Erziehung, zu ihrem bis dato fast überbetonten, anständigen Verhalten.
Auch jetzt noch meinte sie, die Wärme der Pisse zu spüren, die im Waldboden versickerte. Sie durfte kein Papiertuch benutzen, hatte sich mit der bloßen Hand zu säubern. Etwas lief auch über ihre Beine. Beim Weiterlaufen hatte sie den Wind auf ihrer leicht nassen Haut gespürt. Ihr Kleid hatte doch einige feuchte Flecken abbekommen. In ihren Augen sahen die vorbeilaufenden Spaziergänger, was sie getrieben hatte. Waren deren Blicke nicht eindeutig?
Ihr erster Arschfick kam ihr in den Sinn. Er hatte es einfach durchgezogen, auch als sie verkrampfte, es etwas schmerzte und sie es abbrechen wollte. Es wurde ein berauschendes, befreiendes Erlebnis. Schließlich hatte er seine Drei-Loch-Ficksau, wie er sie mit dem ihm eigenen Stolz von diesem Tag an ab und zu nannte.
Elena spürte, wie ihr Atem jetzt und hier schneller ging. Es war damals eine aufwühlende, geile Zeit mit vielen verrückten Momenten gewesen. Auch aus heutiger Sicht … Missen wollte sie die Monate mit Roman nicht. Am liebsten wäre ihr, der Dreckskerl käme jetzt zur Tür herein und sie würden es miteinander treiben. Nur für eine Stunde. Und wie er es ihr besorgen würde! Aber er war eben auch ein Saukerl. Er hatte nebenbei, wie selbstverständlich, zeitgleich noch weitere Kontakte zu anderen Mädels gehabt. Elena hatte es zwar vermutet, war aber zuversichtlich, dass sich das bei weiterem Kennenlernen erledigen würde.
Als sie ihn eines Tages direkt darauf ansprach, gab er ihr ohne Umschweife offen zu verstehen, dass er sich schließlich noch umsehen müsse. Andere Mütter hätten auch hübsche Töchter … Diesen saublöden, abgedroschenen und albernen Spruch hätte er sich sparen können. Eine andere Erklärung hätte sie vielleicht akzeptiert. Aber diese, seine Erklärung war einfach nur bescheuert. Sie war zwar leidensfähig, aber alles hatte seine Grenzen. So nicht! Zwei Minuten später hatte sie die Tür hinter sich zugeknallt. Das war es dann. Aus! Vorbei!
Jetzt war alles anders. Alex und sie hatten sich anfänglich heftig ineinander verliebt. Heute, nach etwa einem Jahr, trat bei Elena allerdings eine große Nüchternheit ein. War Alex der richtige Partner für ihr weiteres Leben? Wenn sie ehrlich mit sich war, passte ihr Einiges nicht. Hier funktionierte ihr Bauchgefühl. Er war ihr zu brav, zu konservativ, zu unspontan und stark von seinem Vater geprägt. Er sollte und wollte in erster Linie Karriere machen. Immer mehr zweifelte sie, ob er für ihr künftiges Leben der Richtige war. Für viele wäre er sicherlich der liebenswerte, auch finanziell erfolgreiche, gut aussehende Traummann. Ihr fehlte einfach ein Schuss Frechheit, Spontaneität und Lockerheit. Elena wurde immer mehr bewusst, in diesem Punkt war sie anders gestrickt. Sie hatte eine andere Lebensphilosophie. Noch war Zeit, sich auszutoben, das Leben locker angehen zu lassen. Eines wurde ihr immer mehr bewusst: Sie musste und würde ihren eigenen Weg gehen. Darin war sie sich absolut sicher! In diesem Punkt funktionierten ihr Bauchgefühl und ihre weibliche Intuition. In diesem Punkt war sie mit sich im Reinen.
Elena brauchte jetzt dringend die Meinung ihrer Freundin Selina. Schnell war die WhatsApp geschrieben. Die Antwort kam prompt. Sie sagte zu, später vorbeizukommen.
Ihre Freundin Selina arbeitete in einem großen Fitnessstudio hier in der Stadt. Dort hatte Elena sie vor Jahren kennengelernt. Der Job war ihrer Freundin auf den Leib geschnitten. Durch intensive Weiterbildung nahm Selina heute eine führende Position in dem Studio ein. Elena sah in ihr eine lockere, umtriebige und lebenslustige junge Frau im gleichen Alter. Man sah ihr ihre Sportlichkeit an. Ihre perfekte weibliche Figur, ihre langen, blonden Haare … Sie war schon eine hochattraktive, mehr als begehrenswerte Frau für die Männer da draußen, wie es ihr Elena schon des Öfteren gesagt hatte. Selinas Lachen, ihr freches Denken, ihre unbändige Neugierde auf das Leben, hatten Elena schon immer fasziniert. Selina lebte nach vorn. Fehler, die sie in der Vergangenheit gemacht hatte, tat sie mit einem Lachen ab. Für diese Einstellung bewunderte Elena ihre Freundin. Auch ihre nicht immer nur guten Erfahrungen mit Männern hatten Selina nicht aus der Bahn geworfen. Im Gegenteil. Sie amüsierte sich darüber, wie naiv und mitunter tollpatschig sie sich verhalten hatte. Solche selbstlosen Eingeständnisse machten sie für Elena ungemein sympathisch.
»Alles Schnee von gestern«, war eine ihrer Lieblingsantworten. Selina lebte heute, hier und jetzt. Auch sexuell war sie umtriebig und ungemein neugierig. Offen redete sie vertraut über ihre Abenteuer, über ihre sexuellen Neigungen. Keine andere von Elenas Freundinnen kam so aus sich heraus und war so selbstkritisch ehrlich mit sich selbst. Auch darum war ihr Selina ans Herz gewachsen.
Ein Prickeln ging durch Elenas Körper, als ihr Selina vor Wochen von ihrer Veranlagung nach härterem Sex berichtet hatte. Ihr derzeit aktueller Freund hatte sie sexuell ins Traumland gebracht … hinter den Horizont … – wie ihr Selina mit ihrem herzerfrischenden Lachen erzählt hatte. Er hatte all ihre Sinne, ihre Fantasien und Sehnsüchte auf eine neue Ebene gebracht und das, obwohl sie ihn erst seit drei Monaten kannte.
Elena zog beide Hände hinter dem Kopf hervor und strich sich mehrfach über die Stirn. Mit Alex war das anders. In Gedanken versunken, schloss Elena ihre Augen und legte sich auf die Seite. Alle Gedanken lösten sich und sie schlummerte ein.
***
Nach ihrer Mittagsschicht im Studio machte sich Selina auf den Weg zu Elena. Kaffeegeruch empfing sie. Nach einigen Minuten waren beide beim Thema und sprachen über ihre derzeitigen Beziehungen.
»Zumindest sexuell passt es«, kam es mit einem Seufzer von Selina, »aber wir sehen uns einfach zu selten. Das ist der Fluch von solchen Internet-Bekanntschaften. Die Distanz macht es zu einer Tagesbeziehung und ich frage mich natürlich, wie lange das gut geht. Will ich das? Meine Sehnsucht nach Zweisamkeit wird größer. Sex allein ist es eben auch nicht. Obwohl …« Verschmitzt lachte sie Elena an. »Ich muss dir etwas ganz offen sagen. Ich liebe es, sexuell einiges auszutesten, auch, um mich selbst zu finden. Es ist geil, wenn ich mich losgelassen von meiner eigenen Kontrolle hingeben kann. Seit ich Dominik kenne, verstehe ich das Spiel zwischen devot und Dominanz. Ich verstehe, was man unter SM versteht. Mal schauen, wie sich das alles weiterentwickelt. In vielen Bereichen liegen wir auf einer Ebene. Wenn da eben nicht die Distanz wäre. Spannende, aufwühlende Zeiten! Aber das liebe ich ja!«
Selina trank einen Schluck Kaffee, nahm den Süßstoff in die Hand und klickte zwei weitere Stückchen davon in ihre Tasse.
Dann begann Elena, über ihr Verhältnis mit Alex zu sprechen: »Du kannst dir ja denken, was mich zurzeit bedrückt, und ich brauche einfach deine Meinung dazu. Du kennst Alex. Er ist ein sehr nüchterner Mensch. Sein Weg ist vorgezeichnet. Leider scheint auch Leidenschaft ein Fremdwort für ihn zu sein. Unser Sex ist gut, aber damit hat es sich auch. Gut reicht mir auf die Dauer nicht.« Sie sah Selina fast unmerklich nicken. »Vor Wochen habe ich mit ihm darüber gesprochen. Natürlich war er etwas zerknirscht und er hatte mich anscheinend auch verstanden, aber geändert hat sich nichts. Das ist nicht abwertend gemeint, versteh es bitte nicht falsch. Es gehören immer zwei dazu. Es liegt sicherlich auch an mir. Aber es gelingt mir nicht, ihn aus der Reserve zu locken. So ab und zu möchte ich schon mal härter rangenommen werden und bewusst spüren, wie geil er auf mich ist. Je länger wir zusammen sind, desto mehr vermisse ich das gewisse Etwas. Immer nur liebenswürdig, achtsam und rücksichtsvoll kann es auch nicht sein. Um eins klarzustellen: Was viele sich in einer Beziehung wünschen und erträumen, bekomme ich im Überfluss. Bin ich noch normal, wenn ich mich darüber beklage? Alles wirkt glattgebügelt und läuft in geordneten Bahnen.« Elena stand auf und schloss das Fenster. Dann fuhr sie fort: »Ich aber möchte Leben erleben, vieles ausloten, auch mal über die Stränge schlagen und etwas Unvernünftiges tun. In manchen Momenten fühle ich einen Kloß in meinem Hals. Alles ist eingeengt. Es tut mir weh, wenn ich mir das eingestehen muss, aber das ist nun mal die Wahrheit.«
Elena hatte ihren Kopf gesenkt, schaute leicht verlegen auf ihre Fingernägel. Sie fühlte sich nicht wohl, so über Alex zu urteilen, auch wenn sie hier unter sich waren.
Aufmerksam hatte ihr Selina zugehört und übernahm jetzt das Wort. »Einerseits passt Alex zu dir, da er ein liebenswerter, zuverlässiger Freund und Partner sein kann. Früher hätte man gesagt: Er ist eine gute Partie. Wahrscheinlich sogar eine sehr gute. Aber ganz ehrlich … Ich sehe dich nicht als angepasste Ehefrau, die mit ihm durchs Leben geht. Das bist du einfach nicht, dazu bist du viel zu lebenslustig, viel zu neugierig und weltoffen,