Klaus Heimann

Tod einer Bikerin


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Ist doch simpel!«

      Erich wurde heftig. »Mensch Sigi, ich habe die Grundschule des Kriminaldienstes hinter mir. Alles überprüft, alles mit den Kollegen besprochen. Dass Gertrud Fenger ihren Mörder kannte und ihn hineingelassen hat, ja, das wäre eine Möglichkeit. Kampfspuren wie zerbrochene Gegenstände, umgeworfene Stühle oder umgeknickte Teppiche gab es übrigens auch keine. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Mörder einen Zweitschlüssel besaß. Und wenn wir weitergraben, finden wir vielleicht noch ein Mauseloch, durch das er geschlüpft ist. Feierabend!«

      »Gut, gut. Beruhige dich. Nur eines noch: Welche Version verfolgt ihr?«

      »Wir gehen bisher davon aus, dass die Frau geöffnet hat.«

      »Fingerabdrücke?«

      »Sigi!«, blafften mich meine Saufkumpane gleichzeitig an. Stimmte ja. Ich war nicht mehr aktiv.

      Ecki und Erich wandten sich einem anderen Thema zu. Ich war für den Rest des Abends nicht mehr richtig dabei. Ob die Mordtat in den Händen meines ehemaligen Kollegen gut aufgehoben war? Beim Lösen von Fällen war er jedenfalls nie der hellste Fixstern am Himmel gewesen, was sich in seiner bescheidenen Aufklärungsquote widerspiegelte.

      Oder hatte ich seinem schlummernden Talent im Wege gestanden? Hatte ihn zu väterlich unter meine Fittiche genommen? Unbewusst seinen Horizont verstellt?

      Was spielte das eigentlich für eine Rolle? Ich war nicht mehr dabei und mich ging die ganze Sache nichts an. Was bedauerlich war, denn es hörte sich kniffelig an. Richtig kniffelig. Ein Verbrechen ganz nach dem Geschmack von Sigi Siebert.

      Ach was. Vergangenheit. Lieber noch einen Samtkragen und ein Bier vernaschen.

      ***

      Gegen elf Uhr tauchte Möhrchen auf. »Na, genug getrunken?«, erkundigte sie sich, eher tadelnd als wirklich an einer Antwort interessiert.

      »Hat er«, antwortete ihr Ecki, der unverändert wie eine Eins am Tresen stand. »Er hat sich tapfer geschlagen.«

      »Noch einen für den Weg?«, schlug ich vor.

      Mir entging Erichs huschender Seitenblick hinüber zu seiner Frau nicht. »Lass man. Wir ziehen.«

      »Nimm ruhig noch ein Bier. Ich bestelle mir eine Cola«, überraschte ihn Möhrchen.

      Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Bald standen drei Pils und eine Cola vor uns. Ecki und Erich setzten derweilen ihr Gespräch über V8-Motoren fort.

      Eine Gelegenheit für meine alte Lieblingskollegin, mich beiseite zu nehmen. »Sigi, hat Erich von seinem aktuellen Fall erzählt?«

      »Ja. Vorhin.«

      »Der läuft ihm ganz schön nach, weißt du. Er kommt mit diesem Arnfried Nußbaum keinen Zentimeter weiter und eine Idee, in welche Richtung er ermitteln sollte, hat er auch nicht.«

      »Du arbeitest mit ihm zusammen am Fall?« Unser Möhrchen war immer eine verlässliche Stütze gewesen. Ein patentes Mädchen.

      »Mich haben sie lange abgezogen. Weißt du das nicht? Direkt nach unserer Hochzeit war das, kurz nach Erichs Beförderung. Ich schaffe aushilfsweise bei den Drogen. Erich arbeitet mit einem Neuzugang am Mord in Werden.«

      »Ist Mord nicht wichtiger als Rauschgift?«

      »Das ist so eine Großoffensive. Politisch motiviert, weißt du: Wir wollen, dass Essen clean wird.«

      »Scheiße. Eine Großstadt wird nie clean. Träumer!«

      »Wem sagst du das! Jedenfalls ist Erich ziemlich fertig. Ich kriege ihn selbst am Wochenende kaum aufgemuntert.«

      Ich wünschte mir irgendwie, was ich andeutete.

      »Willst du mir zu verstehen geben, er könnte Hilfe gebrauchen?«

      Die blauen Ozeane wiesen mich entrüstet zurück. »Quatsch! Du bist raus aus dem Dienst und sollst es bleiben. Wäre ja noch schöner, wenn du als Rentner dem Erich hineinpfuschen würdest. Ich wollte mich nur jemandem anvertrauen, der Verständnis für diese Dinge hat. Der weiß, wie es in einem rumort, wenn die Ermittlungen stocken. Irgendwo muss man mal darüber quatschen dürfen.«

      »Verstehe.«

      Ecki und Erich hatten den amerikanischen Motorenbau zu Ende besprochen.

      »Fährst du mich jetzt heim, Schatz?«

      »Ich trinke eben aus.«

      Möhrchen kippte die Cola, die sie bislang nicht angerührt hatte, in einem einzigen Zug hinunter. Dann griff sie nach der Hand ihres Mannes.

      »Abzug. Tschüss Männer. Hat mich gefreut, dich wiederzusehen, Sigi. Darfst uns gerne mal besuchen. Zuhause oder im Präsidium.«

      »Mach ich«, versprach ich leichthin. »Tschüss ihr Zwei.«

      Erich zahlte seinen Deckel, umarmte uns Zurückbleibenden zum Abschied und verschwand mit seiner Liebsten ins heimatliche Nest.

      »Sollen wir noch einen?«, lockte Ecki.

      »Gerne.«

      Es blieb nicht bei dem Einen. Wir torkelten als Letzte aus Guidos Laden auf die Straße und hörten, wie er ihn hinter uns abschloss. Arm in Arm maßen wir den Bordstein in Richtung Rüttenscheider Stern aus. Dort verabschiedete sich Ecki von mir.

      Auf meinem Heimweg suchte ich in alter Tradition die Stelle auf, an der meine Freundin, die Buche, einst dahingeschieden war. Wehmütig starrte ich auf den Baustellenzaun. Dann suchte ich mir ein verschwiegenes Eckchen im seitlichen Gebüsch und wässerte die tief im Erdreich um sie trauernden Reste ihres Wurzelwerks.

      Als ich wenig später zu Hause eintorkelte, weckte ich leider Lotte. Für den fröhlich Heimkehrenden ist das der ungünstigste Fall. In Bezug auf seinen Empfang sind zwei Varianten denkbar. Die für ihn Angenehmere sieht vor, dass sich seine Angetraute zähneknirschend schlafend stellt. Die Schlechtere ist die von diesem Abend …

      Lotte lief zur Hochform auf. Dabei hatte ich beim Hereinkommen nur ganz, ganz leise den River-Kwai-Marsch gepfiffen. Okay – ein bedauerlicher Rückfall in längst aberzogen geglaubte Gewohnheiten. Schwerer wog, dass ich unmittelbar nach dem Eintreten über das Leergut stolperte, das für den morgigen Einkauf zum Umtausch bereitstand. Der oberste Kasten vom Stapel hielt dieser Attacke nicht Stand und stürzte polternd zu Boden. Glas splitterte. Aber wegen so einer Lappalie gleich so eine Gardinenpredigt?

      Die Schlafzimmertür stand offen. Lottes Nachttischlampe wurde angeknipst.

      »Das nächste Mal schlafe ich im Bahnhof neben den Gleisen. Kein ICE macht solchen Krach, wenn er durchrauscht. Nilpferd! Ach was, Nilpferd: Dinosaurier! Und ein Saufkopp obendrein!«

      »Es war dunkel im Flur. Ich wollte dich nicht mit Licht wecken.«

      Meine gelallte Entschuldigung machte es nicht besser.

      »Mit Licht nicht, aha. Aber mit diesem saublöden Gassenhauer! Damit gleich das ganze Haus weiß, dass der Herr vom Alko-Trip zurück ist. Und anschließend ein kräftiger Tusch auf dem Schlagzeug. Du bist ein unverbesserliches Trampeltier, Sigi Siebert.«

      »Aber Löttchen …«

      »Nix da, Löttchen. Schnauze jetzt. Ich will schlafen. Im Gegensatz zu dir, muss ich meine Brötchen mit Arbeit verdienen. Dass du dich vorsiehst, noch mehr Lärm zu machen. Ich raste aus!«

      Es gelang mir nur ganz knapp, einer weiteren Standpauke von Lotte zu entgehen. Eine widerspenstige Tube Zahnpasta legte mir bösartig einen Stein in den Weg. Sie glitt mir aus der Hand und brachte den Zahnbecher zum Umstürzen. Es dröhnte in meinen Ohren, als hebe eine Explosion das Dach des Hauses ab.

      Kaum war ich in die Federn geplumpst, löschte Lotte ihre Nachttischlampe. Trotzdem ich hundemüde war und es in meinen Ohren alkoholisch sauste, hielt ich geistesgegenwärtig die Luft an und horchte auf ihre Atemzüge. Erst als sie mir ruhig und ausgeglichen