Trennung hatte ich lange Zeit keine sexuellen Bedürfnisse. Ich freundete mich mit der neuen Lebenssituation an, genoss es, meine Freizeit nach Lust und Laune zu gestalten. Es war ein neues Leben, unabhängig und frei. Jessica, meine Freundin, lebte seit Jahren in einer offenen Beziehung. Ihr gutdotierter Job ließ ihr alle Freiheiten. Heiraten kam für sie nicht in Frage. Sie hatte eine andere Art der Lebensgestaltung, lebte unter anderem auch ihre Sexualität aus. Jessi redete offen über das Thema mit mir, nannte mir ein paar Partnerbörsen, die ich mir mal anschauen sollte. Sie meinte, dass die Zeit reif sei und ich mich ja ohne Verpflichtung umsehen könnte. Nach vielen Monaten des Single-Daseins, spürte ich eine Veränderung in mir. Vor dem Einschlafen dachte ich doch häufiger an Sex, befriedigte mich wieder öfters selbst. Zunächst ging ich aber in eine normale Single-Partnerbörse, wollte mich einfach mal umsehen. Die Ernüchterung war jedoch groß. Trotz der Masse des Angebotes, entsprachen nur wenige meiner Vorstellung. Die Daten und das Foto eines Mannes gefielen mir. Vierzehn Tage später kam es zum ersten Treffen. Nach dem Besuch eines Cafés folgte ein Stadtbummel. Wir kamen uns näher. Ständig erhielt ich Komplimente, die mir zunächst schmeichelten und ausgesprochen guttaten. Liebesbezeugungen per SMS trafen mehrmals täglich ein, fast pausenlos bezeugte er mir seine Liebe. Abends wurde zusätzlich telefoniert. Das Ganze war mir dann doch etwas zu viel ... Ein ›Ich liebe dich‹ mit mehreren Herzchen, alle drei Stunden ... Er war ein liebevoller und zärtlicher Mann. So war auch der Sex zwischen uns. Es war normaler Sex, etwas zu kontrolliert, etwas zu behutsam. Anfänglich war das für mich so in Ordnung, aber ich spürte schon bald, dass etwas fehlte. Das männliche Element kam zu kurz. Als ich es ihm bei einem Kaffee sagte, fiel er aus allen Wolken. Aber auch nach mehreren Gesprächen ergab sich keine Veränderung. Ich beendete die Beziehung. In diesen Stunden wurde mir bewusst, dass ICH mich verändert hatte. ICH wollte einen neuen, anderen Weg gehen.«
»Wir gleich am Ziel. Erzähl mir nachher, wie es zu dieser Veränderung kam. Ich hatte schon unzählige Gespräche über dieses Thema. Dieses plötzliche ›Aufwachen‹ fasziniert mich immer wieder. Viele empfinden das so, aber dann den Mut zu haben, es auch umzusetzen, den sicheren, eingetretenen Pfad zu verlassen, das erfordert meinen tiefen Respekt. Ich bin sehr neugierig auf deine Version.«
Mojito
Sie betraten sein Haus am Rande des Waldes. Vanessa staunte nicht schlecht. Es war ein rustikales, auf einer Holzkonstruktion aufgebautes, relativ großes Landhaus, direkt am Waldrand. Im Mittelpunkt stand ein großer Kamin mit einer offenen Feuerstelle. Über dem wuchtigen, rustikalen Holztisch hing ein schwerer, schmiedeeiserner Kronleuchter. In der Ecke stand ein betagtes Klavier. Ein Wandteppich zeigte Jagdmotive.
Vanessa fand es etwas kitschig, altbacken, aber hier in diese ländliche Schwarzwaldidylle passte es.
»Schön gemütlich. Hier kann man sich wohlfühlen«, sagte sie.
»Danke, ich habe das so übernommen. Naja, Teile der Einrichtung sind natürlich Geschmackssache, inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Ich kümmere mich um das Feuer, dann ist es hier gleich mollig warm. Kannst du bitte die Sachen im Kühlschrank verstauen.« Er gab ihr einen Rucksack voller Lebensmittel.
Nachdem sie alles verstaut hatte, schaute sie ihm beim Feuermachen zu. Es kribbelte in ihr. Sie hatte Glück, wie es schien – und das gleich bei ihrem ersten SM-Date. Alles fühlte sich gut an.
Jessi hatte also doch recht gehabt.
Alexander stapelte mehrere Holzscheite übereinander. Bald schon erwärmte das knisternde Feuer den Raum.
Beide saßen sich gegenüber und unterhielten sich weiter.
Vanessa erzählte ihm, dass sie beruflich Lektorin in einem großen bekannten Verlagshaus sei.
Alexander war sehr angetan, wollte Genaueres über ihren interessanten Job wissen.
Nach ihrem Germanistikstudium hatte sie zunächst in kleineren Verlagen gejobbt. Seit einigen Jahren arbeitete sie nun für diese Top-Adresse im Verlagswesen, war auf ihrer Karriereleiter oben angekommen. Heute suchte sie nach Autoren und Manuskripten, die zur Philosophie und dem Programm des Verlagshauses passten, erstellte Zeitpläne, kalkulierte die Kosten, begleitete die Buchprojekte.
Alexander war Mitinhaber einer Software-Firma und in ganz Europa unterwegs, um vor Ort Kunden zu besuchen. »Wir sind bekannt für die Entwicklung von individuellen branchenspezifischen Anwendungsprogrammen. Auch das Thema Datensicherheit ist brisanter denn je, erweitert zurzeit unseren Kundenkreis um ein neues Klientel.«
Gesprächsthemen hatten beide genug. Es wurde ein lockerer Austausch von Informationen auf Augenhöhe.
»Jetzt bist du hier. Wie kam es dazu?«, wollte Alexander wissen.
»Meine Freundin Jessica empfahl mir bestimmte Erotik-Portale. Ich nahm allen Mut zusammen und meldete mich als ›Neuling mit wenig Erfahrung‹ an. Manche Anschreiben waren ganz ansprechend. Leider war die Mehrzahl einfach nur nervig, und wie ich oft dachte, einfach nur bescheuert. Es gab keine Schamgrenze. Hauptsache frech, deutlich und direkt. Ich war nahe dran, mein Profil zu löschen. Ohne mehrfaches, anständiges Schreiben ging bei mir nichts. Du hast mich höflich und humorvoll angeschrieben. Diese lockere, unverbindliche Art gefiel mir. Ich spürte ein Kribbeln, wenn ich deine Texte las. Ich besprach mich mit Jessica. Auch sie fand dein Profil und deine Schreibweise ansprechend. Immer wieder staunte ich über mich selbst, wie ich mich verändert hatte. Zum ersten Mal würde ich freiwillig die Kontrolle abgeben, mich einem Fremden unterordnen, ein nicht kontrollierbares Risiko eingehen, was bisher nun absolut nicht meinem Naturell entsprach.«
Alexander hob die Hand, unterbrach sie. »Wie unhöflich von mir, ich lass uns hier auf dem Trockenen sitzen. Lust auf einen Cocktail? Kennst du Mojito?«
»Mojito ist doch mit weißem Rum und Rohrzucker, oder? Ja, ich liebe den minzigen, süßlichen Geschmack.«
»Schön, dann mixe ich uns einen.«
Sie atmete tief durch, entspannte sich, erfreute sich an dem knisternden, wärmenden Kaminfeuer. Wie unkompliziert hier alles ablief. Was hatte sie sich im Vorfeld für Gedanken gemacht ... Sie beobachtete ihn beim Mixen des Cocktails und die Anspannung fiel immer mehr von ihr ab. Sie musste sich eingestehen, da war schon vom ersten Moment an Sympathie mit im Spiel.
»Stoßen wir auf uns und die kommende Tage an«, sagte Alexander.
Es war das Letzte, an das sich Vanessa erinnern sollte ...
***
Sie erwachte mit starken Kopfschmerzen, rieb sich die Augen, blickte sich irritiert um. Durch das etwas abgedunkelte Dachfenster kam ein wenig Helligkeit. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das diffuse Licht.
Sie war im ausgebauten Dachgeschoss eines Hauses. Außer einem Tisch und ein paar übereinandergestapelten Stühlen war es unmöbliert. Mehrere wuchtige Holzbalken durchzogen die schrägen Wände.
Jetzt erst spürte sie ein Ziehen an ihrem Knöchel. Ein Bein war an einem Balken angekettet. Ein Metallreif mit einem Schloss um ihren Fußknöchel hinderte sie am Weggehen.
Sie lag auf zwei übereinandergelegten Matratzen auf dem Boden, konnte sich nicht erinnern, wann oder wie sie in diesen Raum gekommen war. Vergebens versuchte sie, sich an die zurückliegenden Stunden zu erinnern. Der Grund ihres Hierseins war klar: Das musste zum Spiel gehören.
Sein Text »Ich kann mit dir machen, was ich will« kam ihr in den Sinn. Alexander ließ sie seine Dominanz spüren, eine andere Erklärung fand sie nicht. Wie in einem von ihr gesehenen Video, war sie seine Gefangene.
»Warum aber diese Kopfschmerzen?«, murmelte sie vor sich hin. Mit sich selbst redete sie nur, wenn sie nervös war.
Ihre Kleidung bestand aus einem sehr kurzen Rock und einer weißen Bluse – kein BH, kein Slip.
Wer hatte sie ausgezogen und dann wieder so angezogen? Was sollte das alles? In ihrem Kopf pochte es heftig. Krampfhaft versuchte sie, sich zu konzentrieren. Seit dem Cocktail konnte sie sich an nichts mehr erinnern.
»Der Mojito!«, kam es ihr laut über die Lippen.
Sie