Klaus Heimann

Tod einer Bikerin


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musste ich vorsichtiger sein.

      »Entschuldigung. Sie haben ja recht. Ich steh ein bisschen unter Schock, verstehen Sie. Würden Sie dem Arnfried denn einen Mord zutrauen?«

      »Ein wenig stiekum, der Knabe. Hat nie viel von sich gegeben. Stille Wasser. Da weiß man nie …«

      »Wer hat den Mord denn entdeckt?«

      »Meine Frau hatte was mitgekriegt an dem Abend. Die Frauen und ihre übergroßen Ohren! Ganz entfernt hatte ich auch gemeint, etwas Ungewöhnliches gehört zu haben. Wir wohnen ja direkt drunter. Zuerst wollte ich ihr ausreden, die Polizei zu rufen. Aber sie hat darauf bestanden, dass es ein Schuss war.«

      »Ich wüsste gar nicht, wohin mit meiner Angst. Haben Sie sonst was mitbekommen? Ist beispielsweise jemand aus der Wohnung geflüchtet?«

      »Wir haben uns nicht vorgetraut. Die Holztreppe im Flur ist vorletztes Jahr durch eine Steintreppe ersetzt worden. Da hört man nicht viel.«

      »Eine klappende Tür?«

      »Wenn jemand hinten rausgeht, kriegen wir nichts mit.«

      »Ein aufheulender Motor?«

      »Nein. Hören Sie, das wollte dieser Schrank von der Polente auch alles wissen. Dreimal hat der uns bereits gelöchert. Gehören Sie zu dem Verein dazu?«

      »Nein, nein«, log ich nicht einmal, denn ich gehörte ja seit Jahren wirklich nicht mehr dazu. »Das mit dem Arnfried haut mich einfach um. So ein lieber Kerl. Ich will es nicht wahrhaben.«

      »Dann mal Tschüss. Muss Kartoffeln schälen.«

      Der Mann schloss das Fenster und mir schien es ratsam, mich zu trollen. Am Ende würde ich noch angezeigt. Vor diesem Haus erwischen lassen wollte ich mich auf keinen Fall.

      ***

      Nachdenklich ging ich den Wesselswerth weiter hinab. Was hatte ich Neues erfahren?

      Zumindest, dass Erich seine Arbeit gemacht hatte, denn mit »Schrank von der Polente« war zweifellos er gemeint gewesen. Es gab keine Zeugen dafür, dass sich zur Tatzeit eine unbekannte Person im Haus aufgehalten hatte. Natürlich könnte auch einer der Mitbewohner der Täter gewesen sein. Etwa dieser Wachhund von gerade? Hatte er gelogen? Ob Erich darauf gekommen war, einer solchen Möglichkeit nachzugehen?

      Spekulation. Reine Spekulation. Und eine unwahrscheinliche obendrein. Auf diese Weise kam ich keinen Deut weiter.

      Am Ende der Straße entdeckte ich links einen Abzweig, der hinter die Häuserreihe zu führen schien. An einem kleinen Hotel vorbei gelangte ich zu einem Fußweg, der parallel zum Wesselswerth verlief. Auf ihm kehrte ich, tief grübelnd an Gärten und Höfen entlangschleichend, zurück in Richtung Markt.

      Der Fußweg mündete in die Brandstorstrße, die ein Stück weiter rechts als Sackgasse endet. Ich stieß auf einen kleinen Turm, halbseitig in den Hang hineingebaut. An einem Tor, hinter dem eine Treppe in den Garten zu seinen Füßen hinabführte, entdeckte ich einen Behälter mit Prospekten. Ich fischte eines der Faltblätter heraus. Es informierte mich darüber, dass ich vor dem Gartenhaus Dingerkus stand, vor über 200 Jahren an dieser Stelle in barockem Stil errichtet. Ein Verein kümmerte sich um seine Erhaltung und Pflege. Man lernt nie aus, was die eigene Heimatstadt angeht!

      Ich sah auf die Armbanduhr. Mein knurrender Magen täuschte mich nicht. Die Mittagessenszeit war weit überschritten. Unmittelbar bei der Brücke über die Ruhr gab es eine Imbissbude. Eine Currywurst käme nicht schlecht.

      Mit diesem Verlangen auf der Zunge schlug ich drei Haken und stand schon vor dem Betreiber der Imbissbude. Ich bestellte und prompt wurde meine Vision Realität. Auf ein Bier hatte ich aus erfindlichen Gründen keinen Appetit. Stattdessen orderte ich eine Cola. Ich nahm Essen und Getränk über den Tresen entgegen, bezahlte und setzte mich mit Wurst, Pommes und Getränkedose unterhalb der Ruhrbrücke auf eine Bank am Flussufer. Mein Blick fiel wieder auf das Aussichtsrund der Brehminsel. Wie versteckt dieser erste Kuss in meiner Erinnerung geschlummert hatte! Geliebte Lotte!

      Es hatte längere Zeit nicht geregnet. Träge floss die Ruhr zu meinen Füßen dahin. Ein Spiegelbild meiner Stimmung. Eigentlich war mein ganzer Ausflug ein hirnloses Herumstolpern und sinnloses Hobbyschnüffeln – stellte ich mir selbst das Attest aus. Ohne persönlich mit Arnfried Nußbaum sprechen zu können, ihm bei meinen Fragen ins Gesicht zu sehen, würde ich nichts, rein gar nichts herausbringen. Warum auch? Ab zu Lotte und das Rentnerdasein genießen!

      Die gründlich geleerte Pappschale und die ausgetrunkene Getränkedose wanderten in den bereitstehenden Müllbehälter. Ich verließ die Bank und setzte mich Richtung heimatliche Gefilde in Bewegung. Linie 169 und 108 brachten mich nach Rüttenscheid zurück, wo ich eine Weile im bewegten Geschäftszentrum umherdümpelte, ehe ich nach Hause ging.

      Lotte würde gegen vier von der Arbeit kommen. Bis dahin blätterte ich noch etwas in der Zeitung und schlief kurz danach im Sitzen ein. Geweckt wurde ich dadurch, dass unsere Wohnungstür aufgeschlossen wurde.

      »Schatz? Ich bin wieder da!« Meine Frau.

      Benommen rappelte ich mich hoch. Diese Guido-Abende! Verlangten einem körperlich eine Menge ab.

      »Hallo! Sitze im Wohnzimmer!«

      Die Hand auf der Türklinke aufgestützt, steckte Lotte ihren Kopf zu mir herein. »Na, Alkohol verdunstet?«

      Sie sagte das nicht vorwurfsvoll, eher fürsorglich. So, wie ich meine Angetraute unter normalen Umständen kenne.

      »Glaub schon. Ich war zu unvorsichtig gestern. Hätte mit Erich und Möhrchen aufbrechen sollen. Da hatte ich den Kanal voll genug. Aber dann bildet man sich plötzlich die zweite Luft ein. Und Ecki findet selten früh Schluss.«

      »Ja, ja. Der Teufel hat den Schnaps gemacht.«

      »‘tschuldigung Lotte. Manchmal bin ich schwer zu ertragen, was?«

      »Ach, mein Sigi! Trotzdem bist du mir der Liebste von allen Männern!« Lotte kam vollends herein und drückte mir einen Kuss auf die hohe Stirn. Das war Balsam für mein schlechtes Gewissen.

      »Du ziehst dich jetzt erst mal um und machst dich frisch. Ich sorge derweilen für Kaffee«, schlug ich vor.

      »Einverstanden. Dann müssen wir noch zum Getränkemarkt. Die Kisten im Flur.«

      Ach ja, das Leergut. Der sprichwörtliche Anstoß für den Streit gestern Abend!

      Zehn Minuten später saßen wir am Küchentisch beisammen, jeder einen dampfenden Pott Schwarzgebräu vor sich. Meine Tasse war die alte aus dem Büro. Die mit der jahrelang gepflegten Coffein-Patina. Wer gewagt hätte, sie zu spülen, hätte ernsthaft Ärger mit mir bekommen. In einen kleinen Karton hatten die privaten Utensilien aus meinem ehemaligen Büro hineingepasst. Ein paar Bilder, die über Jahre gesammelten Zeitungsausschnitte von meinen Großtaten, von denen ich einige unter der transparenten Schreibtischauflage verwahrt hatte, und eben die Tasse. Wehmütig dachte ich daran, wie Erich sie mir aus dem Polizeipräsidium nach Hause gebracht hatte.

      »Wie war dein Tag so?«, fragte mich Lotte.

      »Ich war in Werden spazieren. Beim Blick auf die Brehminsel musste ich an unseren ersten Kuss denken.«

      Lotte lachte auf. »Ja. Nicht mit einem Zaunpfahl, mit dem ganzen Zaun musste ich winken, dass du dich das getraut hast. Alle meine Antennen gingen auf Sendung. War das nicht nach dieser verkorksten Geburtstagsparty bei diesem, diesem, … na wie hieß er gleich? Die im Keller, draußen in Heidhausen.«

      Ich besaß keinerlei Erinnerung an eine Geburtstagsparty. »Hää?«

      »Na, dieser Schulkollege von dir. Wir waren nur dieses eine Mal dort. Der war scharf auf mich. Ständig hat er mich angeglotzt. Ein Langweiler, der Typ. Lief den ganzen Abend mit einer Kamera herum. Hinter der hat er sich versteckt, damit er bloß nicht mit einem der Mädchen tanzen musste. Sag schon den Namen …«

      »Da herrscht nur Leere