an. »Du bist meine beste Freundin, und wir haben uns geschworen, ehrlich zueinander zu sein. Es ist mein Blick von außen auf euch. Natürlich kann ich mich irren, denn irren ist bekanntlich menschlich. Nur, es wirkt einfach so auf mich. Im Prinzip hast du alles eben gerade bestätigt.«
Elena nickte ihr zu. Sie war ihr dankbar für ihre klare Ansage, denn Selina hatte ja recht. Sie würde sich entscheiden müssen. Hatte sie das aber nicht schon längst getan? Hatte sie sich nicht die letzten Wochen immer mehr in ihr Schneckenhaus zurückgezogen?
Elena stand auf und holte eine Flasche Prosecco aus dem Kühlschrank. »Das brauch ich jetzt!«, kommentierte sie. »Danke, du hast mir gerade sehr geholfen. Auf uns beide!«
Umgehend musste sie nachschenken, was beide amüsiert registrierten.
Plötzlich knallte Selina ihre offene Handfläche auf den Tisch. »Komm, lass mich mal machen! Trübsal blasen sollen andere! Apropos blasen!« Selina kicherte jetzt lauthals los. »Endlich sind wir beim Thema. Bringst du mir bitte deinen Laptop! Du vermisst doch Spontaneität! Die kannst du haben. Komm, jetzt lassen wir die Sau raus!«
Dann ging alles sehr schnell. Elenas Laptop wurde geöffnet und Sekunden später klickte Selina ein Portal an.
»Mach jetzt einfach mit. Wir melden dich an. Der erste Monat ist kostenlos. Mein jetziger Typ hat mich in diesem Portal angeschrieben, wie ich dir ja schon vor Wochen erzählt habe. Auch wenn er nicht gerade um die Ecke wohnt, ich bin ungemein froh, ihn getroffen zu haben. Er hat schon jetzt mein Leben bereichert, und wann kann man das schon von einem der Männer dieser Welt behaupten.«
Elena blickte auf den Monitor und sah, wie Selina auf »Anmelden« tippte.
»Aber jetzt Konzentration für deinen Auftritt hier. Du bist mit einem Pseudonym unterwegs, bist also in dem Portal vollkommen anonym, aber das alles ist für dich ja nichts Neues. Deine Daten und Neigungen geben wir real an. Fakes können die anderen. Dann warte einfach ab, was passiert. Es ist schon ein gewisser Kitzel, darauf zu warten, ob man eine neue Zuschrift bekommt. Du hast mir ja gesagt, dass Alex dir sexuell zu zaghaft, zu liebevoll ist. Also, dann sind wir hier richtig. Stell einfach alles auf Neubeginn. Mach es einfach!«
Selina schaute ihre Freundin mit aufforderndem Blick an.
Die zauderte, war auch etwas irritiert. Erst nach nochmaliger Aufforderung seitens Selinas gab sie dann doch nach und machte das Spiel mit. »Na gut. Warum nicht! Gelöscht ist das Profil ja schnell«, sprach Elena etwas kleinlaut und unsicher in Richtung ihrer Freundin. Allein hätte sie diesen Schritt nicht unternommen. Zuviel ging gerade durch ihren Kopf.
Selina machte es sichtlich Spaß, Elena bei der Erstellung ihres Profils zu helfen. Immer wieder lachten die beiden lauthals los.
»Komm! Schreib das so!«
Verschmitzt schauten sie sich in die Augen. Auch Elena war jetzt voll bei der Sache und amüsierte sich über jede neue Angabe, die sie eintippten.
»Jetzt noch ein Foto!«, kam es auffordernd von Selina.
Elena schaute ihre Freundin entgeistert an. »Bist du verrückt! Nie im Leben!«
Minuten später hatten sie mit dem Handy ein aktuelles Foto von Elena gemacht. Es zeigte Elenas Haarpracht, ihren Hinterkopf. Erkennbar war sie so nicht.
»Etwas geheimnisvoll kommt immer gut an. So mancher würde dich bestimmt gern von vorn sehen. Das heizt alle Fantasien an. So … und jetzt ab damit!«
Selina streckte Elena die Faust entgegen, die ihre dagegenhielt. Nochmals füllte sie die beiden Gläser.
»Auf viele hocherotische, interessante Anschreiben. Auf die guten tollen Männer! Aber in erster Linie auf uns!«, kam es aufgedreht von Selina. »Das wäre doch gelacht!«
***
Wie erwartet erhielt Elena in den folgenden Tagen eindeutige Angebote und Annoncen auf ihrem Profil. Sie musste zugeben, es hatte was, wenn sie abends neugierig ihre neuen Anschreiben durchsah. Täglich musste sie Selina berichten, die neugieriger schien, als die Adressantin selbst. Kopfschüttelnd löschte Elena einige sofort. Spinner und Idioten gab es überall. Sie war nicht überrascht, damit hatte sie gerechnet und auch Selina hatte sie vorgewarnt. Einfach löschen und abhaken.
***
Einige Tage später lag ein nicht erwartetes Anschreiben in ihrem Postfach. Was für ein verrücktes, ungewöhnliches Angebot! Ganz anders, als alle anderen Anschreiben. Nochmals las Elena Teile des Textes durch. Skeptisch wog sie jedes Wort ab.
»Wir bieten Ihnen ein Abenteuer der besonderen Art. Besuchen Sie uns zu einem unverbindlichen Gespräch. Alle anfallenden Unkosten übernehmen selbstverständlich wir. Mein Mann und ich versprechen Ihnen absolute Seriosität und Diskretion. Finanziell werden wir uns bestimmt einig. Wir würden uns über ein unverbindliches Treffen aufrichtig freuen!«
Diese beiden Worte »unverbindliches Treffen« machten das Angebot für Elena erst interessant. Wäre es ein reines Blind-Date-Angebot, hätte sie die Annonce sofort gelöscht. Man redete sie aber auch per Sie an. Ungewöhnlich in einem solchen Forum. Da war doch vieles, das sie erstaunte. Auch, über was man sich finanziell einigen wollte …
Mit offenem Mund hatte sie den Text wiederholt durchgelesen. Das war kein Allerweltsangebot. Bei aller Vorsicht und Skepsis … dieses Anschreiben wirkte seriös und korrekt.
Elena ließ sich in ihre Sitzecke fallen, zog die Beine an und legte ihre Hände unter ihren Kopf. Sie wollte noch mehr bei sich sein, mehr in sich hineinhören und schloss dazu ihre Augen.
Wie bewertete das ihr Bauchgefühl, ihre weibliche Intuition? Wie wichtig waren ihr Werte wie Moral und Anstand? Sie war in einem SM-Portal, hatte sich hier angeboten. Elena war bewusst, dass es von Fakes in solchen Portalen nur so wimmelte. Vor einiger Zeit hatte sie einen Fernsehbericht über solche Single-Portale gesehen. Der Tenor war eindeutig. Bei den Angaben über die eigene Person wurde viel beschönigt, das fing schon bei der Altersangabe an. Trotzdem. Ihre Intuition, ihr Bauchgefühl, nahm dieses Anschreiben ernst. Auch jetzt, hier liegend, spürte Elena, wie ihre Körpertemperatur leicht anstieg. Typisch für sie. Sie presste ihre Lippen zusammen und sinnierte weiter vor sich hin.
Sollte sie das überhaupt ernst nehmen? Sollte sie sich wirklich ernsthafte Gedanken über dieses Anschreiben machen? War das nicht nur eine Träumerei, eine Spinnerei von ihr?
Ihre Zerrissenheit tat ihr nicht gut. Sie öffnete ihre Augen und klatschte ihre Hand mit voller Wucht auf das Kissen neben sich. Hatte sie nicht schon genug Entscheidungen zu treffen?
»Mann, was ist nur mit mir los?«, brach es aus ihr heraus.
Nochmals schlug sie auf das unschuldige Kissen. Sie erinnerte sich, wie sie damals nach ihrem Abschluss das Uni-Gebäude verlassen hatte, wie sie befreit tief durchgeatmet hatte. Sie hatte es geschafft. Was für ein Moment von Freiheit in ihrem bisherigen Leben. Natürlich war ihr schon bewusst, dass der Ernst des Lebens sie bald wieder einholen würde, aber musste das so schnell sein?
Als sie Selina auf WhatsApp über das Anschreiben informierte, kam die Antwort prompt: »Ich komme später bei dir vorbei. Nach der Arbeit gehe ich noch einkaufen. Bis gleich!«
***
Elena schaute ihre Freundin mit einem fragenden Blick an. Sie trank einen Schluck Cola und entnahm der Tüte eine Handvoll Paprika Chips. Schließlich sagte sie: »Was meinst du? Das hört sich doch alles vernünftig und seriös an, oder? Anscheinend handelt es sich um ein gut situiertes Ehepaar, das eine gewisse sexuelle Neigung hat. Sie suchen eine junge Frau, die noch nicht viele Erfahrungen in diesem Bereich besitzt. Das konnten sie aus meinem Profil ersehen. Ich hatte ja ›Neuling mit wenig realer SM-Erfahrung‹ angegeben. Sie wollen und suchen anscheinend eine Anfängerin und das nicht nur für ein kurzes Abenteuer. Ist doch alles ganz schön verrückt!«
Als Selina den Text zu Ende gelesen hatte, war diese sofort Feuer und Flamme. »Eine Auszeit für sechs Monate. Mann, was ist das denn für ein Angebot! Geiler geht’s ja nicht! Wenn du das nicht annimmst, packe ich sofort meinen Koffer und ab geht’s!«
Beide