.
Ihr Gesicht war vom Schock immer noch leichenblass. Wie schnell doch alles falsch gelaufen war.
„Bozhe moy,” seufzte sie schwer. Mein Gott. Als das Adrenalin nachließ, wurde ihr der ganze Ernst ihrer Lage bewusst. Sie hatte Dinge gehört, die niemals den Keller des Weißen Hauses hätten verlassen sollen. Sie hatte keinen Ausweis. Kein Handy. Kein Geld. Verdammt, sie hatte nicht mal Schuhe. Sie konnte nicht zurück zu ihrem Hotel gehen. Es war sogar gefährlich, nur ihr Gesicht an einem öffentlich Ort zu zeigen, an dem es eine Kamera gab.
Die würden nicht aufhören, sie wegen dessen, was sie wusste, zu jagen.
Doch sie hatte die Perlen in ihren Ohren. Karina berührte abwesend ihr linkes Ohrläppchen, streichelte über den glatten Schmuck dort. Sie hatte die Worte, die bei dem Treffen ausgetauscht wurden, festgehalten - und nicht nur in ihrer Erinnerung. Sie hatte Beweis für das gefährliche Wissen, dass der amerikanische Präsident, angeblich ein liberaler Demokrat, der die Bewunderung des Volkes verdient hatte, von den Russen als Marionette benutzt wurde.
Dort, im Damen-WC eines Bücherladens sah sich Karina im Spiegel an, als sie verzweifelt murmelte: „Ich werde Hilfe brauchen.”
KAPITEL EINS
Null saß auf dem Rand des Doppelbettes und rang nervös die Hände auf dem Schoß. Er hatte das schon einmal erlebt, hatte es tausend Mal in seiner Vorstellung gesehen. Doch hier war er wieder.
Seine zwei jugendlichen Töchter saßen auf dem Bett neben seinem, ein enger Gang zwischen ihnen. Sie waren in einem Zimmer des Plaza, einem gehobenen Hotel ein wenig außerhalb von Washington. Sie hatten sich nach dem Mordversuch an Präsident Pierson dazu entschlossen, dortzubleiben, anstatt nach Hause zurückzukehren.
„Es gibt da was, das ich euch sagen muss.”
Maya war fast siebzehn. Sie hatte das braune Haar und die Gesichtszüge ihres Vaters, doch den scharfen Sinn für Humor und beißenden Sarkasmus ihrer Mutter. Sie sah ihn passiv an, mit einem Hauch von Beklommenheit über eine solch dramatische Andeutung.
„Es fällt mir nicht leicht, es zu erzählen. Doch ihr habt es verdient, Bescheid zu wissen.”
Sara war vierzehn, immer noch mit dem rundlichen Gesicht eines Kindes, am Rand eines widersprüchlichen Alters, in dem sie einerseits noch an der Kindheit hing, doch andererseits schon zur Frau wurde. Sie hatte Kates blondes Haar und ausdrucksstarkes Gesicht geerbt. Sie war ihrer Mutter jeden Tag ähnlicher, doch jetzt sah sie eher nervös aus.
„Es geht um eure Mutter.”
Sie hatten so viel durchgemacht, wurden entführt, wurden Zeugen von Mord und blickten selbst in den Lauf eines Gewehres. Doch sie waren immer stark geblieben. Sie hatten es verdient, Bescheid zu wissen.
Und dann erzählte er es ihnen.
Er hatte es schon so oft in seiner Vorstellung abgespielt, doch es fiel ihm dennoch schwer, die Worte auszusprechen. Sie kamen langsam, wie Baumstämme, die einen Fluss hinuntertreiben. Er dachte, dass es nach dem Beginn einfacher würde, doch das war überhaupt nicht der Fall.
Dort im Plaza Hotel, wo Alan gerade Pizza holen gegangen war und eine Komödie still auf dem Fernseher nur ein paar Meter vor ihnen lief, erklärte Null seinen Töchtern, dass ihre Mutter, Kate Lawson, nicht an einem ischämischen Schlaganfall gestorben war, wie man es berichtet hatte.
Sie wurde vergiftet.
Die CIA hatte sie ermorden lassen.
Wegen ihm. Agent Null. Seiner Handlungen.
Und die Person, die den Auftrag ausgeführt