Klaus Heimann

Tod einer Bikerin


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zu hindern. Sie hätte mir mindestens Staubwischen aufgebrummt!

      ***

      Ich will mich nicht groß beklagen, über die dicke Rübe vom nächsten Tag. Es gibt kein größer Leid, als das, der Mensch sich selbst andeit – behauptete meine Tante Klara immer.

      Aber Lotte hätte sich gerne mäßigen dürfen.

      »Seit zwei Uhr liege ich wach. Geh mal bei den Nachbarn fragen, ob ihre Möbel noch stehen. Du müsstest sie zwischenzeitlich kurz und klein gesägt haben!« Das waren die Worte, mit denen ich aus meiner traumlosen, friedlichen Dunkelheit gerissen wurde. Ich blinzelte auf meinen Wecker. Fünf Uhr dreißig! Was fiel meinem Weib ein?

      »Hast du auf die Uhr geguckt?«

      »Ungefähr siebenhundert Mal. Mir reicht’s! Untersteh dich, wieder einzuschlafen! Du kochst mir jetzt einen Kaffee.«

      War meine Gattin verrückt geworden? Kaffee? Um diese Zeit?

      Ein kleiner Rest Verstand kämpfte sich durch die Dunstglocke um mein Hirn. Diese Quälerei musste mir der Burgfrieden in den eigenen vier Wänden wohl wert sein.

      Zeitlupenhaft kämpfte ich mich unter der Bettdecke vor. Nur keine ruckartigen Bewegungen jetzt!

      Beim Einfüllen des Kaffeemehls in die Maschine – wir brühen immer noch altmodischen Filterkaffee auf – ging mir ein halbes Lot daneben. Ich wischte es notdürftig mit einem Küchentuch weg. Dabei landeten ein paar Krümel auf dem Boden, die sich bestimmt festtreten würden. Als der Kaffee durchgelaufen war, füllte ich zwei Tassen und ging damit zurück ins Schlafzimmer.

      Kerzengerade saß Lotte im Bett. »Zwei Tassen? Nix da. Erst gehst du Scherben kehren im Flur. Meinst du, ich will mir eine eintreten? Ein Wunder, dass dir das gestern Abend nicht passiert ist.«

      Zähneknirschend holte ich Besen und Kehrschaufel und machte mich ans Werk.

      Erstaunlich, wohin ein so schweres Material wie Glas pulverisiert überall fliegt. Zum Glück waren nur zwei Flaschen beim Aufprall auf den Fliesenboden geplatzt. Die anderen konnte ich unversehrt samt Kasten wieder zuoberst auf den Stapel stellen.

      Dem Kehren folgte eine Runde mit dem Staubsauger. Zur Sicherheit. Dabei entdeckte ich eine tiefe Macke mitten auf einer unserer Flurfliesen. Au Backe. Das würde Lottes Zorn ein Krönchen aufsetzen!

      Als ich mein Werk zur eigenen Zufriedenheit beendet hatte, wagte ich einen erneuten Vorstoß ins Bett. Ich lehnte mich auf meiner Seite am Kopfteil an. Der Kaffee war mittlerweile lauwarm geworden. Angewidert stürzte ich die Brühe in einem Zug hinunter.

      »Ich muss mal.« Lotte schälte sich aus den Federn. Sie war kaum im Flur angelangt, als ihr ein Aufschrei entfuhr. Ich wusste nur zu gut, was das zu bedeuten hatte.

      »Meine schönen Fliesen!«

      Schon stand meine Ehefrau im Türrahmen, um mich erneut zusammenzufalten. Ich zog die Ohren an den Kopf. Widerworte zwecklos.

      Lotte kommandierte mich zum Tischdecken ab. Immerhin frühstückten wir gemeinsam. Bis meine Angetraute zur Arbeit aufbrach, herrschte in unseren vier Wänden Wortlosigkeit. Der knisternde Schnitt in mein auf dem Toaster aufgebackenes Brötchen, schwoll in der atemlos stillen Atmosphäre unserer unserer Küche zu ohrenbetäubendem Krach an.

      ***

      Kaum fiel die Wohnungstür hinter Lotte zu, verdrückte ich mich wieder in die Koje und gab mich erneut einer traumlosen, friedlichen Dunkelheit hin. Zweieinhalb Stunden später wachte ich mit geschwollenem Zäpfchen auf. Ich war wohl auf dem Rücken eingeschlafen und das bedeutete nach angenehm verbrachten Vorabenden regelmäßig, dass ich schnarchte wie ein Seeelefant im Rangkampf.

      Als ich mir mittels einer gut gekühlten Flasche Mineralwasser Linderung verschaffen wollte, stellte ich fest, dass unser Leergut komplett war – nicht ein Schluck mehr im Haus. Widerwillig ersetzte ich die erfolgversprechende Medizin durch Leitungswasser. Es muss kribbeln im Hals, sonst schmeckt es mir nicht.

      Was sollte ich mit einem derart verkorkst gestarteten Tag anfangen?

      Der leichte Druck im Kopf verordnete mir auf jeden Fall frische Luft. Ich blinzelte zum Küchenfenster hinaus. Eine dünne Wolkenschicht bedeckte den Himmel – passables Wetter. Wo war gleich der Mord geschehen, über den wir uns gestern bei Guido unterhalten hatten? Ich erinnerte mich nicht daran, dass jemand die Adresse erwähnt hätte. Nur den Namen des Opfers kannte ich: Gertrud Fenger.

      Wie kam ich jetzt darauf? Das ging mich nichts mehr an! Sollte Erich das klären. Ich war lange aus dem Verein ausgeschieden. Und wohin unautorisierte Schnüffeleien führten, war mir im Namibia-Fall schließlich schmerzlich vor Augen geführt worden.

      Leider lassen mich knifflige Fragestellungen nur selten in Ruhe. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich jedoch noch nicht, wie weit meine Infektion durch den Fall fortschreiten würde.

      Wir besitzen keinen festen Platz für unseren Computer. Er steht in einer Wohnzimmerecke und jeder, der ihn benötigt, setzt sich damit hin, wo er will. Ich schnappte mir den Laptop – das alte Schätzchen, das uns Lucy nach der Anschaffung ihres neuen überlassen hatte –, bezog Stellung in einem unserer Sessel, platzierte das Gerät auf dem Schoß und schaltete es ein. Mittlerweile bin ich einigermaßen vertraut mit dem Ding. Früher war es immer Möhrchen gewesen, die Recherchen am Computer durchführte. Heute war ich auf mich selbst gestellt.

      Ich rief das Telefonbuch auf. Der Eintrag, den ich fand, war eindeutig. Die Ermordete hatte im Wesselswerth gewohnt. Ich merkte mir die Hausnummer und tippte den Namen Arnfried Nußbaum ein. Er tauchte nicht im Internet auf.

      Ich schaltete den Laptop aus und klappte ihn zu. Starr im Sessel hockend, lief sich der kriminalistische Sektor meines Gehirns warm. Es gelang mir trotz Dunstglocke ums Oberstübchen nicht, den einfachen Weg zu beschreiten und die Geschehnisse zu ignorieren.

      Zuallererst: Wie war der Täter in die Wohnung der Ermordeten gelangt? Hatte ihm jemand von drinnen geöffnet? Die Ermordete? Ihr Lebensgefährte? Oder ein Besucher, der anschließend spurlos verschwunden war? Musste man diesen Besucher als Mörder suchen?

      Oder besaß der Täter einen eigenen Schlüssel? Hatte ihm irgendjemand einen zugesteckt? Aus welchem Grund? War es die berühmte Putzfrau?

      So vieles war gestern Abend nicht zur Sprache gekommen. Wenn ich nur einen Blick auf diese Wohnung werfen dürfte! Nur einen einzigen, ganz kurzen Blick! Vielleicht könnte ich Erich aus seiner Misere befreien, könnte ihm helfen. So wie es bei Möhrchen geklungen hatte, benötigte er dringend Unterstützung. Er steckte fest.

      An diesem Morgen ballte sich eine ungesunde Mischung verschiedenster Gefühle in mir zusammen. Einerseits dröhnte Lottes schroffe Abreibung in meinen Ohren. Ihr unterschwelliger Vorwurf der Nichtsnutzigkeit klebte mir in den Klamotten.

      Dann war da Erichs leicht verzweifeltes Gesicht vom gestrigen Abend, in dem seine Schwierigkeiten geschrieben zu stehen schienen. Jedenfalls glaubte ich, solches darin gelesen zu haben. Man setzte ihn sichtlich unter Erfolgsdruck. Dem hatte er immer schon wenig entgegenzusetzen gehabt. Mir fiel Möhrchens entrüstete Zurückweisung ein, als ich sie gefragt hatte, ob Erich Hilfe benötigte. Heute schien mir ihre Reaktion deutlich überzogen ausgefallen, überzogen in dem Sinne, dass ich sie bei einem Gedanken dieser Art erwischt hatte.

      Möglich, dass die Dunstglocke um meinen Kopf diese Wahrnehmungen im Sinne meiner Wunschinterpretation einfärbte.

      Jeder dieser Aspekte versetzte mir an diesem Morgen einen kleinen Schubs, mich in den Fall einzumischen. Mehrere kleine Schubse ergeben bekanntermaßen einen großen Stoß …

      Nach einer eiskalten Dusche stand ich kaum eine Stunde später an der Haltestelle Martinstraße und wartete auf die Straßenbahn. Hätte ich nicht den dicken Kopf mit mir herumgetragen, wäre ich bei dem Wetter mit dem Rad gefahren.

      Die Vernunft riet mir, in meinem Zustand darauf zu verzichten.

      Ich erwischte eine Straßenbahn der Linie 108. An