Sharon York

Die HexenLust Trilogie | Band 3 | Erotischer Roman


Скачать книгу

      Früher hielt ich die Geschichten für Märchen, die man den jungen Hexen erzählte, damit sie keine Dummheiten machten und ihnen gleichzeitig Hoffnung gaben. Jeder kannte die Story.

      Alle hundert Jahre darf der Teufel für eine Nacht auf Erden wandeln und ohne seine Kräfte versuchen, eine menschliche Frau zu verführen. Viermal hatte es geklappt. Dafür wird in derselben Zeitspanne eine absolute Hexe geboren – eine Hexe sechsten Grades. Walpurga war so eine. Doch danach wurde nie wieder eine gesehen. Die Meinung meiner Ziehmutter und Chefin des Zirkels-Ost, Marie de la Crox, war, dass die meisten nie gefunden würden. Denn es war eine Sache, dass die Hexen tatsächlich geboren wurden, und eine andere – weitaus schwierigere –, sie auch zu finden und für den Zirkel auszubilden. Immerhin waren wir ein Geheimbund, von dem nicht einmal die Regierung wusste. Sozusagen eine Schattenarmee, die in allen Ländern der Welt existierte und trotzdem ungesehen von den Menschen agierte. Hexen waren auf dieser Welt rar gesät. Wir hatten keine Webseite, auf der man sich einfach so bewerben konnte, sondern suchten uns unsere Mitarbeiter selbst aus. Es gab eine ganze Abteilung im Zirkel, die sich nur mit Nachwuchsgewinnung beschäftigte. Sobald in irgendeinem Käseblatt oder in einer Schulakte ein interessanter Bericht über ein junges Mädchen auftauchte, dass angeblich ihren Bleistift zum Schweben brachte oder einen Mitschüler, ohne ihn zu berühren, durch das Fenster schleuderte, schickten wir ein Team raus, um es zu überprüfen. Am achtzehnten Geburtstag hatte man die Wahl: ein normales Leben führen oder die Berufung als Hexe. Unterschrieben wurde dieses Abkommen mit Blut.

      Nachdenklich fuhr ich mir über den rechten Zeigefinger und erinnerte mich daran, wie es bei mir gewesen war. Keine große Zeremonie, nur de la Crox und wir Mädchen in ihrem Büro. Es folgte eine Ansprache, Küsse auf die Wangen und der stolze Blick meiner Ziehmutter. Zumindest waren die Cocktails an der Bar an diesem Abend auf die Kosten des Zirkels gegangen. Ein starker Jahrgang, wie de la Crox mir später gestand. Doch eine absolute Hexe war nicht dabei gewesen. Wie in den letzten Jahrhunderten auch nicht.

      Mittlerweile fragte ich mich, ob die Geschichten stimmten oder ob sie nur dafür da waren, um uns Hexen Mut zu machen und weiterhin gegen die Übermacht aus Vampiren, Dämonen und Formwandlern anzukämpfen. Immerhin setzen wir Nacht für Nacht unser Leben aufs Spiel, damit die Menschen ihre Existenz in süßer Ungewissheit weiterleben konnten.

      Das war angeblich Teil des Paktes zwischen dem Teufel und Gott. Wenn es nach mir ginge, wurde es so langsam Zeit, dass der da oben seinen Teil der Abmachung einhielt und uns eine Hexe sechsten Grades sandte.

      Die andere Person, die ich um diesen unerhörten Gefallen gebeten hatte, war jemand ganz besonderes. Und das selbst für magische Maßstäbe. Er war ein überaus charmanter und gutaussehender Spiegeldämon, der mich seit meinem ersten Auftrag fasziniert hatte. Doch seitdem Ira und ich vor einiger Zeit auf gemeinste Weise Informationen aus ihm herauskitzeln mussten, hatte er sich merklich aus dem Geschäft zurückgezogen. Und das, obwohl er mich in die Welt der Dämonen und Halbwesen eingeführt hatte.

      Bashir.

      Endlich entdeckte ich den kleinen Antiquitätenhändler im Erdgeschoss der Nummer 500 in der 5th Avenue. Zwischen all den Hochglanzgeschäften wirkte er hier fehl am Platz. Besonders, weil die Fassade urig wirkte, fast alt, als hätte man den Laden aus dem 19. Jahrhundert herausgerissen und hier aufgestellt.

      Mein Mundwinkel zog sich amüsiert nach oben, als ich bemerkte, dass ich damit wahrscheinlich gar nicht so falsch lag. Ich sollte wissen, dass die bemalten Teller, die verschnörkelten Tassen und die antiken Bücher nicht wirklich das Tagesgeschäft ausmachten. Kein Name prangte über dem Geschäft, vor dem mein Taxi hielt, jedoch brannte innen noch Licht und ich trat ohne zu klopfen einfach ein. Eine Klingel kündete von meinem Erscheinen.

      »Einen Moment«, ertönte eine sanfte Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes. Er war wahrscheinlich wieder in einem seiner dicken Wälzer versunken, übersetzte gerade etwas auf Altaramäisch oder wickelte seine Geschäfte ab, dachte ich und lenkte meinen Blick auf die Nachbildung eines Dolches. Wie früher. Auf einem kleinen Schild unter der Waffe stand in alter Schrift: Saladin, der siegreiche Herrscher.

      Ich ging in die Knie, um die Klinge genauer unter die Lupe zu nehmen, und in diesem Moment wurde mir klar, dass dieser Dolch tatsächlich dem großen Feldherren gehört haben musste. Zuzutrauen wäre es Bashir. Immerhin war es nicht das erste unbezahlbare Artefakt, welches über Umwege den Weg in seinen Laden geschafft hatte und wofür er astronomische Summen verlangen konnte. Diese verstaubte Waffe lag also immer noch hier. Schon bei meinen letzten Besuchen war sie mir aufgefallen. Sie schien ein Ladenhüter zu sein.

      »Guten Abend, Isabelle.«

      Tatsächlich. Er erschien mit einem dicken Buch im Arm.

      »Hallo Bashir«, sagte ich und strich mit dem Finger über eine uralte Porzellanspieluhr.

      »Ich hatte damit gerechnet, dass du mir heute Abend noch einen Besuch abstatten wirst.«

      Vielleicht war das eine der Eigenschaften, die mich schon immer an ihm beeindruckt hatten. Seine Intelligenz, der messerscharfe Verstand, seine Belesenheit. Natürlich, wenn man schon Hunderte von Jahren lebte, konnte man einiges an Wissen anhäufen. Jedoch brachte niemand dieses Wissen auf eine charmantere Art zu Tage als Bashir. Er war bestimmt kein Bad-Boy, aber er hatte noch die Zeit miterlebt, als Ritter voller Edelmut strotzten und Burgfräulein retteten. Wenn alle Männer einen Bruchteil seiner Eigenschaften in sich vereinen würden, dann hätten wir Frauen gar nichts mehr, worüber wir meckern könnten.

      »Harte Nacht gehabt?« Langsam schritt er auf mich zu, der Rollkragenpullover spannte ein wenig über seinem muskulösen Oberkörper. Die dunklen, schulterlangen Haare hatte er zurückgekämmt und mit ein wenig Haarwasser verfestigt. »Ich nehme an, diese Vampir-Bar benötigt nun einen neuen Anstrich?«, sagte er ruhig und mit amüsiertem Unterton.

      Ich nickte wortlos. Es war mir schleierhaft, warum er schon wieder wusste, was passiert war.

      Er bedachte mich mit einem verstehenden, umwerfenden Lächeln. Normale Menschen würden ihn vielleicht für einen sehr attraktiven Mittdreißiger mit jugendlichen Gesichtszügen halten. Ich wusste es besser, obwohl sein richtiges Alter auch mir verborgen blieb und er sein wahres Geburtsjahr wie einen kostbaren Schatz behütete.

      »Wirkt der Zauber des Schwarzmagiers noch?«

      Jeden anderen hätte ich mit einer Druckwelle an die nächste Wand geschleudert. Doch nicht Bashir.

      Ich grinste verlegen. »Du wusstest davon?«

      Er ging in die kleine Teeküche und reichte mir ein warmes, duftendes Handtuch, womit ich mein Gesicht reinigen konnte. Bashir liebte diese kleinen Extravaganzen des Lebens. Teuren Scotch, exquisite Zigarren, feinste Anzüge und glänzende Oldtimer. Natürlich war dieses kleine Ladenlokal nur eine Deckadresse, sein Refugium. Im Hintergrund florierte der Handel mit magischen Artefakten und das schon seit Jahrzehnten, wenn nicht noch länger. Es war schön zu sehen, dass Bashir seinen Laden wieder aufgebaut hatte.

      »Man hört die Geschichten auf der Straße«, gab er unverhohlen zu, küsste meine Hand und geleitete mich in die kleine Sitzecke. Auf schwarzen Ledersesseln nahmen wir einander gegenüber Platz. »Möchtest du etwas trinken? Du siehst erschöpft aus und zugleich ...«, er suchte nach den richtigen Worten – ungewöhnlich für Bashir –, »... überdreht.«

      Der Kampf hatte mehr Spuren hinterlassen als ich zugeben wollte. Ein dumpfer Schmerz hämmerte zwischen meinen Ohren, sodass ich mich abstützen musste und meine Schläfen rieb. Wenn man zu viel Magie einsetzte, war diese Art der Überanstrengung nicht selten bei Hexen. Ich konnte tatsächlich einen Drink vertragen.

      »Ein Glenlivet aus dem Jahr 1886«, erklärte Bashir, als könne er meine Gedanken lesen, während er die bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei Gläser eingoss.

      »Du erinnerst dich daran, als ich dir diesen Whiskey das letzte Mal anbot? Es ist eine der letzten sechs Flaschen.« Mit einem genüsslichen Lächeln schwenkte er das Glas vor seiner Nase. »Der rauchige Geschmack nach Eiche, der aufsteigende Duft, ein temperamentvoller Anstieg der Gier, welcher sich nach dem ersten Schluck ins Unermessliche steigert.«

      Er