den Teppich, alles außer ihren Gesichtern. „Er wusste nicht, wer sie war. Man log ihn an. Er wusste es nicht bis später. Bis danach.” Er schweifte aus. Er machte Ausreden für den Mann, der seine Frau getötet hatte, die Mutter seiner Kinder. Den Mann, den Null weggeschickt hatte, anstatt ihn zu töten.
„Wer?” erklang Mayas Stimme rau. Es war ein hartes Flüstern, mehr Klang als Wort.
Agent John Watson. Ein Mann, der das Leben seiner Töchter mehr als einmal gerettet hatte. Ein Mann, den sie kennengelernt hatten, dem sie vertrauten, den sie mochten.
Die Stille der nächsten Momente war erdrückend, wie eine unsichtbare Hand, die sein Herz auspresste. Die Klimaanlage des Hotelzimmers erwachte plötzlich zum Leben, so laut wie ein Flugzeugmotor in dem sonstigen Vakuum.
„Wie lange weißt du das schon?” Mayas Ton war direkt, fast fordernd.
Sei ehrlich. Das war die Haltung, die er seinen Mädchen gegenüber einnehmen wollte. Ehrlichkeit. Egal, wie sehr sie auch schmerzte. Sein Zugeständnis war die letzte Barrikade zwischen ihnen. Er wusste, dass es an der Zeit war, sie niederzureißen.
Er wusste ebenfalls, dass es sie zerbräche.
„Ich weiß seit einer kleinen Weile, dass es kein Unfall war”, sagte er ihr. „Ich musste wissen, wer. Und jetzt weiß ich es.”
Er wagte es, in ihre Gesichter zu blicken. Sara weinte still, Tränen strömten über ihre beiden Wangen, sie gab keinen Ton von sich. Maya starrte auf ausdruckslos auf ihre Hände.
Sein Arm streckte sich nach ihr aus. Es war das Einzige, was gerade Sinn machte. Sich zu berühren, eine Hand zu halten.
Er erinnerte sich genau daran, wie es geschah. Als seine Finger sich um ihre schlossen, zog sie sich gewaltsam zurück. Sie kroch nach hinten, sprang vom Bett. Sara sprang erschreckt auf, als Maya ihm sagte, dass sie ihn hasste. Ihn mit jedem möglichen Schimpfwort schalt. Er saß still da und nahm alles entgegen, weil er es verdient hatte.
Doch nicht dieses Mal. Als seine Finger sich um ihre schlossen, verschwand Mayas Hand unter seiner in einer Nebelschwade.
„Nein...”
Er griff nach ihr, nach einer Schulter oder einem Arm, doch sie verschwand bei seiner Berührung wie Asche in einer Brise. Er drehte sich schnell um und griff nach Sara, doch sie schüttelte nur traurig ihren Kopf, während auch sie vor seinen Augen verschwand.
Und dann war er allein.
*
„Sara!”
Null wachte erschreckt auf und stöhnte sofort. Kopfweh röhrte in seiner Stirn. Es war ein Traum - ein Alptraum. Einen, den er schon tausend Mal zuvor hatte.
Doch es war so geschehen, oder fast so.
Null hatte die Situation gerettet. Den Mordversuch auf den Präsidenten vereitelt. Einen Krieg aufgehalten, bevor er begann. Eine Verschwörung aufgedeckt. Und dann sind er und seine Mädchen zum Plaza gegangen, keiner von ihnen wollte zu ihrem zweistöckigen Haus in Alexandria, Virginia zurück. Zu viel war dort geschehen. Zu viel Tod.
Dort hatte er es ihnen erzählt. Sie verdienten, die Wahrheit zu wissen.
Und dann hatten sie ihn verlassen.
Das war... wie lange war das jetzt her? Fast achtzehn Monate, soweit er sich erinnern konnte. Vor eineinhalb Jahren. Doch der Traum plagte ihn weiter fast jede Nacht. Manchmal lösten die Mädchen sich vor ihm in Luft auf. Manchmal schrien sie ihn an, brüllten weitaus schlimmere Schimpfworte als jene, die sie tatsächlich ausgesprochen hatten. Andere Male gingen sie still und wenn er hinter ihnen her in den Gang rannte, dann waren sie schon verschwunden.
Auch wenn das Ende variierte, so waren die Auswirkungen im wirklichen Leben doch dieselben. Er wachte aus dem Alptraum mit Kopfschmerzen und der düsteren, verzweifelnden Erinnerung auf, dass sie wirklich weg waren.
Null streckte sich und stand vom Sofa auf. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein, doch es war nicht überraschend. Er schlief nachts gar nicht gut, und das nicht nur wegen des Alptraumes über seine Töchter. Vor eineinhalb Jahren hatte er sein Gedächtnis wiedererlangt, all seine Erinnerungen als Agent Null, und damit begannen die qualvollen Alpträume. Erinnerungen drängten sich in sein Unterbewusstsein während er schlief, oder es zumindest versuchte. Widerliche Folterszenen. Bomben, die auf Gebäude geworfen wurden. Der Einschlag von Hohlspitzengeschossen in einen menschlichen Schädel.
Noch schlimmer war, dass er nicht wusste, ob sie echt waren oder nicht. Dr. Guyer, der brillante schweizer Neurologe, der ihm geholfen hatte, sein Gedächtnis wiederzuerlangen, warnte ihn, dass einige Dinge vielleicht nicht real wären, sondern ein Produkt seines limbischen Systems, das Fantasien, Verdachte und Alpträume als Realität darstellte.
Seine eigene Realität fühlte sich kaum wie eine an.
Null schleppte sich für ein Glas Wasser barfüßig und angeschlagen in die Küche, als es an der Tür klingelte. Er erschreckte ein wenig bei dem plötzlichen Riss in der Stille, jeder Muskel spannte sich instinktiv an. Er war immer noch ziemlich schreckhaft, selbst nach so langer Zeit. Er blickte auf die digitale Uhr am Herd. Es war fast halb fünf. Das konnte nur eine Person sein.
Er ging zur Tür und erzwang für seinen alten Freund ein Lächeln. „Gerade rechtzeitig.”
Alan Reidigger grinste, als er ein Sechserpack mit Daumen und Zeigefinger hochhielt. „Für deine wöchentliche Therapiesession.”
Null schnaubte sarkastisch und trat zur Seite. „Komm, wir gehen in den Garten.”
Er führte ihn durch das kleine Haus und durch eine Glasschiebetür auf den Hinterhof. Das Wetter Mitte Oktober war zwar noch nicht kalt, aber frisch genug, um ihn daran zu erinnern, dass er barfuß war. Sie nahmen auf zwei Gartenstühlen Platz, während Alan zwei Dosen herauszog und Null eine davon gab.
Er schaute sich die Etikette an. „Was ist das?”
„Keine Ahnung. Der Typ im Laden schaute sich meinen Bart und mein Flanellhemd an und sagte, dass es mir schmecken würde.” Alan lachte, öffnete die Dose und nahm einen großen Schluck. Er zuckte zusammen. „Das ist... anders. Oder vielleicht werde ich einfach alt.” Er wandte sich ernst an Null. „Also. Wie geht’s dir?”
Wie geht’s dir. Das schien plötzlich wie eine sehr seltsame Frage. Wenn jemand anders als Alan sie gestellt hätte, dann sähe er sie als Förmlichkeit an und beantwortete sie mit einem einfachen und schnellen „Gut und dir?” Doch er wusste, dass Alan es wirklich wissen wollte.
Dennoch wusste er nicht, wie er sie beantworten sollte. So viel hatte sich in achtzehn Monaten verändert. Nicht nur in Nulls persönlichem Leben, sondern auch auf einer Makroebene. Die Vereinigten Staaten hatten einen Krieg mit dem Iran und seinen Nachbarn vermieden, doch die Spannungen waren weiterhin hoch. Die amerikanische Regierung hatte sich anscheinend von der Infiltration durch Verschwörer und russischem Einfluss erholt, doch nur durch eine gründliche Säuberung. Präsident Eli Pierson war nach dem Mordversuch weitere sieben Monate auf seinem Posten geblieben, wurde aber schließlich bei den nächsten Wahlen von dem demokratischen Kandidaten geschlagen. Es war ein einfacher Sieg, nachdem sich gezeigt hatte, dass Piersons Kabinett ein wahrhaftiges Schlangennest war.
Doch Null war das ziemlich egal. Er war darin nicht mehr verwickelt. Er hatte nicht einmal eine Meinung über den neuen Präsidenten. Er wusste kaum, was in der Welt vor sich ging, er vermied die Nachrichten, soweit er konnte. Er war jetzt nur noch ein Bürger. Was immer hinter den Kulissen vor sich ging, tat es, ohne seinen Einfluss.
„Es geht.”
Er stockte.
„Echt. Mir geht’s gut.”
Alan nahm noch einen Schluck, zweifelte offensichtlich, doch erwähnte es nicht. „Und Maria?”
Ein dünnes Lächeln breitete sich auf Nulls Lippen aus. „Ihr geht es