Edgar Wallace

Der Frosch mit der Maske


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als akzeptiere John Bennett seines Sohnes neues Leben als eine bei einem jungen Mann sehr natürliche Notwendigkeit. Innerlich aber war er unruhig und beängstigt. Ray war sein einziger Sohn, er war der Stolz seines Lebens, obgleich er ihm dies nie gezeigt hatte. Keiner kannte die Gefahren, die einem jungen Menschen in der Großstadt drohen, besser als John Bennett, und keiner kannte Ray so gut wie er. Ella schwieg ihrem Vater gegenüber, aber sie erriet seine innere Unruhe und faßte den Entschluß, etwas zu unternehmen. Am vorhergegangenen Sonntag noch hatte Ray sich über den neuerlichen Gehaltsabzug beklagt. Er war verzweifelt gewesen und hatte wild davon gesprochen, seine Stellung hinzuwerfen und einen neuen Beruf zu suchen. Diese Möglichkeit erfüllte Ella mit Unruhe. Die Familie Bennett lebte kärglich von einem recht beschränkten Einkommen. Das Haus war Bennetts Besitz und die Kosten des Lebensunterhaltes lächerlich gering. Eine Frau aus dem Dorf kam jeden Morgen, die schwere Arbeit zu leisten und einmal in der Woche bei der Wäsche zu helfen. Das war der einzige Luxus, den ihres Vaters mageres Einkommen gestattete. Eines Morgens, als Johnson das marmorne Vestibül von Maitlands Haus durchschritt, sah er eine zarte Gestalt durch die Drehtür kommen und begann fast zu laufen, um sie einzuholen.

      »Mein liebes Fräulein Bennett, was für eine wunderschöne Überraschung! Ray ist nicht da, aber vielleicht warten Sie ein bißchen.«

      »Ich bin recht froh, daß er nicht hier ist«, sagte sie sichtlich erleichtert. »Ich möchte mit Herrn Maitland sprechen. Können Sie das möglich machen?«

      Das strahlende Gesicht des Philosophen bewölkte sich.

      »Das wird sehr schwer halten«, sagte er. »Der Herr empfängt nie jemanden. Nicht einmal die Finanzgrößen der City. Er haßt Frauen und Fremde, und obgleich ich doch schon lange mit ihm arbeite, bin ich nicht einmal sicher, ob er sich an mich gewöhnt hat. Worum handelt es sich denn?«

      Ella zögerte. »Um Rays Gehalt«, und dann, als er den Kopf schüttelte, fuhr sie drängend fort: »Es ist so wichtig, Herr Johnson. Ray hat einen so anspruchsvollen Geschmack, und wenn man sein Gehalt noch kürzt, so heißt das – ach, Sie kennen doch Ray genau!«

      Er nickte. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich da etwas tun kann«, sagte er zweifelnd. »Ich will jedenfalls hinaufgehen und Herrn Maitland fragen. Aber ich könnte wetten, daß er Sie nicht empfangen wird.«

      Aber als Herr Johnson zurückkam, sah sie ihn schon von weitem lächeln.

      »Kommen Sie nur rasch, bevor er sich's überlegt hat«, sagte er und führte sie zum Lift. »Sie müssen allein die Konversation führen, Fräulein Bennett! Er ist exzentrisch und so hart wie Feuerstein.«

      Er führte sie in einen kleinen, bequem möblierten Salon und wies auf einen Schreibtisch, der mit Papieren bedeckt war.

      »Das ist mein Zimmer«, erklärte er. Eine Rosenholztür führte zu Herrn Maitlands Büro. Johnson klopfte leise an, und mit schneller pochendem Herzen trat Ella dem seltsamen Mann gegenüber.

      Der Raum war groß, und der Luxus der Ausstattung verschlug ihr den Atem. Hinter seinem breiten Schreibtisch saß der große Maitland kerzengerade aufrecht und betrachtete sie unter seinen buschigen Augenbrauen. Er sah wie ein Patriarch und doch zugleich abschreckend aus. Und es war etwas Grobes und Gemeines an ihm, das sie verletzte. Es lag nicht in der Nachlässigkeit seines Anzuges oder der Zahl seiner Jahre. Das Alter pflegt sonst Verfeinerung zu bringen. Dieser alte Mann jedoch war nur ganz gemein geworden. Sein forschender Blick ermangelte der Sicherheit, die sie erwartet hatte. Es schien beinahe, als fühle er sich unbehaglich.

      »Dieses ist Fräulein Bennett. Sie erinnern sich, daß Bennett unser Börsenbeamter ist. Fräulein Bennett bittet darum, daß Sie Ihren Entschluß über die Gehaltskürzung noch einmal prüfen mögen.«

      »Wir sind nicht sehr wohlhabend«, sagte Ella leise, »und dieser Abzug macht für uns sehr viel aus ...«

      Herr Maitland schüttelte ungeduldig das kahle Haupt. »Das ist mir ganz egal, ob es Sie gutgeht oder nicht gutgeht! Wenn ich Gehaltsabzüge mach, dann mach ich sie. Verstanden?«

      Sie starrte ihn entgeistert an. Seine Stimme war rauh und gemein. Sprache und Ton entstammten der Gosse.

      »Wenn er nich mag, so kann er gehn, wohin er will. Und wenn Sie das nich recht is« – er heftete seine trüben Augen auf den unruhig aussehenden Johnson –, »dann könn Sie auch gehn, wohin Sie wolln. Es gibt massenhaft so Lausbuben, die ich kriegn kann. Brauch sie mir nur von der Straße raufzuholen. Millionen davon. Punktum!«

      Johnson ging auf den Fußspitzen hinaus und schloß die Tür hinter dem Mädchen, das ihm gefolgt war.

      »Aber das ist ja ein Scheusal!« brachte sie hervor. »Wie können Sie es nur mit ihm aushalten?«

      Der dicke Mann lächelte gelassen. »Er hat recht. Bei eineinhalb Millionen Arbeitslosen auf den Straßen kann er sich seine Leute aussuchen.«

      »Ich hatte keine Ahnung«, sagte sie, und legte impulsiv ihre Hand auf seinen Arm, »daß er so arg ist! Das tut mir leid um Ihretwillen! Er ist ja entsetzlich!«

      »Er ist Selfmademan, aber er ist eigentlich nicht bösartig. Wenn ich nur begreifen könnte, warum er Sie empfangen hat?«

      »Empfängt er denn sonst niemanden?«

      Er schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn es nicht absolut notwendig ist. Und das ereignet sich vielleicht zweimal im Jahr. Ich glaube kaum, daß er überhaupt je mit einem Menschen im ganzen Haus gesprochen hat. Nicht einmal mit den Direktoren.«

      Johnson führte Ella in das Hauptbüro hinunter. Ray war noch nicht gekommen.

      »Die Wahrheit ist«, gestand Johnson, als sie ihn mit Fragen bedrängte, »daß Ray heute überhaupt noch nicht im Büro war. Er ließ sagen, daß er sich nicht sehr wohl fühlt, und ich habe es so eingerichtet, daß er heute als frei gilt.«

      »Er ist doch nicht krank?« fragte sie beunruhigt.

      »Nein, ich habe ihn telefonisch gesprochen. Er hat ein Telefon in seiner neuen Wohnung.«

      »Ich dachte, es wäre nur ein einfaches Zimmer?« sagte Ella entsetzt. Die gute Hausfrau in ihr empörte sich. »Eine ganze Wohnung? Wo denn?«

      »In Knightsbridge«, antwortete Johnson ruhig. »Ja, es klingt teuer, aber ich glaube, daß er sie billig bekommen hat. Ein Mann, der ins Ausland ging, hat sie ihm für einen Pappenstiel untervermietet. – Darf ich offen sein, Fräulein Bennett?«

      »Ist es Rays wegen, so bitte ich darum«, antwortete sie hastig.

      »Ray beunruhigt mich in letzter Zeit«, sagte Johnson. »Natürlich möchte ich alles, was ich kann, für ihn tun, denn ich habe ihn sehr gern. Jetzt ist es meine einzige Sorge, seine ziemlich häufige Abwesenheit vom Büro zu verschleiern. Sie brauchen ihm das nicht wiederzusagen. Aber es ist eine ziemliche Mühe, denn der alte Herr hat einen unerhörten Instinkt dafür, wenn Angestellte sich vom Dienst drücken. Ray lebt viel großzügiger, als er es sich eigentlich leisten kann. Und ich habe ihn so gekleidet gesehen, als wollte er mit den elegantesten Leuten der Stadt in Konkurrenz treten.«

      Die unbestimmte. Unruhe in Ellas Seele wuchs zur Panik an.

      »Es ist doch – nicht etwa im Büro – etwas Unrechtes vorgefallen?« fragte sie ängstlich.

      »Nein, ich nahm mir die Freiheit, seine Bücher durchzusehen. Sie stimmen. Sein Kassenbuch ist bis auf einen Penny in Ordnung. Mit roher Offenheit gesagt: er stiehlt nicht. – Zum mindesten nicht bei uns. Aber noch ein anderes Detail. Er nennt sich Raymond Laster in Knightsbridge. Ich habe das durch Zufall herausgefunden und habe ihn gefragt, warum er einen andern Namen angenommen hat. Seine Erklärung war ziemlich glaubhaft. Er wollte nicht, daß Ihr Vater hören sollte, daß er auf so großem Fuß lebt. Er hat eine ziemlich einträgliche Nebenbeschäftigung. Aber er will nicht sagen, welcher Art sie ist.«

      Ella war froh, als Johnson sie verließ. Froh, einen stillen Platz inmitten weiter Parkflächen zu erreichen. Sie mußte nachdenken und sich über ihre künftige Handlungsweise klarwerden. Ray war nicht so geartet, daß er sich von ihr oder von Johnson mit drakonischer Strenge